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Mittwoch, 3. Juni 2009, 2:00 Uhr

Ein "flexibler Rahmen" bei der Arbeitszeit ...

Joachim Behm zu den Europawahlen

Info Archiv Norderstedt | Im Vorfeld der Europawahl am 7. Juni stellten wir CDU, SPD, FDP, LINKEN und GRÜNEN im Kreis Segeberg jeweils vier europapolitische Fragen. Davon sind jeweils zwei Fragen sehr kritisch gehalten, zwei weitere ermöglichen den PolitikerInnen, eigene Schwerpunkte zu setzen. Im folgenden die Antworten des Bad Bramstedter FDP-Politikers Joachim Behm:

Info Archiv: Die FDP hat in der auslaufenden Amtsperiode des Europaparlaments eine geschickte Strategie verfolgt: Während der langwierigen Auseinandersetzung um die Dienstleistungsrichtlinie etwa besuchte Ihr Abgeordneter Dr. Jorgo Chatzimarkakis zahlreiche Handwerksverbände und sicherte ihnen zu, deren Interessen GEGEN das umstrittene Herkunftslandsprinzip der Richtlinie im Parlament zu vertreten. Tatsächlich gehörte die liberale Fraktion dann aber zu den Unterstützern der Urfassung der Richtlinie, die das Herkunftslandsprinzip und damit massives Sozialdumping - u.a. zu Lasten des deutschen Mittelstands - ermöglicht hätte. Ähnlich jetzt Ihre Positionierung zur Wirtschaftskrise: Als ständige Deregulierer und Prediger der "Marktfreiheiten" eigentlich stark mitschuldig am Bankenkollaps, stellen Sie sich - unter anderem mit Wolfgang Kubicki in Schleswig-Holstein - als Lösung der Probleme dar. Die FDP ? DER Wolf im Schafspelz?

Joachim Behm: Die FDP ist "stark mitschuldig am Bankenkollaps"? Zur Erinnerung: Die SPD ist seit elf Jahren in der Bundesregierung. Sie stellt seit elf Jahren den Bundesfinanzminister. Für jede Regelung, die gefehlt hat, trägt ja wohl immer noch die Regierung die Verantwortung und wohl kaum die Opposition. 2002 wurde von rotgrün der Derivatehandel im Immobiliengeschäft ermöglicht, 2003 wurden von rotgrün die Verbriefungszweckgesellschaften zugelassen, 2004 wurden von rot-grün Hedge-Fonds in Deutschland zugelassen und Leerverkäufe erlaubt. Wir haben als FDP bereits zu Anfang dieses Jahrzehnts im Deutschen Bundestag eine bessere Bankenaufsicht gefordert, z.B. 2003 die Schaffung einer einheitlichen Bankenaufsicht und die Einrichtung einer Staatsanwaltschaft für Finanzmarktdelikte. Und zur Verstaatlichung von Banken: Diese Lösung scheitert daran, dass viele der Pleitekandidaten bereits in öffentlicher Hand sind. Nirgends lagert so viel Schrott in den Bilanzen wie bei den staatlichen Banken. Nirgends wurde sich so verspekuliert wie bei den staatlichen Banken. Noch schlimmer: Dort haftet der Steuerzahler nicht nur mit dem Eigenkapital, sondern auch noch für einen Großteil der Verbindlichkeiten gegenüber den Kunden. Etwas Schlimmeres als eine Verstaatlichung von Banken kann es also nicht geben! Der Staat ist nicht der bessere Banker. Das sieht man bei der HSH Nordbank. Seit Jahren rufen wir dazu auf, die HSH zu verkaufen. Als neoliberale Politik der Privatisierung wurde das verteufelt. Hätte man auf uns gehört, wir hätten heute Milliarden mehr im Haushalt zur Verfügung und der Steuerzahler hätte nicht Milliarden Schulden am Hals. Was hätte man mit dem Geld alles machen können? Für Kindergärten, für Schulen, für sozial Bedürftige?

Info Archiv: Nach unseren Informationen unterstützt die liberale Fraktion im Europaparlament sowohl den vorliegenden Entwurf der neuen Arbeitszeitrichtlinie, die Idee des Herkunftslandprinzips, als auch das Projekt der zirkulären Migration. Während die aktuelle Arbeitszeitrichtlinie eine jahresdurchschnittliche Wochenarbeitszeit von 65 Stunden (!) ermöglichen will, und die "zirkuläre Migration" mit der Verknüpfung von Arbeitsverträgen und Aufenthaltsrecht weitgehend rechtlose Arbeitsmigranten aus Nicht-EU-Staaten "schaffen" könnte, würden Sie mit dem Herkunftslandprinzip beispielsweise ermöglichen, dass ein rumänisches Bauunternehmen für einen Auftrag in Hamburg die eigenen Handwerker mitnimmt, sie hier nach rumänischen Arbeitsbedingungen und Löhnen beschäftigt, und wegen einer Briefkastenniederlassung in Estland die dort noch niedrigeren Steuern für die so erwirtschafteten Gewinne wählt. Ist das das Modell eines "liberalen Europa"?

Joachim Behm: Gegenfrage: Wollen wir ein Europa mit einheitlichen Rahmenbedingungen ? oder ein Europa, in dem sich die Mitgliedsstaaten immer in den Fällen abschotten, wenn es ihnen passt? Wenn einheitliche Rahmenbedingungen für Arbeitnehmer in Europa gewollt sind, dann muss der europäische Rahmen bei der Arbeitszeit, des Herkunftslandes und der zirkulären Migration europaweit vergleichbar sein. In der Fragestellung werden verschiedene Aussagen miteinander verknüpft, die bei einer einzelnen Betrachtung von uns wie folgt beantwortet werden:

Zum Herkunftsland: Die Europäische Union steht für Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit aller Unionsbürger - nur Deutschland und Österreich bestehen als einzige Mitglieder der EU darauf, die Freizügigkeit für die in 2004 beigetretenen osteuropäischen Länder bis 2011 einzuschränken. In dem in der Fragestellung genannten Beispiel werden allerdings mehrere Faktoren mit dem Herkunftsland verknüpft, die damit nur indirekt miteinander zu tun haben: Die Arbeitsverträge der rumänischen Handwerker müssten nach estnischem Recht beurteilt werden, denn sie sind über eine estnische Niederlassung angemeldet ? andernfalls müsste die Versteuerung nach rumänischem Recht erfolgen. Darüber hinaus unterliegen die rumänischen Handwerker den deutschen Arbeitsschutzgesetzen. Das Herkunftslandsprinzip darf aus unserer Sicht nicht willkürlich eingeschränkt werden.

Zur Arbeitszeitrichtlinie: Die mittlerweile gescheiterte Arbeitszeitrichtlinie sollte nach dem Willen des Ministerrates in Ausnahmefällen bis zu 65 Wochenstunden unter Einberechnung von Bereitschaftszeiten z.B. zulassen (sog. "opt-out-Regel"). Diese Regelung besteht bereits in Großbritannien und sollte nach dem Willen der Staats- und Regierungschefs und des sozialdemokratischen Bundesarbeitsministers Scholz europaweit gelten. Das europäische Parlament wollte dagegen an der 48-Stunden-Woche festhalten. Wir treten für einen flexiblen Rahmen ein, der es den Tarifparteien ermöglicht, den jeweiligen Anforderungen gerecht zu werden. Ein zu starrer Rahmen hätte die Tarifparteien zu sehr eingeengt.

Zur "zirkulären Migration": Das Ziel der sogenannten "zirkulären Migration" ist es, ausländische Arbeitskräfte nach Bedarf in die EU einreisen zu lassen. Dieses Ziel wird von uns unterstützt. Damit können auch Nicht-EU-Bürger für einen befristeten Zeitraum zu Arbeits, Studien-, Ausbildungszwecken oder einer Kombination von diesen in die EU einreisen und sich dort aufhalten. Dabei gelten die jeweiligen Schutzrechte des Staates, der diese Personen aufnimmt. Es handelt sich gerade nicht um "weitgehend rechtlose Arbeitsmigranten", sondern um hochqualifizierte Nicht-EU-Bürger, die unsere Gesellschaft durch ihr Wissen und ihre Kompetenz bereichern.

Info Archiv: Bitte vervollständigen Sie diesen Satz (möglichst kurz): Die Menschen in Segeberg und Hamburg sollen am 7. Juni FDP wählen, weil ...

Joachim Behm: ...über 70 Prozent dessen, was in Deutschland Gesetz ist auf die EU-Gesetzgebung
zurückgeht. Die Mehrheiten im Europaparlament sind deshalb nicht egal. Wir wollen dass die Europäische Union demokratischer, verständlicher und handlungsfähiger wird. Wir werden uns deshalb für mehr Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft einsetzen.

Info Archiv: Was wollen Sie in den nächsten fünf Jahren im Europaparlament bewegen? Nennen Sie bitte ihre wichtigsten drei Themen und Ihre diesbezüglichen Ziele.

Joachim Behm: Wir wollen mehr Bürgernähe und weniger Bürokratie. Wir fordern deshalb mehr Volksentscheide. Wir wollen die Demokratie auf europäischer Ebene stärken und klare Verantwortlichkeiten schaffen.

Die EU soll mehr Freiheit schaffen und nicht die Bürger zusätzlich belasten. Die FDP will eine starke und schlanke EU. Wir fordern, dass sich die EU auf ihre Kernaufgabe konzentriert: die Sicherung von Frieden und Wohlstand. Die EU soll den Bürgern Möglichkeiten eröffnen und nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben oder was sie konsumieren dürfen. Viele Fragen können vor Ort besser beantwortet werden. Nur eine EU, die sich nicht verzettelt, ist eine starke EU. Deshalb wollen wir die europäische Verwaltung ganz in den Dienst der Bürger stellen. Die Europäische Kommission soll verkleinert werden und das Europäische Parlament nur noch an einem Sitz tagen.

Wir wollen Europas Mitte weiter stärken. Wir gestalten die Rahmenbedingungen, um Arbeit in Europa zu schaffen und zu sichern ? durch die Kraft der Sozialen Marktwirtschaft. Wir wollen den gemeinsamen Markt mit klaren und fairen Spielregeln.

Wir bedanken uns für die Antworten!

Veröffentlicht in Kommunalpolitik mit den Schlagworten Bundestag, CDU, FDP, Schleswig-Holstein, Schule, SPD