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Samstag, 29. März 2003, 1:00 Uhr

Aktion gegen Neonazis in Itzstedt

Aufforderung an die AnwohnerInnen: "Greift ein !"

Info Archiv | Wie wir bereits berichteten, bedrohen die Jungnazis seit mehr als einem Jahr die kurdische Familie E. und auch andere ausländische EinwohnerInnen des Ortes. Im Januar warfen sie zwei faustgroße Steine durch die Scheiben des Wohnhauses der Familie.
Die TeilnehmerInnen der heutigen Aktion trafen in Itzstedt fast ausschließlich auf Zustimmung. Viele der EinwohnerInnen sagten, sie hätten bislang nichts von den Übergriffen der jungen Neonazis gewußt, andere kannten und verurteilten deren Taten. Mehrfach wurde den AntifaschistInnen zugerufen, es sei gut, dass sie nach Itzstedt gekommen sind.
Derweil sind die Rechtsradikalen vorsichtiger geworden. Zwar wurden auch in den letzten Wochen immer wieder ausländische EinwohnerInnen von den Halbstarken beschimpft, zwar zeigten die Täter mehrfach den Hitlergruß. Direkte Übergriffe blieben zuletzt jedoch aus.
Tatsächlich geraten die Neonazis in Itzstedt unter Druck. Schon nach Bekanntwerden der Übergriffe durch einen Artikel der Kieler Zeitschrift "Gegenwind" war das Landeskriminalamt im Ort vorstellig geworden. Dabei machten die Beamten deutlich, dass auch in Kiel sehr wohl bekannt ist, wer für die rassistischen Angriffe verantwortlich ist. Offen bleibt in diesem Zusammenhang allerdings, warum gegen die Neonazis noch nichts zählbares unternommen wurde.
Aber auch im Ort selber regt sich Widerstand: In den Wochen nach der "Gegenwind"-Veröffentlichung meldeten sich mehrere AnwohnerInnen bei Familie E. und bekundeten den KurdInnen aus der Region Diyabakir ihre Solidarität. Die Kirchengemeinde Itzstedt hat ebenfalls in den Konflikt eingegriffen: In Gesprächen mit den Eltern der Neonazis will man Druck aufbauen, außerdem sind Diskussionen in der Kirchengemeinde geplant. Spätestens seit dem heutigen Samstag dürfte sich überdies das Problem im gesamten Ort herumgesprochen haben. In dem verteilten Flugblatt werden die EinwohnerInnen nachdrücklich aufgefordert, "nicht wegzusehen" und den Neonazis zu zeigen, "dass es in Itzstedt keinen Platz für ihre plumpe, menschenverachtende Weltanschauung gibt". Die Flugblattverteiler kündigten schließlich an, "die rechte Szene in Itzstedt in den nächsten Monaten sehr genau im Auge" zu behalten.

Siehe auch Artikel link news:1045084726943"Neonazi-Terror in Itzstedt"link.

Liebe Itzstedterinnen, liebe Itzstedter !

Seit mehr als einem jahr wird in Ihrer Nachbarschaft eine kurdische Familie von etwa einem Dutzend junger Rechtsextremer bedroht. nach monatelangen Beschimpfungen und Übergriffen auf der Straße klirrten Anfang Januar die Scheiben.

Seit nunmehr vier Jahren wohnt die Familie E. hier in Itzstedt. Sie mußten aus der Türkei fliehen, weil sie Kurden sind. Das ursprüngliche, kurdische Siedlungsgebiet wurde nach dem 1. Weltkrieg zwischen den neu entstandenen Staaten Syrien, Irak, Türkische Republik und dem Iran aufgeteilt. Mit 25-30 Millionen Menschen ist das kurdische Volk weltweit das größte Volk ohne eigenen Staat.+
Seit 1979 werden regelmäßig Razzien des Militärs in den kurdischen Dörfern durchgeführt. Seit August 1984 führt die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) einen Guerillakrieg gegen militärische und zivile staatliche Einrichtungen, aber auch gegen KurdInnen, die der Zusammenarbeit mit dem Staat bezichtigt werden. Dieser Konflikt wird von der türkischen Regierung nicht mit politischen Mitteln unter Einbeziehung der politisch arbeitenden kurdischen Opposition geführt, sondern mit brutalem militärischen Einsatz, der keine Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nimmt. Dem Bericht einer Untersuchungskommission des türkischen Parlamentes von 1998 zufolge wurden insgesamt 3.428 Dörfer zerstört und drei Millionen KurdInnen zu Flüchtlingen.
Zu diesen politisch Verfolgten gehört auch die Familie E., die im Jahre 1996 nach Deutschland floh, nachdem Spezialeinheiten der türkischen Armee in ihr Heimatdorf kamen. Damals war der Krieg der türkischen Regierung gegen die kurdische Bevölkerung auf ihrem Höhepunkt. Familie E. verließ ihre Heimat in der Hoffnung, in Deutschland einen sicheren Aufenthaltsort zu finden. Doch seit gut einem Jahr werden side auch hier weiter terrorisiert: Auf der Tankstelle gegenüber ihres Wohnhauses und auf einem nahegelegenen Spielplatz treffen sich seit dieser Zeit junge Rechtsradikale, die die Familie anpöbeln, ihnen sogar massive Gewalt androhen, sie werden als "Scheiss-Ausländer" und "Türken" beschimpft.
Als die Jugendlichen Anfang Dezember 2002 wieder einmal zum Haus kamen, ging der Vater der Familie auf sie zu. "Wir sind nicht freiwillig hier", versuchte er zu erklären. "Wir mußten fliehen." Doch das interessierte die rechtsextremen Jugendlichen nicht - Türken, Kurden, Ausländer, alle sollten verschwinden, Itzstedt wolle "deutsch bleiben". Ein paar Tage später wurde die Mutter bedroht, als sie mit ihrem kleinen Neffen Einkaufen ging. Jugendliche fuhren mit Motorrädern direkt auf sie zu und drohten, das kleine Kind zu verprügeln.
Anfang Januar 2003 klirrten nachts, kurz nach Mitternacht die Scheiben: Zwei große Steine wurden durch das Fenster ins Badezimmer geworfen, so groß, dass die älteste Tochter der Familie sie kaum längere Zeit halten kann, groß genug, um Menschen schwer zu verletzen. Seitdem kann die Familie schlecht schlafen, irgend jemand bleibt immer wach. Als sich Tage später die Jugendlichen wieder bei der Tankstelle sammelten, gingen die beiden großen Söhne gleich zu ihnen herüber, fragten, warum sie das immer wieder machten. Sie wurden mit "Heil Hitler" begrüßt und beschimpft. Außerdem wurde ihnen gedroht, dass demnächst ihr Haus brennen würde . . .
Nicht nur Familie E. wird von den jungen Rechtsradikalen bedroht, auch mehrere andere Familien und Einzelpersonen ohne deutschen Paß wurden in den letzten Monaten von ihnen angegriffen und zum Teil krankenhausreif geprügelt. Mehrere "Ausländer" sollen Itzstedt wegen solcher und ähnlicher Vorfälle bereits verlassen haben.
Fassen wir zusammen: Ein kanppes Dutzend Jugendlicher zieht durch Itzstedt, bedroht und verprügelt ausländische EinwohnerInnen. Dabei rotten sie sich wahlweise mitten im Wohngebiet oder neben der örtlichen Tankstelle an der B432 zusammen, trinken sich Mut an und gröhlen rassistische und neofaschistische Parolen.

Unbemerkt ?

Sind sie Ihnen nie aufgefallen, diese Jugendlichen, die Ihren NachbarInnen das Leben zur Hölle machen ?

Wir hoffen, dass es in Itzstedt viele Menschen gibt, die von diesen Vorgängen bisher nichts wußten, aber sehr wohl etwas dagegen einzuwenden haben, wenn ihre MitbürgerInnen angegriffen werden.

Wir bitten Sie daher, künftig nicht wegzusehen. Greifen Sie bei verbalen oder körperlichen Übergriffen der Rechtsradikalen ein. Zeigen Sie diesen Leuten, dass es in Itzstedt keinen Platz für ihre plumpe, menschenverachtende Weltanschauung gibt. Erklären Sie sich mit Familie E. und anderen Betroffenen solidarisch !

Wir sind uns sicher, dass der öffentliche Druck, den Sie aufbauen, das Treiben der Neonazis schnell beenden kann. Dennoch: Auch wir - AntifaschistInnen aus Hamburg und Schleswig-Holstein - werden die rechte Szene in Itzstedt in den nächsten Monaten sehr genau im Auge behalten.

Veröffentlicht in Faschismus/Antifaschismus mit den Schlagworten Antifa, Neonazis, Schleswig-Holstein