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Mittwoch, 31. März 2004, 2:00 Uhr

Den sozialen Kahlschlag stoppen, in Norderstedt und anderswo...!

NorderstedterInnen protestieren zum 4. Mal gegen Kürzungen im Sozial- und Jugendbereich

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Musikalisch wurden sie auf diesem Weg von den RapperInenn "Eric& Katja" begleitet, und auch im weiteren Verlauf der Protestveranstaltung auf dem Rathausmarkt, sorgten Musik und eine Theatereinlage für Stimmung. Die "Oma Körner Band", der für ihren Auftritt einige Mikrofone fehlten, bot zum Abschluß der Kundgebung eine gelungene A-Capella- Vorstellung.
Neben Redebeiträgen einiger Gruppen aus dem Bündnis "Für eine soziale Stadt", und einer Ansprache von Annette Reinders (Galin) zu der Verweigerung der StadtvertreterInnen, den Rathausplatz Norderstedt der Öffentlichkeit zu widmen, warteten alle KundgebungsteilnehmerInnen gespannt auf die Stellungnahme von Rainer Perschewski, der als ehemals langjähriger Mitarbeiter im Norderstedter Amt für junge Menschen genau weiß, wovon er spricht, wenn er sagt, dass "es keine Grundlage für den aktuellen Kahlschlag" gibt.

Im weiteren Textverlauf ist der Redebeitrag von Rainer Perschewski vollständig dokumentiert :

Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Norderstedterinnen und Norderstedter,
ich freue mich heute hier an dieser Stelle sprechen zu können. Ich bin zwar kein Norderstedter mehr, aber ich habe mich bis vor eineinhalb Jahren gut zwei Jahrzehnte politisch in vielen Bereichen in dieser Stadt engagiert und verfolge das Geschehen immer noch sehr aufmerksam.

Als ehrenamtlicher Gewerkschafter habe ich mich viel mit Sozialabbau in diesem Land beschäftigen müssen. In meiner Zeit als Vertrauensleutesprecher der Gewerkschaft ÖTV in der Stadtverwaltung Norderstedt - heute Ver.di Betriebsgruppe - und als DGB Ortsvorsitzender fiel u. a. eine der vielen Kürzungsdiskussionen im Sozialbereich dieser Stadt, welche eine wesentliche Parallele zu heute hat. Damals 1995 war geplant, die Jugendarbeit der Stadt Norderstedt um ein Drittel zu kürzen.

Eine der ersten Einrichtungen die geschlossen werden sollten, war das Kulturcafe Aurikelstieg. Ein Zufall - könnte mensch meinen. Wer aber die Presseberichte der letzten dreißig Jahre durchforstet wird feststellen, dass es um das Kulturcafe oder vorher die Teestube Aurikelstieg immer wieder Auseinandersetzungen gegeben hat. So auch in den 80er und auch in den 70ern. Es ist sicherlich kein Zufall, dass die CDU oder auch ihre Jugendorganisation schon mehrmals die Schließung dieser Einrichtung gefordert haben, sich aber nie durchsetzen konnten und nun bei einer erstmaligen CDU Mehrheit in dieser Stadt dieses als erstes in die Tat umsetzen. Wie auch immer die Vorgeschichte heute konkret hierzu gewesen ist.

Nun werden einige der Verantwortlichen einwenden, dass sich die Stadt vieles nicht mehr leisten kann, die Zeiten sich geändert haben und eine Einrichtung, welche angeblich so wenige Besucher hat, zu teuer sei. So konnte ich es der Norderstedter Presse auch entnehmen. In diesen Meldungen stecken gleich mehrere falsche Aussagen. Sicherlich haben sich die Zeiten geändert. Wir haben seit dem Ende der 70er Jahre eine kontinuierliche Umverteilung in dieser Gesellschaft zu Lasten der Bevölkerung, welche Ausmaße angenommen hat, die wir uns aufgrund der riesigen Summen kaum mehr vorstellen können. Der Städtetag hat mal ausgerechnet, dass allein schon unter der Regierung Kohl den Kommunen über 100 Mrd. - Damals noch DM - an Einnahmen verloren gegangen sind, u.a. durch die Aushöhlung der Gewerbesteuer. Die heutige Regierung vollendet dieses Werk mit ihren so genannten Steuerreformen, was zur Folge hat, dass die Kommunen weiter belastet werden. Norderstedt kann ein Lied davon singen, wenn plötzlich große Unternehmen und Steuerzahler wie vor einiger Zeit die Opelbank oder davor Ethicon, ankündigen, dass sie keine Steuern mehr zahlen müssen. Gleichzeitig rühmen sich die größten der Konzerne wie bspw. Siemens, dass sie unterm Strich mit den Subventionen noch was dazubekommen haben und streichen ihre größten Gewinne seit dem Ende des zweiten Weltkrieges ein. Damit wird deutlich, dass die Beschlüsse der sozialdemokratischen und bündnisgrünen Bundesregierung ihre Wirkungen hier vor Ort haben und es wird das Hauptproblem deutlich. Nämlich: Was wir brauchen ist eine andere Politik, die dieser Umverteilung ein Ende setzt.

Doch zurück zu der Jugendarbeit der Stadt Norderstedt und zu den Argumenten der Schließungsbefürworter vom Kulturcafe. Sicherlich, ist es keine Einrichtung, wie bspw. der Bunker in Norderstedt Mitte oder andere Einrichtungen. Das Kulturcafe hat schon immer ein etwas anderes und sehr engagiertes Publikum angesprochen und mit den Auftrittsmöglichkeiten für Nachwuchsbands eine besondere wichtige Rolle in dieser Stadt gespielt. Nicht zuletzt haben viele Initiativen die sich in dieser Stadt engagierten, auch ihre Treffpunkte dort gehabt und diese Haus genutzt. Die Kürzungsdebatte in den 90er endete nach einer sehr massiven Öffentlichkeitsarbeit und großem Engagement von den in den Gewerkschaften organisierten Kolleginnen und Kollegen und der betroffenen Jugendlichen - alleine die Besucher des Kulturcafes sammelten in kürzester Zeit knapp 400 Unterschriften - mit der sogenannten Regionalisierung also der Stadtteilorientierung der Jugendarbeit und einer Angeboteserweiterung bei im Wesentlichen gleichem Personalbestand.

Das wesentliche aber an dem Beschluss war, dass endlich einmal ein Gesamtkonzept für die Norderstedter Jugendarbeit erstellt werden sollte. Jugendhilfeplan nennt sich so etwas. Der zuständige Sozialdezernent Dr. Harald Freter - auch heute noch im Amt - hat noch im Jahr darauf auf einer Fachtagung der ÖTV darauf Bezug genommen. Geschehen ist aber seitdem nichts. Die Beschlüsse "Feiern" bald ihr zehnjähriges.

  • Das heißt aber, dass für den aktuellen Kahlschlag keine Grundlage besteht. Eine Analyse der Situation oder der Bedarfe hat nicht stattgefunden. Oder hat in dieser Debatte schon mal einer der Politiker klar sagen können, wie bspw. die altersmäßige Entwicklung der Bevölkerung in dem Stadtteil ist und welche Bedarfe daraus resultieren? Ich empfehle jedem, einmal auf einer Stadtkarte die Jugendeinrichtungen einzuzeichnen und sich die Verteilung anzuschauen. Allein daraus wird deutlich, dass nichts aber auch gar nichts eine reale Bedarfsgrundlage hat und das es sich nicht um eine angeblich zu teuere Einrichtung als Grund handeln kann.
  • Das heißt aber auch, dass die Verantwortlichen in der Zeit untätig gewesen sind und es ist schlichtweg verantwortungslos, Beschlüsse nach Gutdünken und nach Bauchlage zu fällen. Und diesen Vorwurf müssen sich Verwaltung und Politik gefallen lassen.

Noch ein paar Worte zu den Finanzen. Natürlich ist es um die Stadt nicht mehr so gut bestellt. Da können sich die Stadtoberen bei den Bundes und Landespolitikern bedanken, denn diese haben die Umverteilung zu verantworten. Das macht die Norderstedter Politik aber nicht frei von ihrer Verantwortung. Die meisten in der Stadtvertretung gewählten Stadtvertreter sind Mitglieder der Parteien die für diese Misere Verantwortlich sind. Daher sind sie auch für das zur Verantwortung zu ziehen, was ihre Bundesparteien beschließen. Ich verlange daher auch von den Norderstedter Kommunalpolitikern, dass sie nicht nur willige Vollstrecker der Bundes- oder Landespolitik sind und den Mangel verwalten, sondern dass sie sich gegen diese Politik wenden oder die Konsequenzen daraus ziehen.

Zum anderen, ist es aber auch eine Frage der Verteilung der Vorhandenen Ressourcen und es ist immer eine politische Entscheidung was finanziert wird.

  • Finanziert Norderstedt ein Hochleistungsdatennetz mit ca. 60 - 70 Millionen und eine Gesellschaft wie Wilhelm Tel, dessen deren finanzielles Desaster sich langsam abzeichnet oder 190.000 Euro oder 200.000 Euro für ein Jugendhaus?
  • Bemühe ich mich um Prestigeobjekte wie eine Landesgartenschau oder ein Logistikzentrum und verschleudere Millionen oder setzte ich das für die Bestehenden Sozialeinrichtungen ein.
  • Gestatte ich den Stadtwerken und den dazugehörigen Einrichtungen sich auf weiteren Gebieten finanziell zu engagieren, sich als großzügigen Spender der Politik hinzustellen oder habe ich etwas für die Kinder und Jugendlichen dieser Stadt übrig.

Das sind die Fragen, die hier gestellt werden müssten und die Liste lässt sich wahrscheinlich noch um einiges fortsetzen. Auch wenn die CDU jetzt anderes sagt, muss uns klar sein, das es bei den sozialen Einschnitten nicht stehen bleiben wird, ich garantiere Euch nach den Bürgermeisterwahlen im Juni geht es weiter.

Morgen ist der letzte Tag für das Kulturcafe Aurikelstieg. Aber wir dürfen diese Aktionen nicht nur auf das Kulturcafe beschränken. Es gibt einige die von diesem Sozialabbau noch härter getroffen werden, ich meine die Kürzungen in der Drogenhilfe, der Tagesaufenthaltsstätte am Herold Center und den Krisenbetten im Lichtblick. Ich will keine Horrorszenarien an die Wand malen, aber die Stadt Norderstedt wird die Wirkungen dieser Beschlüsse mittelfristig zu spüren bekommen. In der früheren Kürzungsdiskussion wurde doch eines deutlich: Norderstedt hat relativ wenig soziale Probleme eben weil ein guter Standard im Sozialbereich vorhanden war egal ob in der Jugendhilfe oder in Kindereinrichtungen. Nun wird dieses langsam aufgegeben und das wird sich bemerkbar machen. Das Norderstedter Rathaus konnte in der ersten Hälfte der 90er einen Vorgeschmack bekommen. Als die Baracken des alten JFH Norderstedt Mitte für ein paar Monate geschlossen wurden und das neue Haus noch nicht auf war, versammelten sich Kids u.a. in der Rathauspassage, dieses führte teilweise zu Kritzeleien oder kaputten Stühlen und Beschwerden an und durch das Rathauspersonal. Nur anscheinend sind diese Erfahrungen bereits vergessen.

Für uns sollten die Beschlüsse der Stadt Anlass sein um den Widerstand zu organisieren und ich hoffe ihr lasst Euch in Eurem Kampf gegen diese Schweinereien nicht entmutigen und entwickelt den Protest weiter. Ich hoffe auch, dass die bundesweiten Demonstrationen gegen Sozialabbau und Agenda 2010 oder ähnliche Sauereien am Samstag u. a. in Berlin ein Erfolg werden und Massenhaft den Regierenden in diesem Lande gezeigt wird, dass es so nicht weiter geht.

Ihr seit Bestandteil dieser Bewegung ! Und seit nicht Alleine

Stoppt den Sozialen Kahlschlag in Norderstedt und anderswo.

Wir sehen uns am Samstag in Berlin.

Ich danke Euch.

(Rainer Perschewski)

Veröffentlicht in Soziales mit den Schlagworten CDU, GALiN, Gewerkschaften, Landesgartenschau, Norderstedt, Stadtwerke, ver.di, Wahlen