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Sonntag, 8. September 2002, 2:00 Uhr
Fußball aua!
Olaf Harning | Unter entsetzlichen Qualen einiger Fußball-Fetischisten und Selbstdarsteller platzte dieser Tage eine der jahrelang gehegten Seifenblasen Norderstedter Größenwahns. Nach umstrittenen Geschäftsgebahren und vorgetäuschten Profibedingungen zeigte die Delegiertenversammlung des 1. SC Norderstedt den Fußballprotagonisten um Volker Hallwachs (Stadtwerke-Chef) am 27. Juni die Rote Karte.
Es muß ihnen das Herz gebrochen haben, das erste Spiel des SCN dieser Serie: Mit einer nicht zu verachtenden 1:8 Niederlage kehrte die erste Herrenmannschaft des letztjährigen Oberliga-Vierten vom Bezirksliga-Duell aus Hamburg-Farmsen zurück. Nur wenige Tage zuvor war der Club von der Ochsenzoller Straße mit einem 1:3 gegen den SC Sperber in der ersten Runde aus dem Hamburger Oddset-Pokal ausgeschieden. Der 1.SC Norderstedt ist hart auf dem Boden der Realität angelangt - statt VfR Neumünster oder St. Pauli (A) heißen die Gegner jetzt Bramfelder SV II oder Walddörfer SV.
Anfang Juli dieses Jahres und damit nur wenige Wochen vor Beginn der neuen Oberligasaison hatten die Verantwortlichen die erste Mannschaft vom Spielbetrieb abgemeldet. Doch was die städtischen Fußballfans in schiere Raserei verfallen ließ und endlose Pöbeleien in den hiesigen Gazetten zur Folge hatte, entspringt der überraschenden Vernunft des Vereinsvorstandes: Im Sinne des Breitensports und der Masse der insgesamt fast 4.000 Mitglieder des Clubs entschieden sich u.a. die SCN-Vorstandsmitglieder Hans Hermann Diercks, Wolfgang Schulz und Jörg Rau dafür, die riskanten Finanzmanöver der Sport Marketing Agency (SMA) nicht länger mitzumachen, die hinter dem ausgegliederten Profi-Fußball stand. Was war geschehen? Schon seit 1998 bemühte sich die Fußball-Abteilung des 1. SC Norderstedt um ihre Ausgliederung aus dem Hauptverein. Das Projekt "FC Norderstedt im 1. SCN" scheiterte jedoch mehrfach u.a. daran, dass man auf Seiten der Fußballer nicht bereit war, den Hauptverein angemessen zu entschädigen, hatte der doch zuvor aus den Mitteln des Breitensports die hervorragenden Bedingungen für den Fußball-Sport geschaffen. Alleine für den Bau des 8.000 ZuschauerInnen fassenden Stadions an der Ochsenzoller Straße waren rund 600.000 DM vereinseigener Mittel geflossen. Alternativ zur gänzlichen Ausgliederung übertrug man die Geschicke der unter Profi-Bedingungen arbeitenden 1. Mannschaft schließlich der "Sport Marketing Agency", die die finanziellen und organisatorischen Lasten jedoch nicht alleine bewältigen konnte.
Vor diesen Hintergund faßte die Delegiertenversammlung des 1. SC Norderstedt per Mehrheitsentscheid den Beschluß, dass die Rückkehr der Profi-Fußballer in den Hauptverein unter den vorgegebenen Bedingungen abzulehnen ist und untersagte ein weitergehendes, finanzielles Engagement des 1. SCN in der SMA. Zuvor jedoch hatte eben jene dubiose Sport Marketing Agency um den Hauptsponsor Stadtwerke Norderstedt und deren umstrittenen Chef Volker Hallwachs einen nur unvollständig gedeckten Etat und die Forderung vorgelegt, der Verein müsse sich mit rund 40.000 EURO an der "Agency" beteiligen. Zudem sollen Hallwachs & Co noch zu diesem Zeitpunkt über einen möglichen Aufstieg in die Regionalliga Nord schwadroniert haben, der weitere Unwägbarkeiten mit sich gebracht hätte. Dem Vereinsvorstand blieb unter diesen Umständen praktisch keine andere Wahl, als die Notbremse zu ziehen. Demzufolge prallten auch bittere Vorwürfe einiger Spieler an Diercks, Schulz und Rau ab, obwohl sie öffentlich die Verantwortung für die umkämpfte Entscheidung übernahmen. Mehrfach während der Verhandlungen seien die SMA und ihre Protagonisten auf die ungeklärten Fragen aufmerksam gemacht worden und noch am 17. Juni warnte der Vereinsvorstand zum wiederholten Male davor, voreilige Zusagen an Spieler und Sponsoren zu machen. Als die SMA schließlich selbst nach der Entscheidung der Delegierten noch den Eindruck verbreitete, der Oberliga-Spielbetrieb sei gesichtert, griff der Vorstand zum äußersten Mittel und erkannte "Liga-Manager" Ralf Schehr am 5. Juli eben jenen Titel ab, um den Ernst der Situation zu verdeutlichen.
Doch nicht nur der 1. SC Norderstedt mußte heuer Lehrgeld zahlen. In der vergangenen Saison wurde auch der benachbarte Verbandsliga-Club Glashütter SV zur Einsicht gezwungen, dass man sich zuvor fälschlich auf wenige Geldgeber verlassen und eine sportliche Seifenblase geschaffen hatte. In der Saison 2001/2002 stieg der GSV sang- und klanglos aus der höchsten Hamburger Spielklasse ab und startete jüngst erfolglos in der Hansa-Staffel der Landesliga, wo man sich derzeit auf den unteren Rängen wiederfindet. Erfolgreichste Fußballmannschaft der Stadt ist somit plötzlich und unerwartet der Turn- und Rasensportverein Harksheide (TuRa Harksheide), der jahrzehntelang ein Mauerblümchendasein gefristet hatte. Und auch der SV Friedrichsgabe - nach dem sportlichen Niedergang Anfang der 90er Jahre jüngst wieder in die Bezirksliga aufgestiegen - meldet sich mit einem multikulturellen Team just in der selben Spielklasse wie der einstige Goliath SCN zurück - mit einem vielversprechenden Auftakt. Manchmal gibt es also auch im zur nackten Handelsware verkommenen Fußballsport eine Art ausgleichende Gerechtigkeit mit hohem Unterhaltungswert.