+ + + ARCHIVIERTER INHALT + + +

Diese Seite kommt aus unserem Archiv und enthält möglicherweise Informationen, die nicht mehr aktuell sind. Bitte beachten Sie das Veröffentlichungsdatum dieser Seite.

Freitag, 4. Juni 2010, 2:00 Uhr

"Klug macht dumm"

Lehrerstreik mit starker Beteilung auch in Norderstedt

"Klug macht dumm": 1.500 Lehrer- und SchülerInnen machten ihrem Unmut Luft.

"Klug macht dumm": 1.500 Lehrer- und SchülerInnen machten ihrem Unmut Luft (Foto: Infoarchiv)

Hans-Georg (Felix) Becker | Seit vielen Jahren werden SchülerInnen, Lehrkräfte und Eltern von einer Schulreform in die nächste geschubst. Dabei hat nichts Bestand, vieles wird kurzfristig hin und her geändert, manchmal auch wieder zurück. Ein verlässlich planbarer Schulalltag lässt sie so nicht gewährleisten. Im letzten Jahr gab es bundesweite "Schülerstreiks", während zehntausende Schüler ihren Frust auf die Straßen trugen. Gestern nun kam es zu einem landesweiten Streik der Lehrkräfte aller Schulformen. Was das Fass zum Überlaufen brachte: die Sparankündigungen der CDU/FDP-Landesregierung Schleswig-Holsteins. Für den Bildungsbereich hat dafür Minister Dr. Ekkehard Klug (FDP) die Verantwortung zu tragen. Auch in Norderstedt wurde kräftig protestiert. Rund 1.500 Bildungspolitik-Geschädigte nahmen an der Abschlusskundgebung hinter dem Herold-Center teil.

Die TeilnehmerInnen kamen aus dem gesamten Kreis Segeberg zur Kundgebung nach Norderstedt. Nach dem Ende der dritten Schulstunde legten viele Lehrkräfte ihre Arbeit nieder, setzen sich mit SchülerInnen und Eltern in Busse oder gingen zu Fuß zum Kundgebungsort. In Anspielung auf die auch vom Bildungsminister zu vertretende Streichliste, vor allem bei den Personalaufwendungen, trugen viele TeilnehmerInnen Plakate oder bedruckte T-Shirts mit der Feststellung "Klug macht dumm!" Die Bandbreite der Statements war groß: "Bei den Banken sind sie fix, für die Bildung tun sie nix", "Versündigt euch nicht an unseren Kindern", "Jetzt reicht´s", "Wir prauchän Pildnk". Erstmals nahmen auch Beamte an den Streiks teil. Im Vorwege hatte das Ministerium Druck auf die verbeamteten Lehrkräfte ausgeübt und Besoldungskürzungen und Disziplinarverfahren angedroht.

Nach Auffassung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) verstößt das Verbot von Streiks für Beamte gegen EU-Recht. Eine gerichtliche Klärung wird erfolgen. Einige Schulen hatten den Protesttag zum "Projekttag" erklärt und beteiligten such z.B. unter dem Motto "Gelernte Demokratie" oder "Exkursion zum Herold-Center - Ort des Konsums". Eine unrühmliche Ausnahme machte das Gymnasium Harksheide. Wieder einmal, muss man leider sagen. Am Gymnasium Harksheide wurden SchülerInnen im Vorfeld des sogenannten Bildungsstreiks am 17. Juni letzten Jahres davor gewarnt, sich an einer für diesen Tag geplanten Großdemonstration zu beteiligen. Der Schulleiter Gerhard Frische hatte gegenüber dem Infoarchiv bestätigt, ggf. gegen die Betroffenen vorzugehen. Die Teilnahme am gestrigen Streik wurde seitens der Schulleitung offenbar ebenfalls untersagt. Selbst die Einrichtung eines "Projekttages", wie ihn ja auch andere Schule praktizierten, wurde "nicht genehmigt".

Auf diesen Missstand machte der stellvertretende Sprecher der Landesschülervertretung, Yannick Regh während seines Redebeitrages aufmerksam. Ebenso wie der Schulsprecher des Coppernicus-Gymnasiums, Torbjörn Cunis, ließ Regh kein gutes Haar an Bildungsminister Klug. Beide Redner trafen mit ihren markigen Beiträgen den Nerv der KundgebungsteilnehmerInnen und erhielten lautstark Unterstützung. Zum Schluss machte die Kreisvorsitzende der GEW, Sabine Duggen, unmissverständlich klar, dass man das "Recht auf Bürgerlichen Ungehorsam im Rechtsstaat" - wie Jürgen Habermas es nannte - gegen die Kieler Bildungspolitik "in Anspruch nehme". Sie unterstrich, dass der Kampf für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte gleichzeitig auch ein Kampf für die Bildungschancen der Kinder in Schleswig-Holstein sei. Mit mehreren Beispielen belegte Duggen, dass Minister Dr. Ekkehard Klug seine Meinung zur Bildungspolitik gegenüber dem letzten Jahr gründlich geändert haben musste. Besonders markant war eine Aussage Klugs aus dem Jahre 2009. Zitat: "Ich halte eine Bildungspolitik, die sich ausschließlich an fiskalischen und wirtschaftlichen Parametern orientiert für verfehlt. Gute Bildung ist ohne angemessene Personalausstattung nicht möglich." Der gleiche Mensch macht sich heute für Personalabbau stark. Wenn das kein Wahlbetrug ist!

Sabine Duggen fasste noch einmal die Punkte des Sparprogramms zusammen, gegen deren Umsetzung man sich zur Wehr setzt:

  • Streichung des beitragsfreien Kita-Jahres
  • Die Kürzung der Kostenerstattung für Schülerbeförderung
  • Den Wegfall von rund 4000 Lehrerstellen an allen Schulen
  • Eine erneute Arbeitszeitverlängerung für viele Lehrkräfte

Für die GEW stellte sie die Forderungen nach

  • Schaffung guter Lern- und Arbeitsbedingungen
  • Senkung der Klassengrößen
  • Senkung der Arbeitsbelastung der Lehrkräfte

auf. Abschließend versprach sie "den Herren Carstensen, Wiegard und Kubicki: Dieser Streik ist erst der Anfang! Wir kommen wieder, weil wir die Hoffnung auf gute Bildung nicht aufgeben."