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Freitag, 14. Dezember 2007, 1:00 Uhr

Aus Gräbern wuchs die Kraft zur Tat

Beckersberggelände: Bürgermeister ließ Nazi-Parolen säubern

Der "Blutstein" nach seiner "Verunstaltung"

Der "Blutstein" nach seiner "Verunstaltung"

Von Olaf Harning |  Es sind nicht irgendwelche Parolen, die von den Nationalsozialisten auf dem einstigen Kraft-durch-Freude-Gelände hinterlassen wurden. Sie spiegeln den Geist jener Zeit wieder, in der permanent für den Krieg mobilisiert wurde: Den Krieg gegen "slawische Untermenschen" und ihre Alliierten, den Vernichtungskrieg gegen die Juden, den Krieg gegen Andersdenkende. Zu diesem Zweck musste aber zunächst eine Gemeinschaft konstruiert werden, die gegen den äußeren Feind zusammensteht. Eine Gruppe, die freilich mehr herbei fantasiert wurde, als dass sie tatsächlich je bestand: Die Gemeinschaft der "Volksdeutschen", vereint in Geist und Blut.

  • "Es wirkt das Blut als heilge Saat aus Gräbern wächst die Kraft zur Tat"

steht auf dem auffälligsten der Ulzburger "Blutsteine" geschrieben, die eine kleine Lichtung umrahmen. Ein anderer ehrt die "gefallenen Helden" der Weltkriege. Nun sind derartige Relikte keine Seltenheit - weder im traditionell konservativen Kreis Segeberg, noch in der benachbarten Großstadt. "Deutschland muss leben, auch wenn wir sterben müssen!", das stand nicht nur in riesigen Lettern auf Transparenten der Reichsparteitage, dieser nationalsozialistische Spruch ziert auch das kriegslüsterne "78er-Denkmal" am Hamburger Stephansplatz, den sogenannten "Kriegsklotz". Ungebrochene Kontinuitäten eben. Während derart abstoßende Monumente in den meisten Orten nach und nach dem Moos überlassen werden und zunehmend weniger Beachtung finden, halten sich in Henstedt-Ulzburg Revanchismus und ewiggestrige Traditionspflege erstaunlich kraftvoll am Leben. So begibt es sich jedes Jahr im November, dass etliche Lokalpolitiker gemeinsam mit der Feuerwehr, dem Schützenverein, einer Abordnung der Bundeswehr und einer Handvoll Interessierter ihren Marsch vom Bürgerhaus Beckersberg zum Gedenkplatz des Kraft-durch-Freude-Geländes antretenl. Vorbei an den Nazi-Parolen, hin zur Ehrung der "Kriegsopfer". Über Jahre, nein: Über Jahrzehnte nahmen an dieser Zeremonie auch jene Größen der Gemeinde teil, die dem braunen Ungeist - wenn überhaupt - nur widerwillig abgeschworen hatten: Ex-Bürgermeister Heinz Glück (CDU) etwa, der 1987 bereitwillig das Ulzburger Bürgerhaus für den Landesparteitag der NPD zur Verfügung stellte, der angemeldeten Gegendemonstration aber den Strom abdrehte. Noch 2001 schrieb Glück in einem Leserbrief an das Hamburger Abendblatt:

  • "Ich schäme mich vor dem Ausland, dass mein Vaterland von Politikern repräsentiert wird, die ihr Vaterland verleugnen und daher keine Grundlage für eine deutsche Politik haben"

Oder Heinz Manke (ebenfalls CDU), Senior-Chef des Bauunternehmens MANU-Bau, der seine alte Wehrmachtseinheit per Ostpreußenblatt alle zwei Jahre in den "Saal Odin" des Hotels "Wiking" zusammenruft und vor einigen Jahren für die Verunglimpfung der Wehrmachtsausstellung und ihrer Protagonisten einige tausend Euro berappen musste. Kurz vor dem diesjährigen Volkstrauertag haben nun Unbekannte zwei der Steine "umgestaltet", das heißt: mit Lack überzogen, anschließend professionell ein Zitat von Peter Gingold aufgetragen, dem gerade verstorbenen, langjährigen Vorsitzenden der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN/BdA)

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  • "Nehmt es wahr, (...) was von Euren Vorfahren meistens verdrängt, auch diskriminiert und verleugnet wurde: Das Bedeutsamste und Kostbarste aus Deutscher Geschichte ist und bleibt der antifaschistische Widerstand."

Nun liegt es auf der Hand, dass reaktionärer Aufmarsch und antifaschistische Parolen nicht unbedingt zusammen passen, ja sich eigentlich ausschließen. Doch Henstedt-Ulzburg wäre nicht Henstedt-Ulzburg, hätte man für diese Situation keine "typische" Lösung gefunden: In Windeseile schaffte Wolfgang Keller, Mitarbeiter des Betriebshofes der Gemeinde, größere Mengen Plastikfolie herbei und verhüllte die "verunstalteten" Nazi-Steine. Nach der Zeremonie schrubbte er dann die antifaschistische Parole wieder herunter, verhalf dem Nazi-Spruch zur Wiedergeburt. Nicht ohne Folgen: In den Tagen nach der "Säuberung" entfaltete sich eine teils heftige Diskussion um den Ort und seine Nutzung. Während etwa Bürgervorsteher Joachim Süme (CDU), der FDP-Fraktionsvorsitzende Hans-Joachim Rösel und Bürgermeister Dornquast (CDU) an Platz und Zeremonie festhalten wollen, regt sich selbst bei den traditionsbewussten Christdemokraten Kritik: So will der Fraktionsvorsitzende der Partei, Folker Brocks zumindest eine Diskussion innerhalb seiner Fraktion anregen, während der fraktionslose Jörg Schlömann (kürzlich aus der CDU ausgetreten) Gedenkveranstaltungen am Beckersberg als "zynisch" ablehnt. Noch deutlicher nur die Reaktion der Wählergemeinschaft für Henstedt-Ulzburg (WHU): Deren Sprecherin Karin Honerlah zählt das Gelände "zu den Orten, die ich nicht gerne aufsuche.". Auch in den Leserbriefspalten wird das Problem diskutiert: Während der Ulzburger Hilmar Benkmann die Übermalung der Steine "Schmierfinken" zurechnet, die aufgrund der vielen Reaktionen "ihr schändliches Tun" sicher fortsetzen würden, meint der Norderstedter Radiologe Dr. Klaus Adam, es sollte "kein Cent verschwendet werden, um Nazi-Blutsprüche zu restaurieren". Der "ganze Nazi-Dreck" solle höchstens zur Rückbesinnung genutzt werden, die Säuberung der Steine hinterlasse ein "unangenehmes Gefühl: lieber Naziparolen als Antifa-Texte anlässlich des Volkstrauertages?". Schon einmal war das Gelände Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen, als antifaschistische Gruppen aus der Region 1997 und 1998 eine "Kampagne gegen die Verdrehung der Geschichte" organisierten. Damals erreichten sie zwar die Umbenennung der zuvor Nazi-Bürgermeister Heinrich Petersen gewidmeten Straße (Zusatz: "Bürgermeister 1933-1945"!) und eine Schleswig-Holstein-weite Debatte über den seltsamen Umgang der Gemeinde mit ihrer Geschichte. Das Kraft-durch-Freude-Gelände blieb damals intakt, trotzdem zahlreiche Gruppen und Persönlichkeiten gefordert hatten, die Nazi-Steine entweder zu schleifen, oder in auffälliger Weise (negativ) zu kommentieren. Am Ende rettete damals eine Schülergruppe den reaktionären Bodensatz der Gemeinde. Mit einer gut gemeinten, aber inhaltlich armen Tafel am Rande des Geländes sind seit 1998 ein paar Worte zur Geschichte des Ortes zu lesen. Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem es kroch ... Im Folgenden dokumentieren wir eine Erklärung der antifaschistischen "Schmierfinken", die für die zwischenzeitliche Umwidmung der Blut-und-Boden-Steine verantwortlich zeichneten (Fehler im Original):

  • "Offener Brief an den Bürgermeister und die Gemeindeverwaltung Henstedt-Ulzburg Betreff: Umgestaltung des Bürgerparks Seit Jahren präsentiert sich dem Naherholung suchenden Bürger im nach selbigem benannten Park in Henstedt-Ulzburg ein erschreckendes Bild. Gut gepflegt und mit Liebe gehegt finden sich im historischen Kern dieses einstmals von den Nazis als Versammlungsplatz genutzten Areals ideologische Monumente der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft. "Es gilt das Blut als heilige Saat, aus Gräbern wächst die Kraft zur Tat" ist (war) dort zu lesen auf einem großen Findling mitten in dieser von der Gemeinde gepflegten Anlage. Krasser und in weniger Worten ließe sich wohl ein Angriffs- und Vernichtungskrieg, wie er von Nazi-Deutschland geführt wurde, nicht verherrlichen. "Wer den Ahn nicht ehrt, ist der Zukunft nicht wert" lautet(e) ein weiterer gemeißelter Findling, quasi als augenzwinkernder ideologischer Gruß aus den braunen Tiefen deutscher Vergangenheit und Gegenwart direkt ins Angesicht einer/s Jeden, die/der den Park vom Schützenhaus her betritt. Von aufklärenden Worten, kritscher Distanzierung oder Ähnlichem kaum eine Spur. Eine Informationstafel, die einstmals in beängstigend pseudonautraler Manier "aufklären" sollte, ist seit Jahren zugesprayt, Hinweisschilder zu den Findlingen mit den Nazi-Versen fehlen ebenso. Ein Jahrzehnt ist es her, dass der Park und nach ehamligen NSDAP-Mitgliedern benannte Straßen zum lokalen Politikum geworden waren. In den Folgejahren wurden Straßennamen widerwillig geändert (u.a. musste Nazi-Bürgermeister Heinrich Petersen seinen Platz auf dem Straßenschild für Clara Schumann räumen), aber was im Bürgerpark geschah, ist ebenso ungeherlich wie abscheulich. Mit einem zusätzlichen Gedenkstein für "alle" Opfer von Krieg und Gewalt sollte die tiefbraune Weste des Geländes rein gewaschen werden, ohne wirkliche korrigierende Eingriffe an der Anlage vornehmen zu müssen. Aber was sich wirklich änderte war, das fortan wesentlich mehr Aufwand in Energie und Pflege des Parks gesteckt wurde. Nazis, braune Sympathisanten und reaktionäre Volkstrauertagsanhänger konnten sich die Hände reiben, mal wieder hatte sich kleinbürgerlich-konservativer Muff als geeigneter Nährboden und Unterschlupf von deutsch-brauner Ideologie bewährt. Die Anlage war nach den Protesten schlicht in ein noch "rechteres" Licht gerückt worden. Diesen Entwicklungen zu begegnen wurde der Nazi-Park nun umgestaltet. Die Findlinge mit den Nazi-Versen wurden umdekoriert, der Blut und Boden-Vers ersetzt durch: "Nehmt es wahr,(...) was von Eueren Vorfahren meistens verdrängt, auch diskriminiert und verleugnet wurde: Das Bedeutsamste und Kostbarste aus deutscher Geschichte ist und bleibt der antifaschistische Widerstand." (E. Bejerano, P.Gingold - Auschwitz-Überlebende). Der zweite Findling wurde umsymbolisiert und statt völkische und Nazi-Symphatisanten mit offenen Armen in dem Park zu empfangen sollen sie durch ein Verbotsschild darauf hingewiesen werden, dass sie nirgendwo willkommen sind. Ein bürgerliches Milieu, in dem viel zu viele immer noch blind sind auf dem braunen Auge oder gerade immer noch gerne durch dieses Auge schauen, führte zu dem Entschluss eine direkte Aktion durchzuführen und die Qual einer weiteren nutzlosen lokalpolitischen Debatte zu ersparen. Nationalsozialistisches Gedankengut und Nazi-Symbolik sollten nirgendwo Platz finden und sind immer und überall zu bekämpfen. Raus damit aus Köpfen, Parks und Städten! Aus naheliegenden Gründen soll diese Aktion für sich stehen und der/die Verfasser/in dieses Schreibens verbleibt anonym mit hoffnungsvollen Grüßen auf eine unbraunere Zukunft."