- Themen
- Alternative Zentren
- Arbeit & Kapital
- Behindertenpolitik / Assistenzbedürftige
- Bildung
- Energiepolitik
- Faschismus / Antifaschismus
- Flucht und Migration
- Frauen / Feminismus
- Frieden
- Geschichte
- Internationalismus
- Jugendpolitik
- Kindergärten & Kinderbetreuung
- Kommunalpolitik
- Kultur
- Landesgartenschau & Stadtpark
- Lesbisch/Schwules
- Medien
- Medizinische Versorgung & Gesundheit
- Polizei & Justiz
- Religion
- Repression / Antirepression
- Sonstige
- Soziales
- Sport
- Stadtentwicklung
- Umwelt
- Verkehr
- Artikel Altbestand
- Schlagworte
- Galerien
- Links
- Termine
- Über uns
+ + + ARCHIVIERTER INHALT + + +
Diese Seite kommt aus unserem Archiv und enthält möglicherweise Informationen, die nicht mehr aktuell sind. Bitte beachten Sie das Veröffentlichungsdatum dieser Seite.
Freitag, 26. August 2005, 2:00 Uhr
Die "Hassprediger" sind unter uns
Evangelikale Gemeinschaften in Norderstedt
Von Mathilde Nymann | Just in jener Woche, in der Ratzinger als transkontinentale klerikale Leitfigur in seinem Papamobil durch Köln düste und für sexuelle Frustration, ungewollte Schwangerschaften und Frauenfeindlichkeit warb, setzt sich die Norderstedter Zeitung die journalistische Aufgabe, dem religiösen Erleben der Norderstedter auf den Grund zu gehen.
In einem Artikel vom.17 August kam Frank Knittermeier so ungefähr zu folgendem Resümee: Wenn der Messias am Jüngsten Tag wiederkehrt, wird er auch in Norderstedt gerettete Seelen finden, und das nicht zu knapp: Zwar müssen sich die Landeskirchen mit Austritten und spärlich gefüllten Gemeindesälen herumplagen, die freien Evangelikalen hingegen, Baptisten, Pfingstler, Freikirchen und Co., allesamt durch Gemeindeniederlassungen in Norderstedt vertreten, wachsen und gedeihen prächtig. Und das nicht nur hier: Weltweit wird geschätzt, dass bis zu 10 Prozent der Christen evangelikalen Strömungen angehören. Im ganzen Bundesgebiet werden Gottesdienste in überfüllten Gemeindezentren gefeiert. Während sich in Norderstedt die evangelischen Landeskirchen zwecks Einsparungen zusammenschließen und in Hamburg Kirchenhäuser gar verkauft werden, baute die Freie evangelische Gemeinde in Norderstedt vor wenigen Jahren ein neues Gemeindehaus am Falkenkamp, da der kontinuierlich wachsenden Gemeinde die Räumlichkeiten in der Waldstrasse zu klein wurden. Umstände, von denen Landeskirchenpastoren, wie etwa der lokale Medienhirt Gunnar Urbach, nur träumen.
Eigentlich, könnte mensch meinen, sind sie vielleicht ein bisschen spleenig, aber im großen und ganzen ganz niedlich, diese Freikirchler, die ständig und überall in Form von Fischaufklebern auf Rucksäcken und Autoheckscheiben ihre Leidenschaft für Jesus dokumentieren. Nun gut, es ist etwas befremdlich, dass sie in der Mehrheit die Evolutionstheorie ablehnen und an der Schöpfungsgeschichte festhalten. Auch das mit dem Zungenreden und der Glaube an den Teufel als Leibhaftigen, der in Menschengestalt immer unter uns wandeln kann und böses anrichtet, ist etwas überholt. Aber sie meinen es sicherlich nur gut: bilden haltstiftende Gemeinschaften und schicken Bibeln nach Afrika. Die Wahrheit ist aber, dass eine Vielzahl der Inhalte und Überzeugungen der Freikirchler alles andere als harmlos daherkommen.
"Bei uns finden die Menschen den Halt, den sie anderswo vermissen", sagt Steve Pecota von der CGN (Christliche Gemeinde Norderstedt), die zum Bund freikirchlicher Pfingstgemeinden gehört. "Schon Jugendliche akzeptieren, daß Homosexualität als Sünde betrachtet wird und vorehelicher Geschlechtsverkehr tabu ist", zitiert das Abendblatt ganz wertungsfrei. "Die Menschen suchen und finden bei uns verbindliche Werte", meint Albert Ziegler, der Gemeindeältester der Freien Evangelischen Gemeinde in Norderstedt ist. Dass, was die Gemeindesprecher als "Werte" verkaufen wollen, sind jedoch Beschimpfungen und Diskriminierungen, die sich wohl kaum mit dem Grundgesetz decken lassen. Nur einige Beispiele: Der Bundesverlag, die größte Buchgesellschaft der Evangelikalen in Deutschland, vertickt Hetzschriften wie etwa das Taschenbuch "Der lautlose Holocaust", in dem es nicht etwa um Judenvernichtung, sondern um Abtreibungen geht. Schon der Titel soll Frauen, die abtreiben, sowie Ärzte, die Abtreibungen vornehmen in die Nähe von NS-Verbrechern rücken. Kein Spaß. Zudem stecken die Freikirchler eine Menge Geld in Vereine und Organisationen wie etwa Wüstenstrom oder aber Weißes Kreuz, die sich den Themen "Sexualethik und Seelsorge" widmen, was bedeutet, dass sie in Kampagnen, Kursen und Therapien Jugendlichen die Schädlichkeit von Selbstbefriedigung und vorehelichem Geschlechtsverkehr predigen. "Wüstenstrom" bietet zusätzlich Programme an, um Homosexuelle von "ihrer krankhaften Sexualität" zu befreien. "Wenn ein Gemeindemitglied (...) seine Homosexualität praktiziert, so ist wie bei anderer Sünde Seelsorge und heilsame Gemeindekorrektur zu üben, mit dem Ziel, den Betroffenen zur Umkehr zu führen", heißt es in einer aktuelle Stellungnahme der Bundesleitung der Freien evangelischen Gemeinden in Deutschland. "Homophil empfindende Christen sollen versuchen, ein Leben in disziplinierter Abstinenz zu führen...", heißt es einige Sätze weiter, und dann: "...eine Mitarbeit in der Gemeinde kann (...) nicht erfolgen, wenn ein Gemeindeglied seine Homosexualität praktiziert oder wenn homosexuelles Verhalten als normal, gut und unveränderbar dargestellt bzw. als eine mögliche Form der Sexualität propagiert wird, die mit dem Willen Gottes vereinbar sei."
Die Organisation "Wüstenstrom" beschränkt sich nicht nur auf "Umpolungsprogramme" für Homosexuelle. Sie hat den Anspruch, in politischen Initiativen und Kampagnen sowohl die gesetzliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften, sowie Anti-Diskriminierungsgesetze zu verhindern. Dass Frauen das Pastorenamt in den meisten freievangelischen Gemeinden verwehrt ist, verwundert da niemanden mehr, und dass Scheidungen ebenso verpönt sind, wie Beziehungen mit Nicht-Gemeindemitgliedern versteht sich von selbst. Gar nicht niedlich. Und natürlich, verdammt noch mal...(fluchen ist natürlich auch Sünde), muss mensch jetzt, nach dem Verfassen dieses Artikels, damit rechnen, in die Hölle zu kommen.