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Dienstag, 21. April 2015, 12:32 Uhr
"Beihilfe zum Tod tausender Menschen"
Infoarchiv Norderstedt | Der Tod von über 1.000 Flüchtlingen im Mittelmeer sorgt auch in Schleswig-Holstein für Entsetzen. Der Flüchtlingsrat in Kiel wirft der europäischen Politik "Versagen" vor.
Flüchtlinge im Mittelmeer: Die überladenen Boote sind für viele Menschen Todesfallen - aber auch die einzige Chance auf ein erträgliches Leben (Foto: micniosi/wikipedia)
Bereits am vergangenen Montag war ein Schiff mit 560 Menschen an Bord vor der libyschen Küste gesunken, rund 400 Flüchtlinge ertranken. In der Nacht zu Sonntag dann die nächste Katastrophe, als das Kentern eines Flüchtlingsschiffes mit bis zu 950 Insassen zu einem der größten Unglücke der Mittelmeer-Schiffahrt geriet. Binnen weniger Stunden sind so mehr als 1.000 Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa ertrunken.
Hintergrund der hohen Opferzahlen ist das Aus der Operation "Mare Nostrum" (Unser Meer), mit der Italiens Marine seit Oktober 2013 versuchte, das Massensterben im Mittelmeer zu beenden. Weil die meisten EU-Staaten, darunter auch Deutschland, eine Beteiligung an den Kosten von monatlich 9 Millionen Euro ablehnten, beendete Italien sein Engagement Ende letzten Jahres und die umstrittene Grenzschutzagentur Frontex übernahm. Doch die hat lediglich die Aufgabe, die Außengrenzen der EU zu sichern, nicht Menschen zu retten. Und so fing das Sterben wieder an - unter den Augen der EU-Politiker.
Für den schleswig-holsteinischen Flüchtlingsrat (FRSH) dokumentieren die jüngsten Vorfälle dann auch nicht weniger, als "das Versagen er europäischen Flüchtlingspolitik". Selbst in Reaktion auf das erneute Schiffsunglück, schreibt etwa FRSH-Geschäftsführer Martin Link, "fällt dem deutschen Außenminister Frank Walter Steinmeier nur ein, die `Verbesserung der Lebensverhältnisse in der Heimat der Flüchtlinge´ zu fordern." Doch wo dies tatsächlich möglich sei, so Link weiter, "lässt es Europa an politischen Initiativen für eine stärkere wirtschaftliche Einbindung fehlen", überlasse beispielsweise den Kosovo - das "Armenhaus Europas" weitgehend seinem Schicksal. Hinsichtlich der aktuellen Kirsenherde Syrien, Afghanistan oder Irak erscheine das Gerede von der "Bekämpfung der Fluchtursachen" wie ein Plazebo, um von den eigentlichen Fragen abzulenken: "Wie kann eine funktionierende Seenotrettung im Mittelmeer aufgebaut werden, wie ermöglichen wir Flüchtlingen z.B. aus Syrien, eine gefahrlose Flucht nach Europa?"
Auch der Hochkommissar der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, forderte Europa angesichts der Opferzahlen auf, mehr zur Rettung der Flüchtlinge zu tun. Es sei bedauerlich, dass "Mare Nostrum" ohne hinreichenden Ersatz ausgelaufen sei. "Wir appellieren an alle Regierungen der betroffenen Region", so Guterres, "der Rettung von Menschenleben Priorität einzuräumen." Und die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl erneuerte ihre Forderung nach einer effektiven Seenotrettung im Mittelmeer und kritisiert bitter: "Deutschland und Europa leisten Beihilfe zum Tod tausender Menschen."
Bundesinnenminister Thomas De Maizière (hier seine Position zur Mittelmeer-Problematik im Herbst 2014) lässt sich von all dem nicht aus der Ruhe bringen: Noch unmittelbar nach dem Unglück vom Montag lehnte er eine EU-Seenotrettung mit der Begründung ab, die wäre "das beste Geschäft für Schlepper". Wie auch andere Bundespolitiker vertritt er die These, dass Flüchtlinge die gefährliche Reise über das Mittelmeer vor allem dann antreten, wenn ihnen auf der anderen Seite Hilfe möglich scheint. In der realen Welt kommen die Menschen jedoch, weil sie in ihrer Heimat keine Lebensgrundlage mehr sehen und alle Brücken abgebrochen haben - Gefahren oder schlechte Aussichten auf Asyl werden sie also in keinem Fall von der Überfahrt abhalten.