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Sonntag, 16. Oktober 2005, 2:00 Uhr

"Wir fordern ein selbst verwaltetes Jugendzentrum"

Vom Umgang mit politischen Jugendgruppen

Rainer Perschewski | Presse 1975
"Die Erfolge der Initiativen wurden allerdings vielfach erst nach langen Kämpfen mit den Kommunen. nach vielfältigen Versuchen des Hinhaltens und Hinauszögerns, der Vereinnahmung, Kanalisierung oder der Einschüchterung (verbunden mit vielfältigen taktischen Versuchen, die Initiativen auszutricksen) erreicht. Ihnen wurden damit vielfach Kompromisse aufgedrängt, die ihnen letztlich die lnitiativfunktion raubten. Bei den erfolgreichen Initiativen betrafen die Kompromisse vor allem die zentrale Forderung nach Selbstverwaltung, die über das Vereinsrecht und vielfältige Auflagen und Eingriffe eingeschränkt wurde. (...) In vielen anderen Fällen wurden Konflikte sehr schnell zum Anlass genommen (...), um die Jugendzentren zu schließen und nur unter Verzicht auf die zentralen Momente der Selbstverwaltung wieder zu eröffnen." (aus: Franz-Josef Krafeld, Geschichte der Jugendarbeit, Weinheim u. Basel, 1984)

"Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es sich nicht um reine Böswilligkeit der Kommunenvertreter handeln. Die fehlenden Verhaltensvorschriften im Umgang mit Neuem verbreiten Angst und Unsicherheit, denen man zunächst durch Zeitgewinn zu entkommen sucht und hofft, dass sich das Problem von selbst löst. Die Erfahrungen bestätigen, dass diese Vermutung berechtigt ist. Viele Jugendzentrumsinitiativen werden durch das Warten auf Erfolgserlebnisse dezimiert und verlieren gleichzeitig an Druck. Der umständliche und aufreibende Behördenumgang vermag zudem dem hartnäckigen Teil des aktiven Kerns durch Kleinarbeit zu binden. Ist damit das lästige Jugendzentrumsproblem noch nicht bewältigt, erfolgen kleinere Zusagen."

Heimatspiegel 1975Die Forderung nach Selbstverwaltung in Norderstedt spiegelte sich in mehreren Ideen und Versuchen von Jugendlichen wieder. Als Beispiele können hier genannt werden: die Auseinandersetzung um das Jugendheim Tannenhofstraße bzw. später Jugendheim Buschweg, Selbstverwaltung in der Teestube Aurikelstieg, die Initiative für eine Jugendkneipe "Kulturpott" und in jüngster Zeit die Diskussionen um ein Soziales Zentrum in dem ehemaligen Stelly-Haus, Ulzburger Straße 6.

Anhand der Diskussionen um das Jugendheim Tannenhofstraße und das Soziale Zentrum wird im nachfolgenden deutlich, dass die Verantwortlichen in Norderstedt gerade mit politisch motivierten Jugendinitiativen ihre Schwierigkeiten haben.

Jugendzentrum Tannenhofstraße: Vom Provisorium zum politischen Streitobjekt

1962 erstand die damalige Gemeinde Garstedt auf dem Grundstück Ecke Schillerstraße/Tannenhofstraße einen Flachbau, als Provisorium für ein Jugendheim. In dieser städtischen Einrichtung entfalteten ab Ende der 60er Jahre vorwiegend politische Jugendgruppen rege Aktivitäten, sehr zum Unwillen der Stadthonoratioren. Die sehr unterschiedlichen Veranstaltungen reichten von Versammlungen des BDJ (Bund demokratischer Jugend), der SDAJ (Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend), Junge Pioniere (sozialistische Kindergruppe), Schülergruppen des Gymnasium Harksheide und der Schule Moorbekstraße, sowie spontaner Initiativgruppen, über einen regelmäßigen Film-Club, Feten, Lieder und Literaturabende bis zu politischen Informationsveranstaltungen.

Im April 1975 besiegelte die Stadt das Schicksal des Jugendheimes: es wurde aus "baupolizeilichen Gründen" geschlossen. "Der Zustand des (...) Gebäude lässt nach Auffassung der Bauaufsichtsbehörde eine weitere Benutzung nicht mehr zu. (...) Aus diesem Grunde muss ich Sie bitten, mir den in Ihrem Besitz befindlichen Haustürschlüssel bis zum 11.04.1975 auszuhändigen und die Nutzung des Hauses ab sofort einzustellen", so Thomas Lahrsen, der damalige Stadtjugendpfleger, in einem Brief an die Jugendlichen. Gleichzeitig wurde mitgeteilt, dass nicht die Absicht besteht das Haus wiederherzurichten, sondern durch einen Neubau am Buschweg zu ersetzen. "Eine Ersatzlösung hinsichtlich der Raumfrage anzubieten, bin ich vor der Fertigstellung des Hauses am Buschweg nicht in der Lage", so Lahrsen weiter. Möglicher Widerstand wurde dadurch erschwert, indem der Brief erst 14 Tage vor der angekündigten Schließung zugestellt wurde.

In rasch verabschiedeten Briefen und Resolutionen warfen die Gruppen der Stadt vor, "...dass es bei der Schließung nicht darum geht, irgendwelche baupolizeilichen Vorschriften durchzusetzen", sondern um "(...) ein Schlag gegen die sich dort entwickelnde demokratische Jugendarbeit" zu führen. Die Stadt wies diese Vorwürfe zurück. Zwei Tage nach dem Verstreichen der Frist machte eine Planierraupe das Jugendheim dem Erdboden gleich. Die Stadt hatte es hier "ungewöhnlich eilig", so der Kommentar eines SPD-Vertreters. In einer Sitzung der Stadtvertretung attackierte der SPD-Stadtvertreter Klaus Grotzek das Handeln der Stadt: "Die Entscheidungen über Schließung und Abriss des Heimes sind nicht im zuständigen Ausschuss für Jugend, Sport und Erholung vorberaten worden. Der Ausschuss erhielt erst nachträglich von dem Schreiben an die Benutzer des Jugendheimes Kenntnis." Außerdem seien, so Grotzek weiter, keinerlei Bemühungen unternommen worden, um Ersatzräume zu beschaffen.

Zudem gab es noch mehrere Punkte, die den Verdacht der Jugendgruppen erhärteten:

  1. Die Einrichtung des Jugendfreizeitheimes an der Tannenhofstraße etwa 1962 war "als Provisorium für ca. vier Jahre" gedacht. Aus diesen vier Jahren wurden über zehn. So erschien es auch kaum glaubwürdig, dass nun unbedingt von heute auf morgen eine Schließung nicht mehr zu verhindern war und zumindest bis zu der Eröffnung des in Aussicht gestellten Bau des neuen Hauses am Buschweg eine Nutzung nicht möglich sein sollte.
  2. Der schlechte Zustand des Jugendfreizeitheimes war bekannt: "Noch vor knapp einem Jahr (Juni '74) hatte die Ortsbesichtigung allerdings ein anderes Ergebnis: Damals wurde das Jugendheim für NICHT baufällig befunden, obwohl es sich (...) in einem schlimmeren Zustand befand als jetzt", so die Jugendlichen in einem offenen Brief an die Stadt. Größtenteils auf eigene Kosten führten die Gruppen umfangreiche Renovierungsarbeiten (Malen, Tapezieren, Reparaturen von Fenstern u. Türen) durch. Bestimmte Arbeiten wie z.B. reparieren elektrischer Leitungen sollten nach Auffassung der Stadt jedoch von "Fachleuten" durchgeführt werden. Doch alle Forderungen der Jugendlichen, entsprechende Arbeiten durchzuführen, blieben ungehört. Dieses nährte natürlich den Verdacht, dass hier Absicht hinter stand.
  3. CDU-Fraktionschef Mette sprach von einem im Bau befindlichen Jugendheim, das Ende des Jahres ('75) fertig gestellt sein würde, obwohl beispielsweise zum Zeitpunkt des Abrisses für die Baufläche des neuen Freizeitheimes noch ein Pachtvertrag mit einem Landwirt bis zum 1. Oktober 1976 bestand. So wunderte es niemanden, dass bis April 1976 der erste Spatenstich auf sich warten ließ.
  4. Den Jugendlichen wurde nahe gelegt, sich selber nach anderen Räumlichkeiten umzusehen, jedoch wurde ihnen die Nutzung der zu diesem Zeitpunkt leer stehenden Teestube Aurikelstieg verwehrt.

Eine Zeitung brachte es denn auch auf den Punkt: "Bruchbude geschlossen - Jugendheim wurde missbraucht". Eine "freie politische Betätigung in Freizeitstätten" ist unerwünscht. Im September 1977 wurde schließlich das Jugendfreizeitheim Buschweg eingeweiht und damit erhielten auch die Jugendgruppen der Tannenhofstraße die endgültige Bestätigung: Die Nutzung war nur organisierten und "förderungswürdigen" Gruppen vorbehalten. So genannte "Problemjugendliche" waren nicht erwünscht und "Linke Jugendgruppen" erhielten keine "Nutzungserlaubnis".

Zweieinhalb Monate nach der feierlichen Eröffnung fand sich folgende Meldung in der Norderstedter Presse: "Jugendheim Buschweg nicht ausgelastet: Haben die Verbote die Jugendlichen vertrieben?"
Norderstedter Anzeiger 1977

Soziales Zentrum: "Wir wollen es! Wir brauchen es! Wir kriegen es!" - Lockt Norderstedt die Hafenstraße an?

Seit 1992 existiert eine Jugendinitiative, welche der Stadt Norderstedt zumindest einen Nutzungsvertrag für ein Hinterhaus abringen konnte. Doch auch hier bestätigen sich die eingangs angeführten Zitate.

Am 13. November 1992 (!) erlebte Norderstedt die erste Hausbesetzung der Stadtgeschichte. Das ehemalige Mütterzentrum in der Alten Dorfstraße 30 wurde aus Protest gegen Mietwucher, Spekulation und für ein selbst verwaltetes Zentrum besetzt. Norderstedt sei nun einmal eine Stadt der Besserverdienenden, kommentierte der damalige Kulturdezernent der Verwaltung die Hausbesetzung."

Die Besetzerlnnen forderten den Erhalt des Hauses und günstigen Wohnraum. An die Stadtverwaltung erging die Forderung, diese Ziele gegenüber dem Eigentümer zu unterstützen. Sechs Tage lang lebten die rund 30 Besetzerlnnen ihre Ideen von Selbstverwaltung und über 100 Menschen beteiligten sich an den laufenden Aktionen. Am sechsten Tag wurde der Traum von 100 Polizistlnnen und der Abrissbirne zerschlagen.

Die Besetzerinnengruppe beschloss, weiter für ihre Ideen zu kämpfen und gründete das Häuserplenum Norderstedt, welches sich mit der Wohnungspolitik der Stadt auseinandersetzte. Hier nahm auch die Idee für ein "Soziales Zentrum" Form an, welches gemeinsames Wohnen, Kultur und Politik miteinander verbinden sollte.

Am 11.06.1993 folgte dann die zweite Besetzung: Ein seit 20 Jahren (!) leer stehendes Reihenhaus in der Bahnhofstraße im Stadtteil Friedrichsgabe wurde "symbolisch" für ca. 24 Stunden besetzt. Noch bevor die Polizei aufmarschieren konnte, verließen die Besetzerlnnen das Haus. Kurz nach der Besetzung entschloss sich die Eigentümerin, die Häuser renovieren zu lassen.

Um die weitere Arbeit zu koordinieren, gründen Besetzerlnnen und Menschen aus verschiedenen Antifa-Gruppen das Häuserplenum.

Flugblatt Soziales ZentrumEs folgten über einen Zeitraum von zwei Jahren die verschiedensten Aktionen. Immer wieder schaffte es das Häuserplenum sich Gehör zu verschaffen: Demonstrationen in der Stadtvertretung, Forderungen an den Jugendausschuss, Veranstaltungen, Plakatierungen in Norderstedt sind dafür einige Beispiele.

Neben den verschiedenen Aktionen des Häuserplenums, begannen parallel Verhandlungen über ein soziales Zentrum mit den Parteien (SPD und Grüne)und in deren, Folge häufige Einladungen zu Anhörungen in den Jugendausschuss der Stadtvertretung.

Die politischen Fronten waren klar, einerseits versuchte die Norderstedter SPD den Forderungen nach selbst verwalteten Einrichtungen nachzugeben, andererseits blockte die CDU und führte mit Unterstützung der Presse eine Kampagne gegen das Projekt, deren mögliche Nutzerinnen und die zu erwartenden Kosten. "Lockt Norderstedt die Hafenstraße an?", lautete beispielsweise eine Schlagzeile der Norderstedter Zeitung. Dieses blieb natürlich nicht ohne Wirkung. Die Mitglieder des Häuserplenums konnten in den diversen Gesprächen die Schwankungen nachvollziehen. Die Anforderungen, die dem Häuserplenum auferlegt wurden, wuchsen in den Verhandlungen. So musste zunächst ein Verein gegründet werden (Soziales Zentrum e.V.), dann wurde ein Wirtschaftsplan verlangt und schließlich begann ein Marathon an Anhörungen und Nachfragen. Das dann zur Diskussion stehende städtische ehemalige Stelly-Haus an der Ulzburger Straße musste natürlich auch vom Häuserplenum gesucht und vorgeschlagen werden, denn Verwaltung und Politik gaben in den letzten zwei Jahren immer ähnliche Antworten: "Die Verwaltung wird beauftragt, zu prüfen...", "...der Ausschuss erkennt die Intention des Antrages an...", "...der Magistrat weist daraufhin...", "...es war leider nicht möglich, entsprechende Räumlichkeiten zu finden." Diesem Vorschlag stand die Verwaltung erwartungsgemäß skeptisch gegenüber, das Haus sei baufällig und solle einem Parkplatz weichen.

Im Juni 1995 schließlich beschloss die Stadtvertretung, den Jugendlichen zumindest das Hinterhaus des Stelly-Hauses in der Ulzburger Str. 6a zur Verfügung zu stellen. Als im August 1995 noch immer kein Vertrag eingegangen war, folgte die 3. Besetzung eines Hauses in Norderstedt. Drei Wochen später wurde ein Vertrag unterzeichnet und der Verein begann mit den Sanierungsarbeiten.

Damit ist die Auseinandersetzung allerdings noch nicht beendet. Ob und wie die Jugendlichen das Vorderhaus erhalten, ist weiterhin umstritten, eine Entscheidung der politischen Gremien steht noch aus.

Zitate aus:
Heimatspiegel vom 10.04.1975
Dokumentation der SDAJ, 1976, sowie Flugblätter der Organisationen aus Privatsammlungen.
Schreiben der Stadt Norderstedt, Amt für Jugend und Sport, vom 26.03.1975, abgedruckt in der Dokumentation
der SDAJ Norderstedt, 1976.
Heimatspiegel vom 30.04.1975
Heimatspiegel vom 10.04.1975
Norderstedter Zeitung vom 09.04.1975
Siehe Berichterstattung zur Eröffnung: Norderstedter Zeitung und Heimatspiegel September 1977
Norderstedter Anzeiger Nr. 11/1977
Titel einer Veröffentlichung des Häuserplenum Norderstedt, 1994
Schlagzeile der Norderstedter Zeitung
Norderstedter Zeitung vom 20.11.1992
Siehe: Dokumentation und Selbstdarstellungen des Vereins Soziales Zentrum e.V., April 1995
Norderstedter Zeitung vom 14.06.1993

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