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Samstag, 18. Dezember 2004, 1:00 Uhr

Chronik eines angekündigten Schiffbruchs

"Gewinne der EgNo so wahrscheinlich wie ein Fahradausflug zum Mond"

Info Archiv Norderstedt | Einst ernteten sie viel Lob für ihre Arbeit, die Stadtplaner von der Entwicklungsgesellschaft Norderstedt , die ursprünglich zur Konzeption und zum Bau Norderstedt-Mittes aus der Taufe gehoben ward. Weit über die Grenzen Norderstedts hinaus ist der Stadtteil auch heute noch Beispiel dafür, dass die Planung von mehr als 10.000 Wohneinheiten auf der grünen Wiese zumindest nicht zwangsläufig zur sozialen Katastrophe werden muß. In den letzten Jahren jedoch erlitt dieser Ruf mehr und mehr Schiffbruch, nachdem die EgNo mit voller Rückendeckung kommunalpolitischer Größen aus SPD und CDU ebenso großmannssüchtig wie realitätsfremd Gewerbeprojekte angeschoben hatte, die nun zum vollständigen Kollaps des städtischen Unternehmens führten.
Mehr als 1.500 Arbeitsplätze, so die verträumten KommunalpolitikerInnen, sollen demnach einmal auf dem moorigen Boden der Ohewiesen in Flughafennähe entstehen, wenn das "Luftfahrt- und Distributions-Centrum (LDC)" endlich Wirklichkeit ist. Dafür hat die EgNo gegen alle Warnungen mittlerweile 22,3 Millionen Euro in Grundstücksankäufe investiert - selbst laut städtischem Rechnungsprüfungsamt zu heilos überteuerten Preisen. Weitere 9 Millionen Euro wären grob geschätzt nötig, um jene Flächen für Gewerbetreibende zu erschließen. Diesen 32 Millionen Euro stehen neben den Grundstücken selbst allerdings nur 3,7 Millionen EgNo-Eigenkapital und 3,5 Millionen Euro aus einem städtischen Darlehen gegenüber, die restlichen 16 Millionen (bzw. 25 Millionen inklusive Erschließung) sind auf Pump finanziert. Rechnet man diesen tatsächlichen, bzw. zukünftigen Kosten nun die notwendigen Einnahmen gegen, die für bislang geplante Gewinne notwenig wären, kämen auf mögliche Investoren Grundstückspreise von über 150 Euro pro Quadratmeter zu - mehr als das Dreifache der Grundstückspreise in Henstedt-Ulzburg. Neben dem LDC jedoch plant die EgNo auch noch das zukünftige Gewerbegebiet Friedrichsgabe-Nord, wo ebenfalls erhebliche Mittel bis zu einer eventuellen Veräußerung von Gewerbeflächen notwendig sind.
Noch im Februar 2004 und damit vor genau einem Jahr vertrat Baudezernent Thomas Bosse trotz dieser Erkenntnisse die interessante Ansicht, die Entwicklungsgesellschaft würde Gewinne einfahren, wenn alles weiter nach Plan liefe. Eine große Mehrheit der Stadtvertretung hatte zuvor (im Dezember 2003) einen Antrag der GALiN abgelehnt, die Flächen der egno in städtischen Besitz zu überführen, um das Schlimmste zu vermeiden. Jetzt - mitten im Schlimmsten - beantragte Bürgermeister Hans-Joachim Grote (CDU), auch Aufsichtsratsvorsitzender des Havaristen, beinahe Selbiges. Allerdings entschied die Stadtvertretung schließlich mit großer Mehrheit, dass die Flächen der EgNo zwar in treuhänderische Verwaltung, nicht jedoch in den Besitz der Stadt übergehen sollen. Anders das finanzielle Risiko, das jetzt ausschließlich bei der Stadt Norderstedt liegt. Doch noch weitaus peinlicher mutete das Verhalten christ- und sozialdemokratischer Kommunalpolitiker an, die im Wissen um ihre Mitverantwortung der Krise besser schweigen sollten: Nach einer scharf abgefassten Rede der Grünen-Stadtvertreterin Anette Reinders schwadronierten ausgerechnet Herbert Paschen (CDU) und Jürgen Lange (SPD) beinahe unisono von "geschäftsschädigendem Verhalten" und "Schaden", der der "Reputation von EgNo und Stadt" durch den Redebeitrag zugefügt worden sei.
Dabei hatte Reinders - wie Paschen und Lange ebenfalls Mitglied des EgNo-Aufsichtsrats - nur zum wiederholten Male versucht, für die Verantwortlichen des Desasters die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Immer wieder in der Vergangenheit forderten Kritiker des Mammut-Projektes LDC nach dem Ausstieg des ursprünglichen Investors Köllmann AG sowie dem Rückzug des erhofften Partners Hochtief die Notbremse zu ziehen, um noch glimpflich aus dem Schlamassel herauszukommen. Auch jetzt - so die GALiN - bestünde noch die Entscheidung zwischen großen und sehr großen Problemen für den städtischen Haushalt. Reinders im Wortlaut: " Es ist bei diesem Projekt schon mal ein Zeitpunkt verpasst worden, den ganzen Wahnsinn zu stoppen. Das war zum Zeitpunkt des Köllmann-Ausstiegs, als man einfach so weitergemacht hat wie bisher und nicht einmal die städtischen Gremien darüber in Kenntnis gesetzt hat. Ohne abergläubisch zu sein, sollte man daher die jetzige Situation als "Wink des Schicksals" verstehen (...) Schadensbegrenzung (...) betreiben und nicht nach dem Motto "Augen zu und durch" den Schaden von Jahr zu Jahr noch (...) vergrößern." Ein finanzieller Gewinn der EgNo, so Anette Reinders weiter, sei im übrigen so wahrscheinlich, wie ein Fahrradausflug zum Mond.
Vor diesem Hintergrund forderte die GALiN am vergangenen Dienstag erneut die vollständige Übernahme der EgNo-Flächen in den Besitz der Stadt, sowie die "Liquidation der Entwicklungsgesellschaft" zum nächstmöglichen Zeitpunkt, um die Gebiete sorgfältig und unter vollständiger Kontrolle städtischer Gremien bestmöglich entwickeln zu können. Bezeichnenderweise lehnte die Stadtvertretung beides mit großer Mehrheit ab. Nun bleibt also zu befürchten, dass die Kapitäne des Havaristen unbeirrt auf (falschem) Kurs bleiben. Eines der möglichen "Worst-Case-Scenarios" (schlimmste-anzunehmende-Situationen) könnte dabei sein, die Flächen schnell und zu höchstmöglichen Preisen abzustoßen. Solche Preise aber sind derzeit nur von großen Discount-Märkten zu erzielen, die gigantische Verkaufsflächen "auf der grünen Wiese" errichten und in empfindliche Konkurrenz zum innerstädtischen Einzelhandel treten. Droht also erneut das exakte Gegenteil intelligenter Stadtplanung?

Nicht selten unfreiwillig komisch: Das Norderstedt-Wappen