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Montag, 23. August 2004, 2:00 Uhr
Die Grenze des Erträglichen ist längst überschritten
Duell zwischen Kreis und Kommune
Infoarchiv | Wärs nicht so ernst, wäre ein Schmunzeln durchaus angebracht: Anfang des Sommers machten einige schleswig-holsteinische Landräte mit einer spektakulären Drohung auf sich aufmerksam: Mit Hinweis auf die angespannte Finanzlage der Kreise kündigten sie an, gesetzlich vorgeschriebene Leistungen nicht mehr zu erbringen.
In Norderstedt ist die Umsetzung einer solchen Leistungsverweigerung seit über einem Jahr zu besichtigen: Trotz der katastrophalen Zustände in der Obdachlosenunterkunft am Langenharmer Weg, trotz des offensichtlichen Bedarfs einer psychosozialen Betreuungsstelle verweigert der Kreis die Finanzierung einer solchen.
Nun kündigt die SPD in Norderstedt eine parteiübergreifende Gegenaktion an. Nach dem Motto: "Was du nicht willst, was man dir tu, dass füg auch keinem anderen zu", warnen sie Landrat Gorissen, sich seiner eigenen Methoden zu bedienen. Die SPD will sich ihrerseits verweigern und die von den Kommunen zu tätigende Kreisumlage kürzen.
Am 26. August ist Landrat Gorissen (parteilos) zu einem Dialog mit dem Norderstedter Sozialausschuß eingeladen, aber große Hoffnungen verbindet niemand mit diesem Gespräch.
"Bei allem Verständnis für die finanzielle Situation des Kreises werden wir die Verweigerungshaltung des Landrats nicht akzeptieren. Vor dem Hintergrund, daß der Landrat durchaus mit Plänen liebäugelt gesetzlich vorgeschriebene Leistungen, zu denen auch die Betreuung der Obdachlosen gehört, einfach nicht mehr zu erbringen, ist der Nutzen des geplanten Gespräches am 26. August im Sozialausschuss höchst fragwürdig geworden. Trotzdem sind wir auf die Antworten des Landrates zu unseren Fragen gespannt", so Thomas Jäger (27), sozialpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Letztlich wird davon ausgegangen, dass die Stadt Norderstedt in der Pflicht sein wird zu handeln und die Mittel für die nötige Betreuungsmaßnahme des Diakonischen Werkes aus den Rücklagen des Haushaltes bestritten werden müssen, sowie aus den angedrohten Einsparungen aus der zurückgehaltenen Kreisumlage.
"Die Kürzung der Kreisumlage ist zwar rechtlich problematisch, wenn aber die Stadt seit Jahren für eine Leistung zahlt, die der Kreis schlichtweg in nicht geeigneter und wirksamer Form erbringt, halten wir dieses Vorhaben für durchaus angebracht. Ein Rechtsstreit mit dem Kreis wäre dabei wohl unausweichlich. Wir haben die moralische und fürsorgerische Verpflichtung den Menschen in der Unterkunft mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu helfen. Die Grenze des Erträglichen und Verantwortbaren ist schon längst überschritten", heißt es in der Presserklärung der Sozialdemokraten. Und - auch an dieser Stelle ist ein kleines Schmunzeln nicht unangebracht - die SPD fordert Bürgermeister Grote, die unbestrittene Koriphäe des sozialen Kahlschlags, höchstpersönlich auf, sich an die Speerspitze der "kommunalen Widerstandsbewegung" zu stellen. Mit einem Seitenhieb wird vermerkt:
"Würde der Bürgermeister einen Teil seines Elans und Ideenreichtums den er für die Realisierung der Landesgartenschau aufbringt, zur Lösung des Konfliktes einbringen, könnte das zur raschen Verbesserung der Situation der Menschen am Langenharmer Weg beitragen."
Das Kasperletheater verdeutlicht Vielerlei: Zum einen wird erschreckend deutlich, dass die Verabschiedung von sozialen Standards längst die Menschen erreicht hat und noch vor der Umsetzung von Agenda 2010 und Hartz IV und den dadurch zu erwartenden Verarmungstendenzen Opfer produziert. Auf kommunaler Ebene werden PolitikerInnen mit den Folgen der bundesweiten Politik ihrer eigenen Parteien konfrontiert: die Antworten sind kleine regionale Scharmützel. Dabei dürfte klar sein, dass keine Kommune und kein Kreis eine auch nur annähernd sozialgerechte Politik betreiben kann, während sich auf Bundesebene von eben dieser verabschiedet wird.
Während der größte Teil der Staatseinnahmen von den ArbeiterInnen aufgebracht wird und nach wie vor Reiche und Konzerne immer weniger Steuern zu zahlen haben und somit kaum zur finanziellen Absicherung gesellschaftlicher Aufgaben beitragen, gilt nach wie vor der Satz: Geld ist genug da, es ist nur in den falschen Händen.
Wie sich das Duell zwischen Kreis und Kommune entwickeln wird, steht in den Sternen. Es ist fraglich, wer und in welchem Umfang die Betreuung der wohnungslosen Menschen in Norderstedt umsetzen und finanzieren wird. Sicher ist, dass der Bedarf an Hilfen zur Existenzsicherung steigen wird, wie es sich an der wachsenden Frequentierung von Hilfseinrichtungen wie die "Norderstedter Tafel" verdeutlicht. An möglichem "Klientel" wird, dank staatlich geförderter "Armutspolitik", in den nächsten Jahren kein Mangel herrschen.