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Montag, 19. Dezember 2011, 21:42 Uhr

Preisschießen mit Massenmördern

Henstedt-Ulzburg und seine Zusammenarbeit mit der Bundeswehrführungsakademie

"Mens agitat molem" ("Der Geist bewegt die Materie") ...

"Mens agitat molem" (Der Geist bewegt die Materie) ... Leitspruch der Bundeswehrführungsakademie

Olaf Harning | Schon seit 1978 erhält die Gemeinde Henstedt-Ulzburg jedes Jahr Besuch vom Generalstabslehrgang der Bundeswehrführungsakademie. Die Offiziere aus Nicht-NATO-Staaten sollen hier einen Eindruck von der zivilen Verwaltung einer deutschen Kommune gewinnen und treffen sich anschließend zu einem Preisschießen bei der örtlichen "Schützengilde". Doch ist das vertretbar, wenn unter den Offizieren regelmäßig Putschisten, Folterer und Mörder sind?

"Die Offiziere aus fernen Ländern lernen auf der Führungsakademie das A und O der militärischen Führung. Manchmal werden diese Kenntnisse in der Heimat auch hautnah umgesetzt: Schon mehrere Teilnehmer aus Besuchergruppen der vergangenen Jahre erwiesen sich später als Putschisten, die später selbst höchste Ränge in den jeweiligen Regierungen bekleideten."

 

Launiger Bericht von Frank Knittermeier, Norderstedter Zeitung vom 19. April 1996

Der "Internationale Lehrgang Generalstabs-/Admiralstabsdienst" an der Akademie in Hamburg-Blankenese ist Teil der sogenannten "Militärischen Ausbildungshilfe" (MAH) der Bundesrepublik, umfasst unter anderem die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Angehörigen ausländischer Streitkräfte aus Nicht-NATO-Staaten und untersteht dem Bundesministerium für Verteidigung. Bis zu 67 Stabsoffiziere anderer Nationen und zusätzlich 17 Angehörige der Bundeswehr werden jährlich in einem zehnmonatigen Programm darin ausgebildet, "deutsche Führungs- und Einsatzgrundsätze" in "Frieden, Krise und Krieg" anzuwenden. Zu diesem Zweck durchlaufen sie ein vielschichtiges Programm, das mit Hilfe zahlreicher Kooperationspartner auch auf Einblicken in zivilgesellschaftliche Abläufe in Deutschland beruht. Einer dieser Kooperationspartner ist die Gemeinde Henstedt-Ulzburg, wo die LGAI-Absolventen einen Vortrag über die Verwaltung einer deutschen Kommune erhalten, sich über die Freiwillige Feuerwehr sowie das örtliche Gymnasium informieren und abschließend zu einem "Kampf der Kontinente", einem Preisschießen mit anschließendem Grünkohlessen in der Schützengilde Beckersberg, gefahren werden. Initiiert wurde die Kooperation 1978 vom heute 87jährigen Altbürgermeister Heinz Glück (CDU), ausgebaut und etabliert von seinem Amtsnachfolger und Parteifreund Volker Dornquast.

Laut Oberstleutnant Jürgen Engelhardt, Pressesprecher der Führungsakademie, wirkt die Militärische Ausbildungshilfe in der Regel langfristig: So soll die "Entwicklung demokratisch orientierter Streitkräfte in Staaten und Regionen, deren Stabilität im deutschen Interesse liegt", unterstützt werden. Die entsprechenden Lehrgänge dienten zudem "der Festigung vertrauensvoller Beziehungen zu Kooperationspartnern". Glaubt man aktuellen Meldungen über die regelmäßige Ausbildung von Folterern, Massen- und sogar Völkermördern an verschiedenen Bundeswehr-Standorten, darunter wiederum die Bundeswehrführungsakademie, müssen an dieser Zielsetzung jedoch erhebliche Zweifel angemeldet werden.

Die Vorwürfe wiegen schwer: Die Bundeswehr bildet in Deutschland seit Jahrzehnten nicht nur Militärs befreundeter Nationen, sondern auch Angehörige blutiger Diktaturen aus - liefert ihnen manches Mal sogar das nötige Rüstzeug zur Machtergreifung. Das jedenfalls behauptet Investigativjournalist Markus Frenzel in seinem Buch "Leichen im Keller - Wie Deutschland internationale Kriegsverbrecher unterstützt" , das vor wenigen Wochen erschienen ist. Frenzel stützt sich dabei auf seine Recherchen und die Aussagen namhafter deutscher Militärs, die das Prozedere von Bundeswehr, Außen- und Verteidigunsministerium kritisieren. So kommt etwa Heinz-Dieter Jopp zu Wort, der seit 2003 den Fachbereich Sicherheitspolitik und Strategie an der Bundeswehrführungsakademie in Hamburg-Blankenese leitet. Zuvor war er als "Chef des Stabes" auch für die Sicherheit der Akademie zuständig und ging in dieser Funktion unter anderem der Frage nach, wer denn die Teilnehmer der Offizierslehrgänge auswählt: "Wer überprüft die eigentlich?" fragte er nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 den zuständigen General und auf dessen Anregung hin auch das damals von Rudolf Scharping (SPD) geführte Verteidigungsministerium. Die erstaunliche Antwort: "Wir überprüfen diese Leute nicht. Die werden von ihren jeweiligen Präsidenten ausgesucht", und: "Sie haben da nicht mehr nachzufragen".

"Einmal kommt es zu einem Ausflug mit albanischen Offizieren, die sich gerade an der Führungsakademie aufhalten. Mit einem Bus gondeln sie quer durch Hamburg. Landungsbrücken, Binnenalster, St.Pauli. Als die Gruppe über die Reeperbahn fährt, verlangt einer, kurz anzuhalten. Der Albaner steigt aus und verschwindet in einem Bordell. Nach einiger Zeit kommt er mit einer großen Plastiktüte zurück. Sie ist voll mit Geldscheinen. Völlig ungeniert verteilt der Mann vor aller Augen Bündel mit Banknoten an seine albanischen Kameraden. Obskure Zahlungen aus dem von albanischen Gruppen kontrollierte Rotlichtmillieu."

 

Zitat aus "Leichen im Keller - Wie Deutschland internationale Kriegsverbrecher unterstützt"

Folge dieses gewollt laxen Umgangs mit der Ausbildung von Offizieren aus aller Welt: Die Bundeswehr und insbesondere die Bundeswehrführungsakademie in Hamburg bilden seit Einrichtung der Lehrgänge 1962 regelmäßig spätere Putschisten, Folterer und Massenmörder aus. So lehrte man in den 70er und 80er Jahren den faschistischen Diktaturen Lateinamerikas die Kriegsführung, später folgten verschiedene Regime aus Afrika, Osteuropa und Asien. Beispiel Guinea: Seit 1965 wurden nach Frenzels Recherchen fast 150 Offiziere aus dem westafrikanischen Land ausgebildet, obwohl es bis 2010 fast durchgängig als Militärdiktatur geführt wurde. Unter den in Hamburg ausgebildeten Militärs: Mamadouba Toto Camara, der heutige Innenminister Guineas. Als am 23. Dezember 2008 eine kleine Gruppe von Offizieren um seinen Namensvetter Moussa Dadis Camara die Macht an sich reißt, ist auch Mamadouba Camara unter ihnen, der bereits in den 90er Jahren den Lehrgang an der Bundeswehrführungsakademie absolviert hatte. Überhaupt sprechen die Putschisten während der klandestinen Vorbereitung der Machtübernahme deutsch - neben den beiden Camaras hatten auch die meisten anderen von ihnen in der Bundesrepublik die "Kunst" der Kriegsführung erlernt. Als ihr Regime am 28. September 2009 ein Massaker an oppositionellen ZivilistInnen anrichtet, waren drei der Hauptverantwortlichen von der Bundeswehr ausgebildet worden, Mamadouba Camara lädt als Chef der nationalen Polizei besondere Schuld auf sich. Mindestens 157 Menschen werden an diesem Tag in der Hauptstadt Conakry getötet und zuvor oft furchtbar misshandelt. Vor den Augen Tausender DemonstrantInnen werden zudem mehr als 100 Frauen vergewaltigt - unter anderem mit Gewehrläufen oder von mehreren Soldaten gleichzeitig. Auch wenn der 2010 durch ein Attentat schwer verletzte Moussa Dadis Camara mehrfach betonte, Deutschland habe aus ihm gemacht, was er heute sei, zeigte er seinen Förderern gegenüber wenig Dankbarkeit: Das nachfolgende Video zeigt die mehrminütige Erniedrigung des ehemaligen deutschen Botschafters in Guinea, Karl Prinz, während einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung im Frühjahr 2009.

"An der höchsten militärischen Schule in Deutschland wurde dem ruandischen Militäringenieur Strategie und Taktik beigebracht. Acht Jahre später kam Renzaho diese militärische Führungsqualifikation zugute, als er generalstabsmäßig die Vernichtung der Tutsi in Kigali organisierte."

 

Zitat aus "Leichen im Keller - wie Deutschland internationale Kriegsverbrecher unterstützt"

Doch wurden freilich nicht nur Militärs aus Guinea durch die Akademie - und damit auch durch Henstedt-Ulzburg - geschleust, die vermiedene Auslese der Lehrgangs-Teilnehmer führte unter anderem auch Usbeken, Äthiopier oder auch Ruander in die Großgemeinde, allesamt hohe Militärs - zumindest zeitweise - verbrecherischer Regimes. Das wohl beste Beispiel für die moralischen Fallstricke dieser Nicht-Auswahl ist aber Tharcisse Renzaho, der den LGAI-Lehrgang 1986 besuchte und dabei wahrscheinlich auch den Abstecher ins Ulzburger Rathaus und die Schützengilde Beckersberg unternommen hat. Zu dieser Zeit arbeitete Renzaho bereits einige Jahre für den ruandischen Geheimdienst und fiel durch rassistische Bemerkungen gegen die später zu Hunderttausenden niedergemetzeltenTutsi auf. Da er 1990 Präfekt der Hauptstadt Kigali wurde und sich in dieser Position zu einem der Hauptverantwortlichen des Genozids von 1994 entwickelte, könnte Renzaho durch den LGAI-Lehrgang gleich mehrfach profitiert haben: Die in Henstedt-Ulzburg gesammelten Eindrücke waren möglicherweise hilfreich für das Amt eines Präfekten, die militärische Schulung erleichterte ihm taktische Schritte bei der Organisation des Völkermordes (siehe Zitat im Kasten). Erst 2009 wurde Tharcisse Renzaho vom Internationalen Strafgericht für Ruanda wegen Völkermords, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verstöße gegen die Genfer Konventionen zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Richter sahen unter anderem seine direkte Beteiligung an einem Massaker in der Kirche Sainte Famille in Kigali als erwiesen an, in dessen Verlauf mindestens 100 Tutsi ermordet wurden. Laut Markus Frenzel ist in der "Ehrengalerie" der Hamburger Führungsakademie noch immer ein vergilbtes Foto von Renzaho zu finden.

NZ, 22.07.2000

NZ vom 22.07.2000

Nachdem es in Henstedt-Ulzburg in den 90er Jahren vermehrt zu Kritik an der Parterschaft mit dem Offizierslehrgang kam und die Jusos der Gemeinde im Juli 2000 gar die Beendigung der Zusammenarbeit mit der Bundeswehr forderten, regt sich in der Großgemeinde nach den jüngsten Enthüllungen bislang kein Protest, wird der jährliche Besuch der Militärs nicht infrage gestellt. So hat sich Bürgervorsteher Carsten Schäfer (WHU), immerhin ehemals und langjährig Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen, zwar mit den Auseinandersetzungen um Militärs aus Guinea beschäftigt, zu einem "Nein" zum Offizierslehrgang mag er sich jedoch nicht durchringen. "Wo fängt man da an, wo hört man auf?" fragt er sich. "Wir hatten jetzt Argentinien dabei und Leute aus Uruguay ... das waren ja auch mal Diktaturen, heute sind es Musterknaben". Für Schäfer birgt der Lehrgang samt Besuch in Henstedt-Ulzburg tatsächlich die Möglichkeit, Demokratie zu exportieren. Ähnlich äußert sich Bürgermeister Torsten Thormählen (parteilos) gegenüber dem Infoarchiv: Er sieht zwar die Bundeswehr in der Pflicht, gegebenenfalls ein "verstärktes Augenmerk" auf die Auswahl der Lehrgangsteilnehmer zu legen, da die Vorwürfe aber nur einen kleinen Teil der Offiziere betreffen, wolle man jedoch "sicher auch in Zukunft an der bisherigen Praxis festhalten", um den Teilnehmern "das demokratische System in Deutschland (...) näher zu bringen".

NZ vom 23.04.1999

Norderstedter Zeitung vom 23.04.1999

Während CDU, SPD und FDP im Ort auf mehrfache Anfrage nicht reagierten, und Altbürgermeister Volker Dornquast (CDU) am Telefon wissen ließ, er habe "kein Interesse daran", sich gegenüber dem Infoarchiv zu äußern, erhebt WHU-Fraktionschefin Karin Honerlah bislang die einzig kritische Stimme: Sie findet es "ein bißchen merkwürdig", Militärs aus der ganzen Welt durch den Ort zu führen, insbesondere mit dem Wissen, dass sich auch immer wieder Putschisten darunter finden. "Alles, was mit Militär und Blasmusik zusammenhängt", so die Kommunalpolitikerin, "sorgt mit gutem Grund für Gänsehaut". Einen neuen Vorstoß zur Beendigung der Dauerveranstaltung planen aber zur Zeit weder sie, noch die Wählergemeinschaft. Und auch das örtliche Alstergymnasium will weiterhin einzelne Militärs in den Unterricht holen, um sich dort mit Geflogenheiten ihrer Heimatländer auseinanderzusetzen: Laut Schulkoordinator Dr. Rolf Schulte hat die Schule jedoch ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Offiziere und bereitet die betroffenen SchülerInnen auf das Zusammentreffen vor. So kam es beim Besuch eines Lehrgangsteilnehmers aus Mali zu einer lebhaften Diskussion über die dort noch immer praktizierte Beschneidung junger Mädchen, ein Soldat aus Pakistan bekannte sich in der Diskussion mit den Ulzburger GymnasiastInnen ausdrücklich zur Demokratisierung seines Landes.

Trotz der ernüchternden Resultate seiner Recherchen spricht sich übrigens auch Markus Frenzel nicht generell gegen die militärischen Lehrgänge aus: "Grundsätzlich sind diese Militärkooperationen gut", sagte der Journalist kürzlich dem Hamburger Abendblatt, "sie können einen Impuls für junge, vielleicht noch instabile demokratische Regierungen geben". Wenn aber so gut wie keine Auswahl bei den Lehrgangsteilnehmern erfolgt, Militärs aus Diktaturen aller Erdteile ausgebildet werden und daher ein Konzept zur stärkung demokratischer Bestrebungen nicht erkennbar ist - worum geht es dem Verteidigungsministerium bei den Kooperationen wirklich? Vielleicht gibt ein - sagen wir mal: spezieller - Kooperationspartner der Bundeswehrführungsakademie Aufschluss, oder zumindest einen Hinweis: Nach Informationen des Infoarchivs besuchen die Hamburger Lehrgangsteilnehmer unter anderem auch den würtembergischen Infanteriewaffen-Hersteller Heckler & Koch, und damit eben jenes Rüstungsunternehmen, das zuletzt regelmäßig staatsanwaltliche Ermittlungen auf sich zog, weil seine Waffen in zahlreichen Krisenherden dieser Welt auftauchten. Von der Führungsakademie wollten wir deshalb wissen, ob Besuche in Rüstungsunternehmen zum regelmäßigen Lehrgangsinhalt des LGAI gehören: Doch ebenso wie das Hamburger Abendblatt und viele andere Medien erhielten wir von Pressesprecher Engelhardt statt Antworten nur ein paar nichtssagende Allgemeinplätze.

2 Kommentare zu diesem Artikel

25.12.2011, 13:21 Uhr 2. Anonymousguter artikel

vielen dank für diesen ausführlichen und informativen artikel! ich finde geraden diesen artikel einen (für euch) beispielhaft guten, weil (internationale und regionale) zusammenhänge themenübergreifend aufgezeigt werden. das zeichnet (guten) journalismus aus. die reflexhafte, relativierende "potentielle" ;) kritik an der überschrift wurde ja bereits im urteil zum tucholsky-zitat juristisch als unberechtigt zurückgewiesen.

23.12.2011, 10:14 Uhr AnonymousPolemik

Wow, mit der Überschrift begebt ihr euch auf Blöd-Zeitungs-Niveau hinab. Oder habe ich irgendwo in dem Artikel überlesen, dass die Gäste beim Preisschießen schon Massenmörder waren? Sie wurden es später, oder? Es hätte dann wohl eher lauten müssen "Preisschießen mit potentiellen / angehenden Massenmördern"
Wo liegt überhaupt der aktuelle Bezug in dem Artikel? Oder geht es nur darum, überdenkenswürdige Praktiken der Vergangenheit aufzudecken?
Was kommt denn dann als nächstes? Wird von euch Erika Mustermann als Nachkomme eines Menschenschlächters geoutet, weil ihr UrUr...Urgroßvater im 30jährigenKireg beim Gemetzel in Magdeburg mitgewirkt hat?
Ihr könnt doch auf einem ganz anderem Level schreiben. Tut das doch bitte auch wieder.