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Dienstag, 27. März 2012, 10:12 Uhr

Als Rot-Grün Krieg trieb

... und die Nachkriegszeit das "Nach" verlor

Transparent am ehemaligen Sozialen Zentrum: "Rot-grüne Kriegstreiber"

Klare Botschaft am ehemaligen Sozialen Zentrum: "Stoppt das rot-grüne Kriegstreiben" (Foto: Infoarchiv)

Olaf Harning | Am vergangenen Samstag vor genau 13 Jahren begann die NATO mit der Bombardierung der Bundesrepublik Jugoslawien. Grundlage dieser Entscheidung waren ständige Gräuelmeldungen aus dem abtrünnigen Kosovo, die sich inzwischen meist als grob einseitig oder frei erfunden herausgestellt haben. In Norderstedt kam es in Folge des Krieges zu Protesten gegen SPD und Bündnis 90/Die Grünen, letztere verloren kreisweit Mitglieder - darunter auch "Prominenz".

"STOPPT DAS ROT-GRÜNE KRIEGSTREIBEN" stand auf einem Transparent, das KriegsgegnerInnen am 30. März 1999 vor den Fraktionsräumen von SPD und Grünen am Norderstedter Rathaus entfalteten. Rund 50 DemonstrantInnen aus Reihen von PDS, Sozialem Zentrum, DKP, Gewerkschaften und auch dem Infoarchiv hatten sich an diesem Abend versammelt, um gegen die NATO-Angriffe und die Beteiligung der Bundeswehr daran zu protestieren. Von der Teilnehmerzahl eher überschaubar, war diese Kundgebung am Ende auch so etwas wie Startschuss und Symbol für die Spaltung von linker- und grüner Bewegung entlang der Frage nach deutscher Beteiligung an Kriegseinsätzen. An jenem 30. März stand der eine Teil der alten Friedensbewegung protestierend vor dem Rathaus, während der andere aus den Rathausfenstern zusah. Der heutigen Norderstedter Sozialdezernentin Anette Reinders, damals Fraktionschefin der Grünen, ging diese skurrile Situation besonders nahe: Gut zwei Jahre später, nach Beginn der NATO-Invervention in Afghanistan, trat sich bei Bündnis 90/Die Grünen aus und gründete wenig später die Wählergemeinschaft GALiN


 

Doch zunächst zurück zum März ´99: Schon zwei Tage nach Beginn der Kriegshandlungen veröffentlichte ein Bündnis aus PDS, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), Gruppe AntifaschistInnen Norderstedt (GANo), dem Infoarchiv und der Redaktion der Zeitschrift Nadelstiche ein Flugblatt mit dem Titel "Stoppt den Krieg gegen Jugoslawien - Keine Militäreinsätze der Bundeswehr". Darin wurden den schwarz-gelb-grün-roten Kriegsbefürwortern im Bundestag Verstöße gegen die UN-Charta und Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates vorgeworfen. Nach Meinung der KriegsgegnerInnen stellten die Angriffe der NATO eher eine Verschärfung denn eine Lösung der politischen und humanitären Situation im Kosovo, in Jugoslawien und letztlich in Europa insgesamt dar: "Es wird nicht weniger, sondern mehr Tote und Flüchtlinge geben. Der Sicherheitsrat der UN wird faktisch entmachtet sein. Die Beziehungen der europäischen Staaten zueinander werden sich verändern. Die Selbstmandatierung der NATO wird Schule machen, auch in anderen Regionen der Welt. Die Beziehung zwischen der NATO einerseits und Rußland andererseits werden zumindest gefährdet sein".

Ähnlich sahen das auch 35 Norderstedter Gewerkschafter und Betriebsräte, die einen "Offenen Brief (...) an die Mitglieder von SPD und Bündnis 90/Die Grünen aus der Region Norderstedt" verfassten. Darin bezweifelten sie sowohl die Rechtmäßigkeit der Bombardierungen, als auch "die Aufrichtigkeit der genannten Motive" für den Krieg. Sowohl SozialdemokratInnen, als auch Grüne wurden nach ihrem "Ja" zum Bundeswehr-Einsatz von innerparteilichen Auseinandersetzungen geschüttelt und verloren eine Reihe Mitglieder. Im Kreis Segeberg beispielsweise kündigten etwa zehn Menschen ihre Mitgliedschaft bei Bündnis 90/Die Grünen, darunter der langjährige Bad Segeberger Stadtvertreter Thomas Gerull. Noch weit mehr Mitglieder jedoch verloren die Überzeugung an die emanzipatorische Kraft der Grünen und kündigten zunächst "innerlich". In den Folgejahren verlor die einst strikt antimilitaristische Partei große Teile ihrer Gründergeneration und viele ihrer aktivsten Mitglieder.

Einer der Gründe für die Zerrissenheit der Bündnisgrünen: Weder der von Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) und Außenminister Joseph "Joschka" Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) immer wieder ins Feld geführte, angebliche "Hufeisenplan" der serbischen Armee, noch die von ihnen behaupteten, gegen Albaner gerichteten "ethnischen Säuberungen" konnten je nachgewiesen werden. Ein Beispiel für den oft niedrigen Wahrheitsgehalt der Gräuelmeldungen der beiden Politiker schaffte es erst kürzlich wieder in die Medien: 13 Jahre nach einem angeblichen Massaker in Rugovo sprach das Schleswig-Holstein-Magazin des NDR mit dem Lütjenburger Polizeibeamten Henning Hensch, der damals als deutscher Beobachter im Kosovo war. Am 29. Januar 1999 fotografierte er den Schauplatz eines Gefechts zwischen der serbischen Armee und der kosovarischen Rebellengruppe UCK, in dessen Verlauf rund ein Dutzend Menschen getötet wurden. Doch während Hensch bei den Toten Waffen, Uniformen und Abzeichen der UCK sah und fotografierte, präsentierte Rudolf Scharping einige Wochen später diejenigen Fotos, auf denen all das nicht zu sehen war. Aus einem Gefecht, die der Polizeibeamte heute als "Positionskämpfe" im Rahmen eines Bürgerkriegs bezeichnet, wurde so ein "Massaker an der Zivilbevölkerung".

Die Vorgänge im Kosovo und ihre mediale Verarbeitung in Deutschland folgten übrigens einem Muster, das immer wieder Anwendung findet, wenn es gilt, aus eigentlich geostrategischen Gründen militärisch in Konflikte Dritter einzugreifen. Ob nun die so nie gefundenen Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins, dessen Giftgasangriffe gegen kurdische Rebellen noch Ende der 80er Jahre gänzlich ignoriert worden waren, oder die urplötzlich unerträgliche Grausamkeit des libyschen Diktators Muhammar al-Gaddafi, der noch Wochen vor den NATO-Angriffen vom März 2011 von der EU mit der Abwehr der Flüchtlingsströme nach Europa betraut war - immer wieder wird mit Hilfe mal mehr, mal weniger ausgeschmückter Gräuel-Meldungen der Boden für militärische Interventionen bereitet. Und während westliche Armeen am Ende dann - aus natürlich rein humanitären Gründen - zur Tat schreiten, werden zeitgleich Flüchtlinge in umkämpfte Regionen abgeschoben und die nächsten Konflikte durch stetig forcierte Waffenexporte oder die Ausbildung zwielichtiger Militärs förmlich provoziert.

 

2 Kommentare zu diesem Artikel

07.04.2012, 17:29 Uhr Anonymous2schreib- oder copy/paste-fehler??

oder verstehe ich den zusammenhang falsch?

"Nach Meinung der KriegsgegnerInnen [...]: Es wird nicht mehr, sondern weniger Tote und Flüchtlinge geben......"

Wäre das nicht gut??

Antwort der Redaktion: Danke für den Hinweis! Da hat der Autor beim Abschreiben aus dem Flugblatt "weniger" und "mehr" vertauscht - ist jetzt korrigiert.

27.03.2012, 11:11 Uhr AnonymousUnvergessen ...

Gut, dass das Infoarchiv von Zeit zu Zeit daran erinnert. Das ginge sonst im Alltäglichen verloren.