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Dienstag, 18. September 2007, 2:00 Uhr

Die CDU im Tal der Tränen

Klaus Ehling hinterlässt verbrannte Erde

Von Olaf Harning | Fassungslosigkeit dominierte die Reaktionen nach Bekanntwerden des Ehling-Rückzugs: Während zahlreiche Kulturschaffende, Sportler, soziale Einrichtungen und Vereine nun heftig fordern, Harald Freter im Amt zu lassen, hat es der CDU die Sprache verschlagen. Gegenüber der Norderstedter Zeitung äußerte sich der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Holger Hagemann "völlig konsterniert und zutiefst erschüttert". Die Begründung Ehlings, er müsse "die Reißleine ziehen", um seiner Familie keinen Schaden zuzufügen, akzeptiert Hagemann nicht: Entnervt stellt er fest, dass eine solche Entscheidung fallen muss, bevor man sich einer aufwendigen Wahl stellt. Doch auch wenn die direkte Schuld für das Desaster wohl ausschließlich beim mittlerweile in Münster die Treppe hochgestolperten Klaus Ehling zu suchen ist, bleibt festzustellen: Hätten die Norderstedter Christdemokraten nicht über Monate daran gearbeitet, Harald Freter ohne jede inhaltliche Kritik abzusägen, gäbe es heute keine Probleme. Ganz im Gegenteil: Die CDU hätte in diesem Fall auch noch eine engagierte Kulturpolitikerin mehr:
Wegen der Art und Weise der Abwahl Freters, möchte Hella Schmitt nicht mehr in der Kommunalpolitik mitmischen. "Nur um Machtpolitik" sei es bei dessen Abwahl gegangen, inhaltlich sei über ihn kaum diskutiert worden. Grundsätzlich, so die Kulturexpertin der Norderstedter CDU, werde ohnehin zu wenig diskutiert in ihrer Partei, die Entscheidungen vielmehr in kleinen Zirkeln vorbereitet. Doch Schmitt kritisiert nicht nur das eigene Nest: In allen Norderstedter Parteien, so die Realschullehrerin in der NZ, gehe es vor allem darum, die Gegenpartei niederzumachen - ohne jede Würdigung der jeweiligen Argumente. Da die eigentliche Meinungsbildung nicht in den Ausschüssen stattfinde, sondern in den geschlossenen Fraktionssitzungen, sei es auch nicht verwunderlich, dass die Argumente der Gegenseite traditionell wenig Gehör fänden - unabhängig von ihrer Qualität.
Doch trotz ihrer heftigen Kritik bleibt die bisherige Vorsitzende des Kulturausschusses und stellvertretende Stadtpräsidentin ihrer Partei treu: Einen Austritt aus der CDU hat Schmitt laut Norderstedter Zeitung bislang nicht erwogen. Neben ihrem Rücktritt vom Sitz in der Stadtvertretung, dem Amt als stellvertretende Stadtpräsidentin und dem Vorsitz des Kulturausschusses zog sich die Christdemokratin allerdings auch aus dem Aufsichtsrat der Mehrzwecksäle GmbH (also der "Tribühne"), und aus dem Rat der Kulturstiftung Norderstedt zurück: Für die CDU vor allem deshalb ein Problem, weil sie nur wenige Sozial- und Kulturverständige in ihren Reihen beherbergt. Mit Hella Schmitt verlieren Stadtvertretung und Ausschüsse nicht nur eine konservative Politikerin, die 2004 die Schließung des Jugendkulturcafes und die massiven Sozialkürzungen des Bürgermeister-Konzeptes Jugendarbeit 2010 nachdrücklich unterstützte. Verloren geht auch eine überzeugte Kulturpolitikerin mit Ideen und - mit Rückrat.
Ganz anders Rainer Schlichtkrull: Er führte seine Partei in den letzten Jahren souverän und erfolgreich ? dafür allerdings auch straff und ohne erkennbaren Charakter. Schlichtkrull folgte jetzt einem Ruf seines potenten Arbeitgebers ? dem Ölmulti Exxon ? als Controller nach Ungarn. In den vergangenen Monaten hatte Schlichtkrull aus anderen Gründen gleich mehrfach auf seinen Arbeitgeber verweisen müssen: Hartnäckig hielten sich in Norderstedt Gerüchte, die dem CDU-Fraktionschef Ambitionen auf einen Dezernenten-Posten, namentlich den Freterschen, andichteten. Auch jetzt sind wieder Unkenrufe laut geworden, die seinen Gang nach Ungarn als Vorbereitung dafür sehen, im Anschluss Leitungsfunktionen bei den Norderstedter Stadtwerken zu übernehmen ? freilich ebenfalls ein lupenreines Produkt der Gerüchteküche.
So sehr Schmitt jetzt mit sich- und Schlichtkrull mit Gehalt und Arbeitgeber im Reinen ist, so verheerend wächst sich der Schaden bei der CDU aus: Nach Selbstdarsteller Jens Kahlsdorf (Kritik am ?undemokratischen Führungsstil?, ging im Oktober 2005), Christoph Prüfer, und Günther Döscher (beide wechselten im Februar 2007 zur FDP, kritisierten mangelnde Demokratie und die schwache Diskussionskultur in der Union), verliert sie nun binnen weniger Monate die vierte und fünfte Persönlichkeit binnen eines Jahres. Und mit Ausnahme Schlichtkrulls gingen alle mit zumindest ähnlichen Kritikpunkten, kurz: wegen des arroganten Politikstils ihrer Partei.
Dass der CDU nun langsam nicht nur geeignete Kandidaten für Stadtvertretung und einige Themen-, sondern insbesondere für ihre Führungspositionen ausgehen, dokumentiert die jüngste Personalentscheidung. Da ruft die Partei mit Herbert Paschen nicht nur den Ehemann der Stadtpräsidentin Charlotte "Lotti" Paschen an den Fraktionsvorsitz, sondern auch einen rechtskonservativen "Dinosaurier" der Union, der im Alter von 72 Jahren kaum mehr in der Lage sein dürfte, "frischen Wind" in die kriselnde Partei zu bringen. Dass er sich dabei mit Günther Nicolai und Gert Leiteritz gleich gegen zwei interne Konkurrenten durchsetzen musste, gilt zudem als Zeichen für eine inhaltliche und personelle Spaltung der Union. Paschen ist übrigens noch aus dem Landtagswahlkampf 1992 unangenehm in Erinnerung, als er unter dem Motto ?Wir sind nicht die Problemknechte der Welt!? Stimmung gegen Flüchtlinge machte. Schon vor seiner Wahl führte für einige Wochen ein Urgestein die Partei: Holger Hagemann übernahm nach Schlichtkrulls spontanem Abgang zwischenzeitlich die Zügel. Erst kürzlich hatten ihm SPD und zahlreiche ElternvertreterInnen seine spezielle Art zum Vorwurf gemacht, mit Gegenmeinungen umzugehen. Offenbar äußerte er im Vorfeld einer Sitzung des Sozialausschusses den dringlichen Wunsch, er wolle bei der Sitzung "keine fünfzig kreischenden Weiber" im Saal haben. Der neue und doch alte Fraktionsvorsitzende Herbert Paschen hat jetzt die schwere Aufgabe, nicht nur die Wogen wieder zu glätten, die unter Schlichtkrull entstanden sind, sondern auch inhaltliche Akzente zu setzen, die zumindest nach Eigenständigkeit aussehen.
Die CDU ist mittlerweile gezwungen, mit dem "letzten Aufgebot" in den Ring zu steigen. Gelingt des den Norderstedter Christdemokraten nicht, ihr Image als letztlich seelenloser Steigbügelhalter von Bürgermeister Hans-Joachim Grote abzulegen, wird sie schon in Kürze große Teile ihrer kommunalpolitischen Kompetenz und ihre Integrität verspielt haben. Und weitere Abgänge auf Schmitt-Niveau kann sie keinesfalls kompensieren.

Veröffentlicht in Kommunalpolitik mit den Schlagworten CDU, FDP, Hans-Joachim Grote, Kulturausschuss, Norderstedt, SPD, Stadtwerke