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Dienstag, 27. Juli 2004, 2:00 Uhr
Erfolg trotz Schikanen
Schall & Rausch: Das unkommerzielle Festival im elften Jahr
Infoarchiv Norderstedt | Trotz weitreichender Schikanen durch Stadtverwaltung, Polizei und GEMA ist es den OrganisatorInnen des kultverdächtigen "Schall & Rau(s)ch – Festivals" in Norderstedt gelungen, zum elften Mal ein unkommerzielles Musik- und Politik-Event auf die Beine zu stellen. Mehr als 2.000 BesucherInnen kamen in den Norderstedter Stadtpark, um in diesem Jahr ein "kleineres aber feineres" Festival zu erleben.
Zuvor war Schall & Rausch - gerade in den letzten beiden Jahren – derart gewachsen und von Techno-Bühnen dominiert, dass die VeranstalterInnen nur noch mühsam die Kontrolle über die Geschehnisse behielten. So konnte im vergangenen Jahr nicht verhindert werden, dass sich rund 20 Neonazis vor einer der Techno-Bühnen herumtrieben, bereits im Jahr zuvor war es gar zu einer Vergewaltigung auf dem Festival-Gelände gekommen.
Doch nicht diese unstrittigen Negativentwicklungen waren es, mit der die Stadtverwaltung in Person von Baustadtrat Thomas Bosse im Vorfeld argumentierte, man stellte den "Stör- und Lärmeffekt" des Festivals in den Vordergrund und forderte weitreichende Einschränkungen und Auflagen. Schließlich mussten VertreterInnen des Organisations-Teams einen Vertrag mit der Stadt unterzeichnen, in dem sie sich verpflichteten, für mehr als 2.000 Euro Umleitungs- und Sperrschilder aufzustellen, strenge Lärmbeschränkungen einzuhalten und im Falle des Verstoßes gar 5.000 Euro Strafe zu berappen. Außerdem musste eine "Beschwerde-Hotline" am Freitag bis 1 Uhr und am Samstag bis 2 Uhr in der stillgelegten Stonsdorferei besetzt werden, damit sich genervte NorderstedterInnen dort über Schall & Rausch erregen konnten. Wenige Wochen vor Beginn des Festivals meldete sich zu allem Überfluss die berüchtigte GEMA (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte) mit frechen finanziellen Forderungen an den gespielten Musiktiteln der Bands und DJ´s des Festivals.
Auch wenn nicht wenige der ursprünglichen OrganisatorInnen damit langsam an den Rand ihrer Toleranz mit den Schikanen der Beamtenseelen kamen, fand man in der Kürze der noch verbleibenden Zeit eine Lösung. Das Festival konnte damit ohne eine mögliche Eskalation über die Bühne gehen – und wie: Deutlich kleiner, aber auch deutlich politischer und entspannter feierten schließlich mehr als 2.000 BesucherInnen (die „Norderstedter Zeitung“ sprach gar von über 5.000 BesucherInnen) an der Costa Kiesa und damit in genau dem Stadtpark, den Bürgermeister Hans-Joachim Grote künftig gegen hohen Eintritt zum Mittelpunkt einer Landesgartenschau machen will. Vor allem der ursprüngliche Charakter des Festivals wurde in diesem Jahr wieder mehr in den Vordergrund gestellt. So formulierten die OrganisatorInnen: "Das Schall und Rau(s)ch Festival ist unkommerziell und selbstorganisiert. Unkommerziell heißt für uns, dass niemand auf dem gesamten Festival private Gewinne macht. Die Spendeneinnahmen der Essens- und Getränkestände werden zur Kostendeckung des Festivals genutzt. Außerdem wird ein Teil der Einnahmen der Stände für die Arbeit von politisch und kulturell engagierten Gruppen und Projekten verwendet. Wir machen das Festival, weil wir einfach Spaß haben wollen – wir brauchen keinen Kommerz, um zusammen ein gutes Festival auf die Beine zu stellen! Selbstorganisiert bedeutet, dass das Festival in gleichberechtigter Zusammenarbeit von möglichst allen Beteiligten organisiert wird. (...) Leider kam es auch auf dem Schall & Rau(s)ch – Festival zu sexistischen Sprüchen oder gar Übergriffen. Mit Sexismus ist jede Benachteiligung oder Erniedrigung aufgrund des Geschlechts gemeint. Dies darf nicht geduldet werden! Wehrt Euch also oder greift ein, wenn Ihr merkt, dass jemand bedrängt wird oder Ihr selbst betroffen seid! Ob jemand betroffen ist, kann diese Person immer am besten selbst entscheiden, auch wenn jemand meint, nur einen blöden Spruch gemacht zu haben. Ebenso wenig darf gewalttätiges und rassistisches Verhalten geduldet werden, also die Diskriminierung aufgrund der Herkunft, Hautfarbe oder Sprache."
Dutzende DJ´s und 15 Live-Bands traten unter diesen Vorzeichen rund um den kleineren der beiden Baggerseen im Stadtpark auf, darunter der umjubelte "Dauerbrenner", die Misfits-Coverband Braineaters, Skatoon Syndikat, Fiddel Alter Molk oder Räuberhöhle. Alleine vor der Live-Bühne – wie immer organisiert von AktivistInnen des derzeit bedrohten Sozialen Zentrums – versammelten sich am Samstagabend über 700 Punk- und Rockfans. Rund um diese Bühne beteiligten sich zahlreiche politische Gruppen mit Ständen oder Arbeitseinsätzen am Gelingen, so AktivistInnen Hamburger Bauwagenplätze, die anarchistische FAU, das Info Archiv Norderstedt oder das Soziale Zentrum selber. Auf dem übrigen Gelände vergnügten sich weitere eineinhalbtausend NorderstedterInnen, HamburgerInnen und auch von weither angereiste FreundInnen der Festivalkultur – weitgehend ohne Zwischenfälle.
Schon jetzt hat indes die Diskussion darüber begonnen, ob man sich noch ein weiteres Jahr auf solch massive Auflagen von Stadt, Polizei und GEMA einlässt, wie in diesen Juli-Tagen. Bereits angesichts des diesjährigen Vertrages hatten sich einige frühere AktivistInnen vom Festival zurückggezogen, weil ihnen die Zugeständnisse zu groß schienen. Insbesondere das „Beschilderungswesen“ und das "Beschwerdetelefon" stießen neben der GEMA übel auf. So oder so: Schall & Rau(s)ch lebt – unkommerziell, selbstorganisiert, politisch ... und mittlerweile als überregionale Größe.