Umstrukturieren, Flexibilisieren, Liquidieren |
Kolumbianische Gewerkschafter in Norderstedt |
Am 21. September veranstaltet das Info Archiv Norderstedt einen Informationsabend zur Lage der Gewerkschaften in Kolumbien. Javier Correa (Präsident der Lebensmittelgewerkschaft SINALTRAINAL) und sein Stellvertreter Edgar Paez berichten in den Räumen des Archivs in der Waldstraße 41 über die katastrophale Lage ihrer Organisation und die politische Situation im Kolumbien des paramilitärischen Terrors.
Neben Correa und Paez werden an diesem Tag auch einige Berliner AktivistInnen aus der Kolumbien-Solidarität nach Norderstedt kommen, unter ihnen voraussichtlich auch der Autor Raul Zelik, der bereits mehrere Bücher zur Lage in Kolumbien veröffentlicht hat.
Gemeinsam wollen sie einen aktuellen Einblick in die Politik des neu gewählten Präsidenten Álvaro Uribe Vélez geben, den fortgesetzten Terror gegen GewerkschafterInnen und MenschenrechtlerInnen thematisieren sowie die aktuelle Kampagne gegen die Konzerne Coca-Cola und Nestlé vorstellen, die der direkten wie indirekten Zusammenarbeit mit rechtsextremistischen Paramilitärs bezichtigt werden.
Seit Jahren werden in Kolumbien von Armee und Paramilitärs regelmäßig GewerkschafterInnen und betriebliche AktivistInnen ermordet - jährlich mehr als 300 GewerkschafterInnen sterben durch Attentate, weitaus mehr fliehen vor ihrer drohenden Ermordung.
Die SINALTRAINAL vertritt ArbeiterInnen in den Unternehmen Coca-Cola, Nestlé, Fruco C.P.I., Indunal S.A., Meals de Colombia (u.a.), von denen in den letzten Jahren mehr als 20.000 ArbeiterInnen entlassen und durch temporäre Arbeitskräfte ersetzt wurden. Alleine der Coca-Cola-Konzern baute zuletzt mehr als 10.000 feste Arbeitsverhältnisse ab. Die Mitgliederzahlen der SINALTRAINAL sind in den letzten 10 Jahren als Folge des latenten Terrors von 5.400 auf 2.300 gesunken. Alleine 15 Funktionäre dieser Gewerkschaft wurden in den letzten Monaten ermordet (davon 8 bei Coca-Cola), rund 50 befinden sich im Exil.
Und während das Info Archiv noch die kommende Veranstaltung vorbereitete, erschossen Paramilitärs am 31. August den ehemaligen Vizepräsidenten des gewerkschaftlichen Dachverbandes CUT in der Atlantik-Region - Jesús Múnera López - vor dem Haus seiner Mutter in der Küstenstadt Barranquilla. Schon im Mai 1997 hatten offizielle Armee-Einheiten sein Haus in der Stadt niedergerissen, worauf hin er aus der Region fliehen mußte. 10 Tage vor seiner Erschießung hatte Jesús in letzter Instanz einen Prozeß gegen Coca-Cola gewonnen und hätte in den nächsten Tagen wieder eingestellt werden müssen. Vier Kopfschüsse und ein Brustschuß haben dieses Urteil auf kolumbianische Weise wieder aufgehoben.
Die Veranstaltung am 21. September wird mit dem Zusammentreffen der Kolumbianer und einigen örtlichen GewerkschafterInnen beginnen, wobei es ab 16 Uhr um Erfahrungsaustausch und möglicherweise gemeinsame Perspektiven der Internationalen Solidarität gehen soll. Ab 19.30 Uhr lädt das Info Archiv dann zur Informationsveranstaltung über die politische Lage in Kolumbien.
Um Interessierten einige Hintergrundinformationen an die Hand zu geben, dokumentieren die Nadelstiche im folgenden ein Interview, dass Dario Azzellini kürzlich für "Labournet Germany" mit einem Aktivisten der SINALTRAINAL führte.
Von der kolumbianischen Ernährungsmittelgewerkschaft SINALTRAINAL könnten wir in Europa viel lernen. Obwohl die zum Dachverband CUT gehörende Branchengewerkschaft aufgrund von Anschlägen und Entlassungen auf inzwischen unter 2000 Mitglieder geschrumpft ist, gehen von ihr immer noch zahlreiche Initiativen aus. SINALTRAINAL beschränkt sich nicht auf die Interessenvertretung der Belegschaften. Sie begreift gewerkschaftlichen Kampf auch als politische Auseinandersetzung. In diesem Zusammenhang unterstützt die Gewerkschaft die Organisierung von Kleinbauern oder führt Solidaritätsaktionen für Flüchtlinge durch. Bei den Tarifverhandlungen bringt die Gewerkschaft Sozialprogramme in Slums, die Verwendung genetisch manipulierter Produkte und ökologische Fragen der Getränkeproduktion zur Sprache. SINALTRAINAL unterstützt (fast als einzige Organisation) die streikenden Blumenarbeiterinnen in der Sabana de Bogotá und hat mit den "proyecto agroalimentario" auch einen Vorschlag ausgearbeitet, wie der Hunger in Kolumbien beseitigt werden könnten: nämlich durch den Aufbau von Konsumenten- und Produzentenkooperativen. Wegen dieser politischen Aktivitäten ist die Gewerkschaft heute Ziel von Anschlägen. Gewerkschaften wird - nicht nur in Kolumbien - häufig vorgeworfen, sich nur für die eigenen Mitglieder einzusetzen. Wenn sie jedoch darüber hinaus gehen, droht ihnen ein Schicksal wie das von SINALTRAINAL.
Unter welchen Bedingungen arbeiten Gewerkschafter in Kolumbien?
In keinem Land der Welt sterben so viele Gewerkschafter eines gewaltsamen Todes wie in Kolumbien. Fast 160 waren es im vergangenen Jahr, nahezu 4000 im Laufe des vergangenen Jahrzehnts. Auffällig ist dabei die Zunahme der Morde während Arbeitskämpfen und Betriebskonflikten. D. h. Gewerkschaftsführer sind meist bewaffnet, haben auf jeden Fall bewaffnete Leibwächter und gepanzerte Fahrzeuge und auch die Gewerkschaftszentralen sind gepanzert und mit Kameras ausgerüstet. Darüber hinaus darf ein Gewerkschafter niemals in Routine verfallen, das wäre sein sicherer Tod. Er darf nie zweimal hintereinander den gleichen Weg gehen, er darf keine regelmäßigen Termine oder Zeitabläufe haben und er muss immer sehr aufmerksam beobachten, was um ihn herum passiert. Aber selbst das kann sie meistens nicht vor dem Tod retten. Als z. B. Anfang Dezember vergangenen Jahres Aury Sará Marrugo, Vorsitzender der Erdölgewerkschaft USO in Cartagena, entführt, brutal gefoltert und ermordet wurde, waren daran 15 bestens bewaffnete und ausgerüstete Paramilitärs beteiligt. Gegen eine solche Übermacht kann man nicht viel unternehmen.
Wann begann der organisierte militärische Angriff auf die Gewerkschaften?
In den 80er Jahren. Führend daran beteiligt sind transnationale Unternehmen wie Coca Cola. Die Methoden reichen von Drohungen, Verschleppungen und Folter bis hin zu Mord. Bei einer Feier 1996 mit viel Alkohol verkündete Mario Mosquera, Firmenleiter von Panamco (dem kolumbianische Coca Cola-Abfüller) in Carepa lauthals, dass er mit Hilfe der Paramilitärs der Gewerkschaft ein Ende setzen werde. Seitdem sind in Carepa mehrere Gewerkschaftsaktivisten ermordet worden, und die Paramilitärs bewegen sich ungestört auf dem Werksgelände. Von der kolumbianischen Regierung ist keine Hilfe zu erwarten. Bisher blieben alle diese Verbrechen ungeahndet. Schlimmer noch. Als Coca-Cola einmal fünf Gewerkschaftsführer des Terrorismus anklagte, wurden sie anderthalb Jahre lang inhaftiert. Dann wurden sie einfach freigelassen, da der Vorwurf absurd war. Aber sie bekamen keine Entschädigung, und es wurde auch nicht erklärt, warum sie überhaupt 18 Monate lang festgehalten wurden.
Was steht hinter diesen Angriffen auf Gewerkschafter?
Anfang der 90er Jahre arbeiteten in den verschiedenen Coca-Cola-Niederlassungen Kolumbiens etwas über 10.000 Arbeiter, sie verfügten alle über unbefristete Verträge und ein durchschnittliches Einkommen von 600-700 US-Dollar. Heute, nach einer grundlegenden Umstrukturierung des Unternehmens, haben nur noch etwa 2.500 Arbeiter Verträge von Coca-Cola, aber nur 500 davon feste Verträge, weitere 7.500 sind über Subunternehmer beschäftigt. Ihr durchschnittliches Monatseinkommen beträgt nur noch etwa 150 US-Dollar. Im Zusammenhang mit 2 Streiks wurden bei Coca-Cola Kolumbien 1995/1996 sieben unserer Gewerkschaftsführer ermordet, über 50 mussten ihre Regionen verlassen, und über 6000 der insgesamt 10.000 Beschäftigten wurden während des vergangenen Jahrzehnts ausgetauscht. Die Zahl unsrer Mitglieder bei Coca-Cola sank von ehemals 2.500 auf nur noch 500. Doch auch den mit Hilfe des Unternehmens gegründeten neuen Mini-Gewerkschaften, die im Sinne von Coca-Cola handeln sollen, ergeht es nicht gut, sobald sie zu viel fordern. Im vergangenen Jahr musste die unternehmertreue Kleinstgewerkschaft Sinaltrainbec diese Erfahrung machen, als zwei ihrer Vertreter von Paramilitärs ermordet wurden.
2001 reichte die Gewerkschaft Sinaltrainal eine Zivilklage gegen den Konzern in Florida ein. Wie sieht es aktuell aus?
Die Klage wurde zugelassen und befindet sich in der Phase der Beweisaufnahme. Wir wollen erreichen, dass die Verantwortung des Konzerns für die Übergriffe und Morde an Gewerkschaftern festgestellt werden, eine moralische und ökonomische Entschädigung für die Opfer erfolgt und auf die Situation der Gewerkschaften in Kolumbien aufmerksam gemacht wird. Unterstützt werden wir dabei von dem 20 Millionen Mitglieder fassenden US-amerikanischen Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO, den Transportarbeitern der Teamsters, der Metallarbeitergewerkschaft, der internationalen Union der Lebensmittelarbeitergewerkschaften (IUL). Doch die Klage allein ist unserer Ansicht nach nicht ausreichend. Gemeinsam mit den genannten Gewerkschaften und dem kanadischen Gewerkschaftsdachverband WCA, vielen schwarzen Gemeinden, protestantischen Kirchen und zahlreichen weiteren Organisationen bereiten wir für den 22. Juli in Atlanta / Georgia, wo sich die Coca-Cola-Firmenzentrale befindet, ein öffentliches Tribunal gegen Coca-Cola vor. Solche Tribunale wollen wir dann auch am 10. Oktober in Brüssel und am 5. Dezember in Bogotà veranstalten. Coca-Cola soll mit dieser globalen Kampagne gezwungen werden einen Verhaltenskodex mit den Gewerkschaften zu unterschreiben, der derartige Menschen- und Arbeitsrechtverletzungen wie in der Vergangenheit ausschließt.
Wie hat den Coca-Cola auf die Klage reagiert?
Coca-Cola scheint sehr um das eigene Image besorgt zu sein. Sie streiten jede Verantwortung und Verwicklung in die Geschehnisse ab und haben eine Klage wegen Verleumdung und üble Nachrede gegen uns eingereicht. Auch die US-Regierung hat sich sehr für den Fall interessiert. Jetzt bekommen wir ständig Besuch von Vertretern des US-Außenministeriums und der US-Botschaft in Kolumbien, die uns sagen, die Weltlage sei nicht so, wie wir sie sehen, und wir sollten noch einmal überlegen, ob es nicht außergerichtliche Alternativen gibt, um Probleme zu lösen. Im Januar wurde in Bogotá auch ein ehemaliger Coca-Cola-Arbeiter von Paramilitärs entführt und bedroht. Es wurde ihm gesagt, wenn er seine Aktivitäten fortsetze, würden sie ihn töten. Zwei weiteren Ex-Coca-Cola-Arbeiter, die in dem Verfahren als Zeugen auftreten sollen, wurde mitgeteilt, die Paramilitärs würden sie suchen, um sie zu ermorden. Der Konzern soll damit nichts zu tun haben?
Wie sieht den die Verwicklung des Staates in diese Verbrechen aus?
Die Paramilitärs sind integraler Bestandteil der staatlichen Strategie. Die Verbindungen der Armee zu den Paramilitärs sind so eng, dass die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch im vergangenen Jahr die Paramilitärs als die "VI. Division der Streitkräfte" bezeichnete. Ein sehr konkretes Beispiel: Im Dezember 2000 wurde ein Mordanschlag auf den Vorsitzenden der Gewerkschaft der staatlichen Angestellten Wilson Borja verübt. Er entging dem Tod nur knapp, und bei dem Feuergefecht zwischen seinen Leibwächtern und den Attentätern wurde ein Paramilitär erschossen. In seinem Mobiltelefon waren die Telefonnummern mehrerer hoher Repräsentanten der Sicherheitskräfte und der Armee gespeichert. Mittlerweile wird gegen einen Polizeikapitän und Militärangehörige ermittelt ... Doch vermutlich wird auch dieses Verbrechen ungestraft bleiben.
Welche Folgen wird die Wahl des neuen Präsidenten Uribe Vélez für Gewerkschaften und soziale Bewegungen haben?
Der Paramilitarismus hat nun noch freiere Hand, die Offensive gegen uns wird intensiver werden. Das heißt, wir haben Solidarität nötiger denn je. Außerdem müssen wir auch innerhalb der kolumbianischen Gewerkschaftsbewegung den Kampf gegen die extreme Rechte aufnehmen. Es gibt bereits einige Gewerkschaften, die von den Paramilitärs übernommen wurden, nachdem die alte Führung ermordet oder ins Exil gezwungen wurde, und diese Gewerkschaften treten in Kolumbien wie international als Arbeitervertretungen auf. Wir müssen dafür sorgen, dass ihre Führer in der Gewerkschaftsbewegung isoliert werden. Letztlich müssen wir dazu kommen eine linke soziale und politische Bewegung aufzubauen, die Alternativen und Vorschläge für die Lösung des Konflikt entwickeln kann.
Welche Vorschläge hat Sinaltrainal für die Zukunft Kolumbiens?
Aus unserer Sicht als Gewerkschaft im Lebensmittelsektor denken wir, dass es notwendig ist, die Monopole aufzulösen, eine Landreform durchzuführen, das Land zu demokratisieren, den Zentralismus des Staates abzuschaffen und den Regionen mehr Entscheidungsspielräume zu geben. Die Produktion sollte darauf ausgerichtet sein, eine regionale und nationale Lebensmittelselbstversorgung zu erzielen ... Wir wollen ein Modell demokratischer Entwicklung, das dem neoliberalen Modell entgegensteht. Kolumbien gehört zu den reichsten Ländern der Welt, was Bodenschätze, Wasser, Anbauflächen, Biodiversität usw. betrifft, und gleichzeitig leben 26 der 43 Millionen Einwohner unterhalb der Armutsgrenze, acht Millionen von ihnen gelten als mittellos und vier Millionen sterben an Hunger. Trotz seines immensen Reichtums gehört Kolumbien zu den zehn Ländern der Erde, in denen am meisten Menschen hungern.
Siehe auch: www.kolumbienkampagne.de: Internationale Kampagne zu Coca Cola