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Montag, 24. September 2012, 19:50 Uhr

Kreisjugendamt in Bedrängnis

Behörde hatte das Sorgerecht für verwahrloste Kinder

Aktuelle Anzeige der Kreisverwaltung: SozialpädagogInnen fürs Jugendamt gesucht

Zufall oder Reaktion auf die aktuellen Ereignisse? Anzeige der Kreisverwaltung in der Norderstedter Zeitung

Olaf Harning | Das Jugendamt des Kreises Segeberg gerät im Fall eines verwahrlost aufgefundenen Dreijährigen in die Kritik. Entgegen ersten Berichten hatten die Eltern des Jungen offenbar bereits vor zwei Jahren das Sorgerecht für alle Kinder verloren, dennoch beließ die Behörde die drei jüngsten der insgesamt sechs Kinder in der Obhut der Familie in Bad Segeberg.

Ingo Loeding, stellvertretender Vorsitzender des schleswig-holsteinischen Kinderschutzbundes, forderte gegenüber dem NDR deshalb Transparenz über die Hintergründe dieser Entscheidung, sein Kollege Bernd Heidemann sprach sich dafür aus, künftig stärker mit unangemeldeten Besuchen bei problematischen Familien zu arbeiten. Genau das hatte der Leiter des Segeberger Kreisjugendamtes, Georg Hoffmann, vor wenigen Tagen abgelehnt und dabei auf das Vertrauensverhältnis verwiesen, dass man - in der Regel erfolgreich - zu betroffenen Familien aufbaue.

Mitte Juni hatten Polizeibeamte in einem Haus im Bad Segeberger Bussardweg einen drei Jahre alten Jungen in einer völlig verwahrlosten Behausung aufgefunden. Erst jetzt stellte sich heraus, dass dessen Eltern nicht nur ihre drei ersten Kinder in die Obhut des Jugendamtes geben mussten, sondern vor zwei Jahren auch große Teile des Sorgerechts für ihre jüngeren drei Kinder verloren hatten. Was die Segeberger Kommunalpolitik daran entsetzt, ist allerdings vor allem die Tatsache, dass Hoffmann und die letztlich verantwortliche Landrätin Jutta Hartwieg diesen Umstand auch noch vor der Öffentlichkeit zurückhielten, als der Fall Mitte September längst bundesweit Schlagzeilen machte. Erst eine entsprechende Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Schleswig brachte am Ende Licht ins Dunkel. OLG-Sprecherin Dr. Christine von Milczewski gegenüber den Lübecker Nachrichten: "Wir haben den Eltern nur einen minimalen Rest des Sorgerechts gelassen, das Jugendamt hatte alle wichtigen Befugnisse über die Kinder." Die Eltern galten demnach schlicht als "erziehungsungeeignet". Fraglich bleibt allerdings, warum das Gericht das Sorgerecht dann nicht vollständig entzog.

Während sich Hartwieg zwischenzeitlich krank gemeldet hat, verweigert Hoffmann weitere Stellungnahmen, bis ein von der CDU beantragter "Sonderausschuss" tagt. Und der mit der Betreuung der betroffenen Familie beauftragte Träger verweist laut Norderstedter Zeitung auf seine Schweigepflicht. Immerhin 18mal waren dessen MitarbeiterInnen zwischen Anfang Mai und dem 17. Juni im Bussardweg aufgeschlagen - immer angemeldet und ohne alarmierende Beobachtungen zu machen. Die Arbeit dieses Vereins wird auch vom Norderstedter Jugendamt in Anspruch genommen, der Träger hat laut Sozialdezernentin Anette Reinders bislang zuverlässig und beschwerdefrei gearbeitet.

Die zweite Stadträtin ist trotz der Dramatik, die mit dem Auffinden des Jungen verbunden war, "erleichtert darüber, dass es nicht zu einer Tragödie mit weiteren Vernachlässigungen gekommen ist." Der Fall zeige deutlich, "dass es in der Jugendhilfe ein Restrisiko gibt", aber auch "dass dieses Risiko minimiert werden kann, wenn sich alle verantwortlich fühlen und nicht wegsehen." Gegenüber dem Infoarchiv kritisiert Reinders, dass die Schuld derzeit ausschließlich bei den MitarbeiterInnen des Kreisjugendamtes gesucht werde. In der öffentlichen Debatte werde oft vergessen, dass "die Arbeit des Jugendamtes und der Träger komplex und vielschichtig ist und sich im Spannungsfeld von Elternrecht und Kindeswohlgefährdung" bewege. Für die Aufarbeitung wünscht sie sich eine sachliche Atmosphäre und die Unterscheidung zwischen fachlichen Fragen und der Kommunikation des Kreises.