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Montag, 12. Juli 2004, 2:00 Uhr

"Alle sind sich einig, keiner will zahlen...".

Kreis verweigert Hilfen für Obdachlose

Infoarchiv Norderstedt | Immerhin in zwei Punkten herrscht zwischen Stadt Norderstedt und Kreis Segeberg Einigekit :
Erstens sind sich beide Parteien darüber im Klaren, dass der Kreis Segeberg für die Betreuung der BewohnerInnen der Obdachlosenunterkunft zuständig ist (was die Eingeschnapptheit des Landrats erklärt, der sich in dieser Angelegenheit nicht von den Nordersteder PolitikerInnen auf die Finger gucken lassen will). Zweitens : Einigkeit herrscht außerdem auch in der Einschätzung der katastrophalen Zustände der Einrichtung am Langenharmer Weg. Immer wieder gelangte die Unterkunft in den letzten Monaten mit erschreckenden Schlagzeilen auf die Titelseiten der Zeitungen. Es war von einem Tötungsdelikt, Suizidversuchen,
Selbstverletzungen und regelmäßigen Polizeieinsätzen zu lesen. Die einzige "Bezugsperson" für die Menschen in den Unterkünften ist bisher der Hausmeister, der für das "Allernötigste" zuständig ist.

Schon im Januar richtete sich der ehrenamtliche Arbeitskreis Obdachlosigkeit (AOK) an die Öffentlichkeit. Er forderte nicht nur einen ständigen sozialpädagogischen Ansprechspartner vor Ort, sondern er kritisierte auch, dass die wohnungslosen Menschen ausnahmslos in Mehrbettzimmern untergebracht werden. Eine solche Unterbringung ist für wenige Tage sicherlich hinnehmbar, Fakt ist aber, dass die Mehrheit der NutzerInnen Jahre, ja sogar Jahrzehnte in der Wohnstätte verbringen, weil sie auf dem offenen Wohn- und Arbeitsmarkt überhaupt keine Chancen haben.
Landrat Gorissen geht sogar soweit, die Forderung nach einer halben Betreuungsstelle für viel zu bescheiden zu erachten. Wenn es nach ihm ginge, wären 1,5 Stellen nötig, um nicht nur weitere Katastrophen zu verhindern, sondern auch um mit den Betroffenen eine Perspektive außerhalb der Notunterkunft zu erarbeiten. Aber zahlen will der Kreis dafür nicht.

In Sachen verweigerter Hilfen befindet sich der Landrat in allerbester Gesellschaft. Synchron zu Gorissens Absage an den Norderstedter Sozialausschuß traut sich sein Pinneberger Kollege gar noch einen Schritt weiter : Wolfgang Grimme(CDU) wagt einen Tabubruch und plant, gesetzlich vorgeschriebene Leistungen des Kreises zu kürzen oder einzustellen. Ein Gesetzesbruch auf Kosten der Ärmsten. Kein Wunder, dass Segebergs Landrat Georg Gorrissen "viel Verständnis" für diese Leistungsverweigerung hegt und die Empfehlung ausspricht, eine "solidarische Aktion" aller Landräte in Schleswig-Holstein zu initiieren, um so auf die akute Finanznot der Kreise aufmerksam zu machen. Solidarisch erklärt wird sich mit solch kriminellen Aktionen wie etwa :
- Kürzungen bei der Lebensmittelaufsicht, dem Schul- und Sportstättenbau.
- Rigorose Einsparungen im Sozialbereich. Pinnebergs Landrat Grimme schwärmt davon, dass zum Beispiel die Einstellung der Zuschüsse für die Suchtberatung im Kreis Pinneberg
485 000 Euro jährliche Einsparung brächten.
- Kürzungen bei den Hilfen zum Leben.
- Insgesamt könnten nach dem "Konsolidierungsstrategiepapier" des Landrates etwa 100 Arbeitsplätze eingespart werden.

Zurück nach Norderstedt :"Die vom Kreis durchgeführten Maßnahmen zur Betreuung der Obdachlosenunterkunft sind nachweislich nicht ausreichend, um eine akzeptable und wirkungsvolle Betreuung der dort untergebrachten Menschen zu gewährleisten", heißt es in dem Brief des Norderstedter Sozialausschusses, adressiert an den Landrat. Anzumerken ist, dass auch die Ausstattung der Unterkunft allen Ansprüchen einer menschenwürdigen Unterbringung widerspricht : Doppelbelegung der Zimmer, die gemeinsame Benutzung der Sanitär- und Küchenbereiche durch nicht familiär verbundene Personen, Toiletten, die nicht erreichbar sind, ohne das Haus zu verlassen...die Aufzählung ließe sich noch fortsetzen. Für die Ausstattung der Notunterkunft ist aber nicht der Kreis sondern die Stadt Norderstedt zuständig. Und es ist auch die Stadt Norderstdter, die für die Einsparungen bei der Tagesaufenthaltsstätte für Wohnungslose verantwortlich ist. Und es ist die Stadt Norderstedt, die die Unverschämtheit besaß, vor einigen Jahren die Miete für die Notunterkunft auf 172 (!) Euro zu erhöhen, "weil die Politik einen Anreiz zum Auszug setzen wollte". Schon Anfang des Jahres kommentierte Matthias Nauerth von der ATS Drogen- und Suchtberatungsstelle diese Methodik als : "Eine zynische Haltung: Diese Zustände werden geduldet, um Leute abzubauen, obwohl jeder weiß, dass Obdachlose kaum eine Chance auf eine Wohnung haben."

Es darf also abgewartet werden, ob der Norderstedter Sozialausschuß bei seiner Entscheidung zur Verbesserung der räumlichen Ausstattung der Unterbringung ebenso einmütig auftreten wird, wie bei den Forderungen an den Kreis Segeberg.

Veröffentlicht in Kommunalpolitik mit den Schlagworten CDU, Norderstedt, Polizei, Schleswig-Holstein