+ + + ARCHIVIERTER INHALT + + +

Diese Seite kommt aus unserem Archiv und enthält möglicherweise Informationen, die nicht mehr aktuell sind. Bitte beachten Sie das Veröffentlichungsdatum dieser Seite.

Dienstag, 15. November 2005, 1:00 Uhr

Arbeitskampf bei Gate Gourmet

Aber in Norderstedt herrscht noch Ruhe

Von Olaf Harning | Bereits seit dem 7. Oktober sind die mehr als 90 Düsseldorfer Beschäftigten nun im Arbeitskampf, haben täglich ihren Streikposten bezogen und StreikbrecherInnen das Leben schwer gemacht. Von überall her lässt Gate Gourmet die Willigen heranfahren, damit die Arbeit irgendwie aufrecht erhalten werden kann, selbst die Chefs sollen dort mittlerweile Hand anlegen. Alle Niederlassungen wurden aufgefordert, Personal zur Verfügung zu stellen und - jeweils an den Betriebsräten vorbei - nach Düsseldorf zu stellen.
Hintergrund des Konfliktes: Gate Gourmet - mit weltweit 22.000 Beschäftigten die Nummer zwei im "Airline-Catering" - ging nach der Pleite seiner Mutter SWISSAIR im Jahre 2002 an die Investmentfirma Texas Pacific Group über, einer der (neudeutsch) "Heuschrecken" des internationalen Finanzkapitals, die wiederum mit der gewerkschaftsfeindlichen Fluggesellschaft Ryanair in Verbindung steht und auch Großaktionär bei mobilcom ist. Gate Gourmet selbst steckt seit einigen Jahren und nach eigenen Angaben in finanziellen Schwierigkeiten und hat zuletzt in Großbritannien versucht, mit aggressivem Vorgehen fast 700 der englandweit 2.200 oft indischstämmigen Beschäftigten zu entlassen - darunter auffallend viele Gewerkschafter. Als am 10. August jedoch zeitgleich hunderte Leiharbeiter eingesetzt wurden, führte dies zu massiven Kampfmaßnahmen der Betroffenen und schließlich am 11. August zu einem nie erwarteten Solidaritätsstreik des Bodenpersonals am Internationalen Flughafen London-Heathrow, der den gesamten Flugplan von British Airways zusammenbrechen ließ. Letztlich konnten immerhin 7 Millionen Pfund Abfindungszahlungen und zahlreiche Verbesserungen erkämpft werden. Die Kündigungen wurden jedoch nicht verhindert.
Auch in Deutschland bemüht sich Gate Gourmet nun schon seit 2003 um eine weitgehende Deregulierung der Arbeitsbedingungen. Die Einführung der 40-Stunden-Woche, das Einfrieren der Löhne bei gleichzeitiger Streichung von Zulagen, sowie die zuschlagsfreie Flexibilisierung der Arbeitszeiten stehen auf der Wunschliste des Catering-Konzerns, die seitdem mit ver.di verhandelt wird. Zuletzt im März 2004 hatte es einen bundesweiten Warnstreik gegeben, an dem sich auch Norderstedter Beschäftigte beteiligten.
Die Arbeit von Gewerkschaften bei Gate Gourmet wird jedoch durch den Umstand erschwert, dass die Niederlassungen in Düsseldorf und Kaldenbach traditionell von der Industriegewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (IG NGG) vertreten werden, während die Beschäftigten der übrigen Betriebe bei ver.di organisiert sind. Während also im Zustandsbereich von ver.di schon länger ein "tarifloser Zustand" herrscht, in dem die alten Tarife lediglich fortwirken, sind NGG und Beschäftigte in Düsseldorf erst seit August mit ähnlichen Forderungen konfrontiert. Hier wurden nun außerdem die Urlaubstage ins Spiel gebracht: Nur noch 25 statt bislang 30 Tage sollen Gate-Gourmet-Beschäftigte von der Arbeit ausruhen.
Dass die Norderstedter Niederlassung nicht in den Streikbruch involviert ist, liegt laut Betriebsrat Carsten Herrmann nur an der akut hohen Auslastung im Gutenbergring. Hier arbeiten zur Zeit 50 regulär Beschäftigte neben 5 Leiharbeitnehmen in mehreren Schichten von 3 Uhr bis 0.30 Uhr und sind nicht abkömmlich. Wenn Kräfte entbehrlich wären, würde die Niederlassung sie aber sicher nach Düsseldorf schicken: "Die Geschäftsführung würde dann den Paragraph 100 ziehen", sagt Herrmann. Der Paragraph 100, das ist der Paragraph im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), der die sogenannten "Vorläufigen Personellen Maßnahmen" regelt, Versetzungen etwa, die zunächst nicht vom Betriebsrat abgesegnet sein müssen. Thomas Müller, "Unit-Manager" der Niederlassung will sich dagegen zum Arbeitskampf nicht äußern. Er sei dazu weder autorisiert, noch mit den nötigen Informationen ausgestattet.
Sabine Flechner vom zuständigen Büro der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in Kiel weiß indes von zwei Fahrern, die zu Beginn des Arbeitskampfes nach Düsseldorf geschickt worden sind. Erst nach Intervention der Gewerkschaft sei dieser Streikbruch aus Norderstedt beendet worden, hört man aus Reihen von ver.di. Solidarität oder gar Unterstützung für die Düsseldorfer Kollegen ist derweil aus der Norderstedter Niederlassung nicht zu erwarten, Herrmann beobachtet vielmehr, dass seine Kollegen Angst davor haben, durch den Streik "könnten Kunden abspringen", ergo: Arbeitsplätze verloren gehen. Eine typische Warnung von Arbeitgebern in der akuten Tarifauseinandersetzung, die in der Norderstedter Belegschaft offensichtlich gewirkt hat. Dabei ist gerade die Unterstützung aus anderen Niederlassungen im Moment wichtig: In Frankfurt beispielsweise hat vor wenigen Tagen der Betriebsrat einer Versetzung von Beschäftigten für den Streikbrecher-Einsatz widersprochen und trägt den Fall jetzt vor das Arbeitsgericht. Das berichtet Anja Weber von der NGG Düsseldorf. Sie sieht in dem Düsseldorfer Streik letztlich "einen Kampf für alle Gate-Gourmet-Beschäftigten: Die sitzen doch alle in einem Boot!"
Ihre Gewerkschaft gibt inzwischen eine täglich erscheinende Streikzeitung heraus und bittet um Solidaritätserklärungen an die Mail-Adresse region.blnr@ngg.net. Darüber hinaus sollen möglichst viele Menschen Protestbriefe an den Catering-Konzern schicken. Für Weber ist völlig unverständlich, warum das Unternehmen bisher derart "auf Stur" schaltet: "Schon jetzt hat Gate Gourmet viel mehr Geld für Security-Leute und Streikbrecher ausgegeben, als unsere Forderungen in Jahren kosten würden."
Unterstützt werden die Streikenden mittlerweile auch von nichtgewerkschaftlichen Strukturen. In Düsseldorf etwa sind AktivistInnen der Gruppe Wildcat am Start, auch in anderen Städten, insbesondere an Gate-Gourmet-Niederlassungen und Flughäfen sollen in den nächsten Tagen Aktionen zur Unterstützung des Arbeitskampfes stattfinden.

Sreikende Gate-GourmetlerInnen

Veröffentlicht in Arbeit & Kapital mit den Schlagworten Gewerkschaften, Infoarchiv, Norderstedt, ver.di