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Donnerstag, 23. Januar 2014, 16:50 Uhr

Von Tellern und Kreiseln

Der Erste Stadtrat und das Holstentor

Thomas Bosse

Baustadtrat Thomas Bosse - den Kreiseln auf der Spur (Foto: W.S.)

Olaf Harning | Noch bevor der wegen fehlender Radwegeverbindungen heiß umstrittene Kreisel Ochsenzoll von einem unabhängigen Gutachter untersucht wird, gerät die Sicht des verantwortlichen Baudezernenten ins Wanken: Bei einem Vergleich mit Kreiseln in Lübeck lag Thomas Bosse glatt daneben.

Radstreifen auf dem "Lindenteller" in Lübeck, Radfahrer

Werden eifrig genutzt: Die Radwege an und auf dem "Lindenteller" zu Lübeck (Foto: Warda)

Es klang überzeugend, was Bosse da Mitte November in der Stadtvertretung vortrug. Radfahren auf der Fahrbahn des Kreisel Ochsenzoll? Das wolle doch nun wirklich niemand und das sei bei einem zweispurigen Kreisel mit täglich fast 40.000 Fahrzeugen auch gar nicht möglich. Und wer daran zweifele, dass Norderstedt bei Bau und Planung des Knoten Ochsenzoll Fehler gemacht habe, solle sich doch bitte einmal "den Kreisel am Lübecker Holstentor" anschauen, da sei es nämlich genau so. Dumm nur, dass sich mittlerweile wirklich jemand in Lübeck umgeschaut hat - und wie.

In einem Artikel unter dem Motto "Norderstedts Baudezernent Thomas Bosse hat keine Ahnung von Kreisverkehren und Radverkehr" stellt der Hamburger Verkehrsexperte Stefan Warda in seinem Blog hamburgize.com anschaulich dar, dass der Lindenkreisel im Gegenteil zu Bosses Äußerungen nicht nur über mehr Querungen als der Bau am Ochsenzoll verfügt, sondern auch vollständig für den Radverkehr geöffnet ist und von Radlern genutzt wird. Das Ganze bei täglich 55.000 Fahrzeugen: Am Ochsenzoll fahren - den Verkehr durch den Tunnel abgezogen - allenfalls 30.000 Fahrzeuge durch den Kreisel. "Was ins Lübeck selbstverständlich und erlaubt ist, kann sich Bosse offenbar nicht vorstellen", so Warda, "er hätte für seine abwegige Argumentation ein anderes Beispiel nehmen müssen."

Radfahrer auf dem "Lindenteller"

In Norderstedt undenkbar: Radverkehr auf dem Lübecker "Lindenteller", 55.000 Fahrzeuge täglich (Foto: Warda)

Und genau das tut er jetzt, oder sagen wir: Er lässt es tun. Während sich Thomas Bosse selbst gegenüber dem Infoarchiv nicht zu seinem havarierten Kreisel-Vergleich äußern möchte, weder auf Mails, noch auf Anrufe reagiert, meldete sich stattdessen Norderstedts Pressesprecher Hauke Borchardt zu Wort und hatte eine durchaus interessante Erklärung anzubieten: Als Bosse nämlich in der Stadtvertretung vom Kreisel am Holstentor sprach, meinte er gar nicht den Kreisel am Holstentor. Sondern einen, den er kürzlich - gemeinsam mit Borchardt und OB Hans-Joachim Grote - per Auto durchfahren hatte. Irgendwo in Lübeck. Aus Richtung Bad Oldesloe kommend. "Und da", erinnert sich Borchardt, "haben wir tatsächlich keinen Radweg gesehen.

Flashmob auf dem Lübecker Mühlentor-Kreisel.

Nun ist es ja nicht so, dass Lübeck nur einen Kreisel hätte. Sechs sind, es um genau zu sein, sechs Kreisel oder wie man in Lübeck sagt: Sechs "Teller". Aber so sehr und wohlwollend man auch auf der Karte sucht: So wirklich in Richtung Bad Oldesloe liegt keiner. Auch im Lübecker Bauamt und der Bauaufsichtsbehörde der Hansestadt herrscht zunächst Ratlosigkeit: Alle sechs "Teller" in Lübeck verfügen über Radverbindungen. Entweder wird der Radverkehr über die Fahrbahn geführt, oder es gibt mehr oder weniger komfortable Radstreifen und/oder Radwege um die Kreisel herum. Dann aber, dann fällt einer Mitarbeiterin doch noch der Kreisel auf, um den es gehen könnte: Von der Autobahn aus Bad Oldesloe kommend könnte die illustre Fahrzeugbesatzung aus Norderstedt den unübersichtlichen "Lohmühlenteller" passiert haben. Und der ist für den Radverkehr - sagen wir mal - zumindest suboptimal erschlossen. Radwege gibt es aber natürlich auch dort.

Radfahrer auf dem Zebrastreifen am Knoten Ochsenzoll

Lex Norderstedt: Ein Zebrastreifen als Querung für Radfahrer (Foto: Infoarchiv)

Nun könnte man noch lange in der Wunde bohren oder es bleiben lassen, Tatsache ist: Der Baudezernent stellte sich Mitte November vor die Stadtvertretung und brachte wortgewaltig einen Kreisel als Argument für seine Sicht der Dinge, den er einige hundert Meter nach der Autobahnabfahrt aus einem fahrenden Auto betrachtet hat. Würden Sie diesem Mann einen Gebrauchtwagen abkaufen?

Der erste zweispurige Kreisverkehr der Norderstedter Stadtgeschichte jedenfalls ist mittlerweile fast 100 Tage in Betrieb und - immerhin - er hat noch keinen schweren Unfall erlebt. Das bestätigt auch Kai Hädicke-Schorries, Verkehrsspezialist bei der Norderstedter Polizei. "Wir haben uns mit der Stadt verständigt, nach drei Monaten eine erste Bilanz zu ziehen", sagt er, "und bislang sieht die positiv aus." Nach wie vor hält er die von der Stadt angeordnete Radwegebenutzungspflicht rund um die Kreiselfahrbahn für korrekt, auch wenn die Rad- und Gehwegbreiten an vielen Stellen nicht die eigentlich dafür vorgeschriebenen Mindestbreiten erfüllen. Daher ist es Radlern aus Sicht der Norderstedter Polizei nach wie nicht gestattet, den Kreisel selbst zu durchfahren, auch wenn Hädicke-Schorries zugibt: "Für versierte Radfahrer ist das gar kein Problem." Es gebe aber nun einmal nicht nur versierte Radfahrer und das müsse bei Planung einer solchen Anlage berücksichtigt werden.

Licht ins Dunkel der Frage, was denn nun aus dem Kreisel-Streit werden soll, kommt vermutlich in den nächsten Monaten. Vielleicht ein Vierteljahr wird es dauern, bis das Ergebnis eines Sicherheitsaudits vorliegt, das der Ausschuss für Stadtentwicklung und Verkehr kürzlich auf Antrag der LINKEN beschloss. "Das Ausschreibungsverfahren für das Gutachten läuft", verkündete Thomas Bosse dort am vergangenen Donnerstag. Mit dem Ausschuss spricht er noch.

Ein Kommentar zu diesem Artikel

25.01.2014, 18:58 Uhr AnonymousSchiebekreisel - Autokreisel - Verkehrskreisel

Vielleicht fand Herr Bosse inzwischen Zeit, in die Straßenverkehrsordnung zu schauen, oder er findet doch noch die Radwege, die der ADFC bisher vergeblich gesucht hat. Er hat zumindest schon seit Wochen nicht mehr mit Bussgeldern gedroht.

Die Polizei hat vermutlich noch nicht die Zeit zum Lesen gehabt, soll sich ja auch mehr darum kümmern, Räuber zu fangen.

Positives gibt es auch zu berichten:
Beim NoA4-Presse-Termin kannte die Polizei sogar schon die Verkehrsregeln zum Radfahren auf Zebrastreifen: Radfahrer dürfen dort fahren, genießen aber nicht Vorfahrt und Schutz des Zebrastreifens. Den haben nur Fußgänger. Sogar dieser Hinweis kam: Wenn es zum Unfall kommt, ist der Radfahrer in Mithaftung. Alles klar, ist ja auch kein Verkehrskreisel, sondern ein Autokreisel.
Falls Herr Bosse zustimmt, brauchen wir also nicht mehr zu schieben? Das wäre zumindest mal ein kleiner Schritt.
Bisher nicht erwähnt ist eine weitere Rarität:
Fahrrad-Tunnel mit Radfahrverbot.