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Montag, 5. Mai 2008, 2:00 Uhr

Die Resteschule der CDU bleibt leer

Neues Schulgesetz funktioniert nicht - Kompromiss der Großen Koalition wird von Eltern boykottiert

Von Reinhard Pohl | Die Schulpolitik ist neben Polizei und Justiz die Hauptaufgabe der Länder. Hier gestalten die Bundesländer, mühsam koordiniert von der Kultusminister-Konferenz, 16 parallele Schulsysteme. Schleswig-Holstein erlaubt sich seit einiger Zeit den Luxus, auch noch parallele CDU- und SPD-Systeme zu etablieren.
Im Wahlkampf versprach die CDU ihren Wählerinnen und Wählern, das dreizügige, aus dem 19. Jahrhundert stammende Schulsystem zu erhalten. ArbeiterInnen sollten ihre Kinder weiterhin zur Hauptschule, Angestellte ihre zur Realschule schicken, während den Kindern der Führungsschicht das Gymnasium vorbehalten bleibt. Die PISA-Studie hat ja vor wenigen Jahren festgestellt, dass die formale Wahlfreiheit der Eltern noch nicht für eine Durchlässigkeit gesorgt hat, die dem der anderen europäischen Staaten entspricht ? in Deutschland sind Schulabschlüsse immer noch maßgeblich von der sozialen Herkunft der Eltern und nicht von der Leistungsfähigkeit der Kinder bestimmt.
Die SPD dagegen versprach ihren Wählerinnen und Wählern, sich für eine Schule für alle einzusetzen, allerdings nicht ganz. Die Gymnasien abzuschaffen traut man sich dort nicht, weil die Gefahr besteht, dadurch zu viele WählerInnen zu verprellen.
Als die beiden Parteien, die auf diesem Politikfeld weit auseinander lagen, ihren Koalitionsvertrag abschlossen, war schon zu erkennen, dass eine Einigung nicht möglich war ? und der gefundene Kompromiss auch nicht. Denn das Vorhaben, den Eltern alle Schularten einfach anzubieten, kann in Schleswig-Holstein nicht funktionieren.

Zu wenig Kinder

Für das dreigliedrige Schulsystem gibt es in ländlichen Gegenden Schleswig-Holsteins nicht mehr genug Kinder. Die Sollzahlen der Landesregierung sagen, dass eine Regionalschule mindestens 240 SchülerInnen, eine Gemeinschaftsschule mindestens 300 SchülerInnen haben soll ? parallele Haupt- und Realschulen aufrecht zu erhalten hätte bedeutet, jede zweite Schule schließen und die Kinder mit Bussen in den Nachbarort bringen zu müssen. Die unterschiedlichen Mindestzahlen sind nicht technisch, sondern politisch begründet ? da die SPD der kleinere Partner in der Koalition ist, sollten für die ?SPD-Schulen? höhere Hürden gelten.
Die CDU hat der Fusion von Haupt- und Realschulen zu Regionalschulen nicht ganz freiwillig zugestimmt, konnte aber angesichts der Zahl von Kindern auf dem Lande nichts anderes machen. Die herabgesetzte Mindestzahl von 240 SchülerInnen soll es ermöglichen, das gegliederte Schulsystem zu retten.

Regionalschule ohne Akzeptanz

Regionalschulen sollen wie Gemeinschaftsschulen die Kinder gemeinsam unterrichten, zumindest in der 5. und 6. Klasse. Danach soll in den Hauptfächern nach Leistungsfähigkeit differenziert werden, die Kinder sollen bis zum 9. Schuljahr zum Hauptschulabschluss oder bis zum 10. Schuljahr zum Realschulabschluss (Mittlere Reife) geführt werden.
Der Unterschied: Gemeinschaftsschulen ermöglichen danach den Übergang zu einer gymnasialen Oberstufe, entweder alleine oder mit einer benachbarten Gemeinschaftsschule zusammen. Das Abitur soll mit dem 13. Schuljahr erreicht werden, die Kinder oder dann die Jugendlichen hätten also ein Jahr mehr Zeit als auf dem Gymnasium, den Stoff zu lernen. Deshalb können Gemeinschaftsschulen auch die Anmeldungen von Kindern mit Hauptschulempfehlung ablehnen, um eine gute "Mischung" zu erhalten.
Vor diesem Hintergrund scheint die Regionalschule nicht viel mehr als eine rein ideologisch motivierte Verteidigung der alten CDU-Position zu sein, denn die Umfragen an Grundschulen zeigten bald, dass viele Eltern massive Angst davor haben, bei der Regionalschule handele es sich um eine reine Restschule. Wo Umfragen gemacht wurden, ergab sich eine Präferenz für das Gymnasium mit ungefähr 50%, für die Gemeinschaftsschule mit ungefähr 40% und für die Regionalschule mit lediglich 10%. Das bedeutet, dass in ländlichen Gegenden auch genehmigte Regionalschulen nicht starten können, weil zu wenig Eltern ihre Kinder dort anmelden.

Gemeinschaftsschulen als Modell für die Zukunft?

Das Schulgesetz legt fest, dass die jetzt bestehenden Gesamtschulen spätestens zum Schuljahr 2010/2011 zu Gemeinschaftsschulen werden. Außerdem haben die weiterführenden dänischen Schulen im Lande beschlossen, alle ab dem 1. August 2008 zu Gemeinschaftsschulen zu werden.
Es gibt 25 Gesamtschulen im Land, die entweder "integriert" oder "kooperativ" sind. Integriert bedeutet, dass alle Kinder die Fächer in Kursen so belegen, wie es ihrer Leistungsfähigkeit entspricht. Kooperativ bedeutet, dass die Gliederung in Haupt- und Realschulklassen sowie Gymnasialklassen intern beibehalten wird. Die Gemeinschaftsschulen sollen Kinder grundsätzlich gemeinsam in Klassenverbänden unterrichten, die Kinder sollen also nicht von Kurs zu Kurs wechseln. Bisher hat keine der 25 Gesamtschulen signalisiert, dass sie freiwillig vor 2010 ihre Schulform aufgeben und sich zur Gemeinschaftsschule umwandeln will.
Die sieben bereits existierenden Gemeinschaftsschulen sind im Sommer 2007 mit rund 750 Fünftklässlerinnen und Fünftklässlern gestartet. Allerdings haben hier die Lehrerinnen und Lehrer eine höhere Stundenzahl als in der Gesamtschule und auf dem Gymnasium, außerdem werden sie unterschiedliche bezahlt, je nachdem ob es sich um ausgebildete RealschullehrerInnen oder HauptschullehrerInnen handelt. Und welche Gemeinschaftsschule auch zum Abitur führen kann, wird erst später entschieden, wenn die jetzt angemeldeten Kinder das achte Schuljahr erreichen und der Bedarf absehbar ist. Dann soll entweder eine dreijährige gymnasiale Oberstufe in der Gemeinschaftsschule eingerichtet oder die Kinder aufs nächstgelegene Gymnasium geschickt werden.
Die Hauptkonkurrenz für die Gemeinschaftsschulen sind nicht, wie von der CDU geplant, die Regionalschulen. Diese werden von vielen Eltern abgelehnt, aber auch von CDU-Kommunalpolitikern. Auf diese hatte die CDU gesetzt, hat sie doch in rund 90 Prozent aller schleswig-holsteinischer Kommunen die Mehrheit.
Wichtigste Konkurrenz für die Gemeinschaftsschulen sind die weiter existierenden Gymnasien. Hier werden die Lehrerinnen und Lehrer besser bezahlt, haben weniger Unterrichtsverpflichtungen und die Kinder erhalten vier Wochenstunden mehr Unterricht. Nur auf Fehmarn ist das Gymnasium mit in die neue Gemeinschaftsschule aufgegangen, weil die Insel fürchtete, sonst zu viele Kinder dazu zu zwingen, für die gymnasiale Oberstufe aufs Festland pendeln zu müssen. Überall sonst bleiben die Gymnasien neben den neuen Gemeinschaftsschulen bestehen.

Stand der Anmeldungen: Regionalschule in Gefahr

Die Anmeldungen konnten erst Ende April endgültig gezählt werden, zuletzt zeichnete sich aber schon ab, dass die Regionalschulen vielerorts um ihre Existenzberechtigung kämpfen müssen. Dagegen verzeichnen Gemeinschaftsschulen einen regen Zulauf. Eine Regionalschule kann nur starten, wenn sie für die fünfte Klasse 45 Anmeldungen bekommt. Eine Gemeinschaftsschule muss die höhere Hürde von 60 Anmeldungen meistern. Ein kleiner Überblick mit Stand Ende April:

  • Segeberg: Die Regionalschule Rickling hat kaum 20 Anmeldungen und ist weit davon entfernt, die Mindestzahl von 45 Anmeldungen zu erreichen. Dagegen hat die Gemeinschaftsschule Boostedt über 90 Anmeldungen, aber nicht genug Räume für den Andrang. In Hennstedt-Ulzburg wollte die CDU-Mehrheit zusätzlich zum Gymnasium zwei Regionalschulen und, wie im Wahlprogramm versprochen, keine Gemeinschaftsschule einrichten. Sie befragte aber die Eltern der Grundschülerinnen und Grundschüler ? rund 70 Prozent stimmten gegen den Plan und verlangten Gemeinschaftsschulen. Ganz so weit will die CDU jetzt nicht gehen, aber immerhin kündigte sie an, dass beim Bildungsministerium jetzt eine Regionalschule und eine Gemeinschaftsschule beantragt wird. Das Gymnasium bleibt als dritte Schulart erhalten.
  • Stormarn: Die Regionalschule in Bargteheide (Emil-Nolde-Schule) hat nur 20 Anmeldungen erhalten. Dagegen werden die beiden Gemeinschaftsschulen überlaufen, sie haben bereits 50 Anmeldungen zuviel. So sind in Bargteheide Plätze für 120 SchülerInnen vorgesehen, man hat aber schon 154 Anmeldungen. Bargteheide hat da eine lange Leidensgeschichte hinter sich, muss doch auch die Gesamtschule im Ort jährlich 50 bis 60 Prozent der Anmeldungen ablehnen. Inzwischen hat das Bildungsministerium grünes Licht für die Einrichtung einer sechsten oder sogar siebenten Parallelklasse für den ersten Gemeinschaftsschulen-Jahrgang gegeben. Die Eltern der 20 angemeldeten Kinder in der Regionalschule müssen sich jetzt entscheiden, ob sie die Anmeldungen als Hauptschulklasse wollen (Mindestgröße 20 Kinder) oder ob sie die Kinder auch an die Gemeinschaftsschule ummelden. In Ahrensburg gibt es nur die Gemeinschaftsschule, die mit hundert Anmeldungen startet. In Bad Oldesloe sind nur 10 Kinder zur Regionalschule angemeldet worden. Gesamtschule und Gemeinschaftsschulen (Theodor-Storm-Schule und Schule am Masurenring) haben mehr als 250 Anmeldungen erhalten.
  • Schleswig-Flensburg: Zur Gemeinschaftsschule in Kappeln liegen 78 Anmeldungen vor. Dagegen hat die Gorch-Fock-Schule in Ellenberg / Kappeln nur 22 Anmeldungen, zu wenig für die geplante Regionalschule. Die Gallbergschule in Schleswig kann mit 45 Anmeldungen als Regionalschule starten.
  • Rendsburg: Hier hat die Christian-Timm-Schule mit 60 Anmeldungen genug Interesse gefunden, um als Regionalschule zu starten. Die Schule Altstadt hat 65 Anmeldungen und startet als Gemeinschaftsschule. Dagegen haben sich zur Schule Rotenhof nur 19 Kinder angemeldet, wohl auch, weil hier keine Turnhalle existiert (die erst im Sommer 2009 fertig wird). Der Start als Gemeinschaftsschule ist damit fraglich, eventuell wird sie als "Außenstelle" der Altstadt-Schule weiter geführt. In Eckernförde kann es die Regionalschule knapp schaffen: Bisher hat die Fritz-Reuter-Schule 40 Anmeldungen erhalten, es fehlen nur noch fünf Kinder. Die Regionalschule in Altenholz hat 70 Anmeldungen.
  • Ostholstein: In Hutzfeld (Bosau) haben sich nur 27 Kinder zur Regionalschule angemeldet. In Grömitz zählt die Regionalschule 40 Anmeldungen. Da 45 Kinder nötig sind, kann die Schule nur mit Sondererlaubnis des Bildungsministeriums starten. In Eutin sprach sich die Schulkonferenz der Wilhelm-Wissen-Schule einstimmig für die Umwandlung zur Gemeinschaftsschule aus, die CDU-Mehrheit in der Selbstverwaltung ignoriert das aber und bereitet einen Antrag vor, die Schule mit der nahe gelegenen Hauptschule zur Regionalschule zu machen.
  • Lübeck: Hier gibt es die Besonderheit, dass LehrerInnen und Eltern der Holstenschule diese in eine Gemeinschaftsschule umwandeln wollten. Obwohl nach dem Schulgesetz der Elternwille Vorrang hat, stimmte die CDU-Mehrheit in der Bürgerschaft den Antrag nieder und gestaltet die Schule jetzt zur Regionalschule um. Bisher 140 Anmeldungen in der Stadt sind mehr als genug und ermöglichen den Start mit voraussichtlich etwas mehr als 100 SchülerInnen ? aber die Eltern hoffen noch immer, sie könnten ihren Willen nach der Kommunalwahl am 25. Mai durchsetzen. Die hohe Zahl an Anmeldungen gerade zu dieser Regionalschule erklärt sich aus daraus, dass es sich um eine Ganztagsschule handelt, für beruftätige Eltern ein gewichtiges Argument. Die Verwaltung will bis 2010 sieben Gemeinschaftsschulen, acht Regionalschulen und sechs Gymnasien in der Stadt haben.
  • Kiel: Hier wurde noch kein Antrag nach dem Schulgesetz gestellt. Das ist nach dem Gesetz möglich, die Umwandlung muss erst zum Schuljahr 2010 in Kraft treten. Problem ist, dass die in Kooperation ?regierende? CDU und die Grünen sich nicht einigen können. So wurde eine Umfrage unter den Grundschuleltern gestartet ? 58 Prozent wollen ihr Kind zum Gymnasium anmelden, 30 Prozent zur Gemeinschaftsschule und nur 12 Prozent zur Regionalschule. Damit stellen sich die Eltern hinter die Vorschläge der Grünen und gegen die der CDU.
  • Herzogtum Lauenburg: Die Gemeinschaftsschule der Stadt Lauenburg hat bereits 130 Anmeldungen, darunter 17 Kinder mit Gymnasialempfehlung. In Ratzburg will eine Elterninitiative eine Gemeinschaftsschule durchsetzen.

Fazit

Es gibt Kompromisse, die einen guten Interessenausgleich schaffen ? und Kompromisse, die zwischen Ideologie und Realität zu vermitteln versuchen. Der Kompromiss im Schulgesetz ist unsinnig, deshalb funktioniert er nicht.
Die Junge Union hat schon gefordert, das Schulgesetz neu zu verhandeln. Ein dreizügiges Schulsystem, gerade von Hauptschule-Realschule-Gymnasium im Umbau zu Regionalschule-Gemeinschaftsschule-Gymnasium funktioniere nicht, so der Landesvorsitzende Rasmus Vöge. Seine Forderung: Zusammenlegen der Regional- mit den Gemeinschaftsschulen nach dem Hamburger Modell, wo es Stadtteilschulen neben den Gymnasien gibt. Eine "Weiterentwicklung des gegliederten Systems zu mehr Chancengerechtigkeit" nennt er das.
Es besteht die Gefahr, dass über die Organisationsform der Schulen noch einige Jahre diskutiert wird ? auf dem Rücken der Kinder. Noch immer schaffen es Schleswig-Holsteins Schulen nicht, alle Kinder mitzunehmen. Rund 10 Prozent verlassen die Schule ohne Abschluss, wobei Kinder aus eingewanderten Familien überproportional zurückgelassen werden. Diese Kinder von Schulart zu Schulart zu verschieben sollte nicht das letzte Wort sein.

Veröffentlicht in Bildung mit den Schlagworten CDU, Junge Union, Polizei, Schleswig-Holstein, Schule, SPD