+ + + ARCHIVIERTER INHALT + + +

Diese Seite kommt aus unserem Archiv und enthält möglicherweise Informationen, die nicht mehr aktuell sind. Bitte beachten Sie das Veröffentlichungsdatum dieser Seite.

Sonntag, 1. August 2010, 2:00 Uhr

"Gott kann man nicht bestreiken!"

Die Mythisierung der kirchlichen Arbeitswelt als Dienstgemeinschaft

Von Karl-Helmut Lechner | Innerhalb der beiden großen Kirchen in Deutschland und deren Einrichtungen und Werken gilt auch weiterhin das Streikverbot. Dies bestätigte das Arbeitsgericht Bielefeld erst am 3. März 2010 in einem Urteil und stärkt damit den so genannten "Dritten Weg" der Kirchen. Das Arbeitsrecht gilt auch in den Kirchen - allerdings mit Abweichungen. Betriebsräte heißen hier "Mitarbeitervertretungen". An Stelle von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gibt es die "Dienstgemeinschaft". Regelungen werden auf dem "Dritten Weg" getroffen. Und bei Nichteinigung steht am Ende nicht Streik, sondern die Zwangsschlichtung. Ein Artikel des ehemaligen Norderstedter Pastors Karl-Helmut Lechner.

"Gott kann man nicht bestreiken. Das ist unser Leitgedanke - und der ist uns heute vor Gericht bestätigt worden", sagte der Sprecher des Vorstands der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe. Anlass der Klage vor dem Bielefelder Arbeitsgericht waren Streikaufrufe der Gewerkschaft ver.di im September 2009 in Einrichtungen von Kirche und Diakonie in mehreren Bundesländern. In Niedersachsen war davon das Diakonische Werk Christophorus in Göttingen betroffen, das in der Alten-, Jugend- und Behindertenhilfe tätig ist. Nach deren Angaben haben rund 300 Mitarbeiter von diakonischen Einrichtungen in vier Bundesländern im September 2009 wenigstens kurzfristig gestreikt. In der Tat keine große Zahl. Dennoch hatte der Streik eine beachtliche Wirkung: Vier diakonische Einrichtungen haben zusammen mit der westfälischen und der hannoverschen Landeskirche und ihren diakonischen Verbänden, die Gewerkschaft ver.di auf Unterlassung von Streikaufrufen verklagt. Am 3. März 2010 gab das Bielefelder Arbeitsgericht den Kirchen Recht. Das Wirtschaftsimperium der Kirchen Für manche, die zu Recht mit der Kirche nicht viel am Hut haben, mag das exotisch klingen und wie eine Nachricht aus einer anderen Welt. Eines sollten sie aber wissen: Die beiden Kirchen zusammen sind praktisch der größte Konzern in Deutschland. Konkrete Zahlen aus dem Jahre 2003 belegen: Mit einem Gesamtvermögen von rund 500 Milliarden Euro, 53 Millionen Mitgliedern und über 1,3 Millionen Beschäftigten, verteilt auf etwa 50.000 selbständige Unternehmen, sowie einem Gesamtumsatz von mehr als 125 Milliarden Euro jährlich, sind die beiden großen Kirchen ein Wirtschaftsimperium, das in der Rangliste der größten Unternehmen Deutschlands seinesgleichen sucht. Im Vergleich dazu: Siemens hat 417.000 Beschäftigte und gemessen am Umsatz lagen im Vergleichsjahr die Kirchen nur knapp hinter dem Stuttgarter Autokonzern DaimlerChrysler. Die katholische Caritas: In ihr arbeiten 520.186 Menschen hauptberuflich in 24.939 Einrichtungen und Diensten. Das ergab die aktuelle Erhebung Ende 2006. Von den hauptberuflichen Mitarbeitern arbeiten mehr als 40 Prozent in den Einrichtungen und Diensten der Gesundheitshilfe, jeweils 20 Prozent in den Bereichen Kinder- und Jugendhilfe sowie Altenhilfe. Fast zwei Drittel aller Mitarbeiter der Caritas pflegen und betreuen Menschen in stationären Einrichtungen, 20 Prozent aller Beschäftigten arbeiten in Tageseinrichtungen. Der Caritasverband für Schleswig-Holstein e.V., der 1948 gegründet wurde, ist relativ klein: In seinen Diensten und Einrichtungen, die sich wiederum in Orts-Caritasverbände in Flensburg, Kiel, Lübeck und Neumünster untergliedern, arbeiten etwa 500 hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dazu gehören vier Alten- und Pflegeheime, eine Einrichtung für Betreutes Wohnen, ein Kinder- und Jugendhaus und eine Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtung für Mutter und Kind. Die evangelische Diakonie: Sie ist die größte Institution der evangelischen Kirche mit über 435.000 Mitarbeitenden und mehr als 20 Milliarden Euro Jahresumsatz. Ihre Beschäftigten arbeiten in fast 27.500 selbstständigen Einrichtungen unterschiedlicher Größe und Rechtsform mit mehr als einer Million Betreuungsplätzen. In Schleswig-Holstein ist die Diakonie nach eigenen Angaben der größte Wohlfahrtsverband mit 28.000 Hauptamtlichen in 750 Einrichtungen. Für Menschen mit Behinderung betreibt die Diakonie rund 100 Häuser zum Wohnen und Werkstätten zum Arbeiten. Durch die Diakonie in Schleswig-Holstein werden rund 12.000 ältere Menschen ambulant oder in Pflegeeinrichtungen betreut. Zur Diakonie gehören auch die evangelische Hilfsorganisation "Brot für die Welt" und die Diakonie Katastrophenhilfe. Und für diese beiden Riesenunternehmen gilt bundesweit: Streikverbot! Die Rechtslage Wie kann es zu solch einer Rechtslage kommen? "Eigentlich", die Juristen sagen an dieser Stelle gerne "grundsätzlich", gelten im kirchlichen Dienst dieselben arbeits- und tarifrechtlichen Bestimmungen wie für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Ausnahmen und Besonderheiten ergeben sich aber aus dem Grundrecht der Religionsfreiheit (Artikel 4 Absatz. 1 und 2 Grundgesetz) und der im Artikels 140 des Grundgesetzes festgelegten Kirchenautonomie, festgeschrieben durch Übernahme der Artikel 136 bis 141 der Weimarer Reichsverfassung von 1919. Artikel 16c des EU-Vertrages von Lissabon aus dem Jahre 2007 bekräftigt dies: "Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht." Damit hat das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften verfassungsrechtlichen Rang. So weit, so gut. Dies steht aber den Kirchen in den Kernbereichen ihrer Religionsausübung zu, wo es darum gehen mag, ob Jesus der Erlöser der Welt ist oder ob es vielleicht doch besser ist, die Jungfrau Maria als Mittlerin anzurufen. Auch darf der Staat sich beispielsweise nicht einmischen in gottesdienstliche Handlungen, und ihnen etwa statt Weihrauch ein anderes Duftmittel vorschreiben. Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen geht viel weiter: "Wort und Tat" gehören unmittelbar zusammen. Nach dem Selbstverständnis der Kirchen umfasst die Religionsausübung auch die "Freiheit zur Entfaltung und Wirksamkeit in der Welt". Das karitative Wirken ist als "tätige Nächstenliebe" eine wesentliche Aufgabe der Christen und wird von ihnen als Grundfunktion verstanden. Karitative Einrichtungen wie kirchliche Krankenhäuser, Altenheime oder Kindergärten unterliegen danach ebenfalls dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. In dem Augenblick, wo die Kirche den von ihr verkündigten Auftrag Gottes in die Tat umsetzen will, und dem gepredigten Wort die Tat der Nächstenliebe folgen lässt, geht ihr verfassungsmäßiges Selbstbestimmungsrecht auch auf diese so beauftragte kirchliche Einrichtung über. Die Kirche braucht nur zu erklären, diese Einrichtung sei "nach ihrem eigenen kirchlichen Selbstverständnis entsprechend berufen, ein Stück des Auftrags der Kirche wahrzunehmen". Und schon sind nicht nur Kindergärten und Altenheime, sondern genauso auch Banken, wie die Evangelische Darlehensgenossenschaft in Kiel, die Bank für Kirche und Caritas oder der Weltbild-Verlag dem allgemeinen Arbeits- und Tarifrecht entzogen. So hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach entschieden. Das "spezifisch Kirchliche, das kirchliche Proprium", so das Gericht, darf nicht in Frage gestellt werden. So können den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern besondere Vorschriften über eine kirchentreue Lebensführung gemacht werden. Dazu gehört die Beachtung "jedenfalls der tragenden Grundsätze der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre". Eine Pädagogin, die z.B. die Existenz Gottes leugnet, fliegt nach herrschender Rechtsprechung raus. Wer seine Ehe nicht kirchlich geschlossen hat, gar geschieden oder wiederverheiratet hat, muss mit dicken Problemen rechnen. Der Rechtssprechung nach ist das allemal ein Kündigungsgrund. Die Rechtfertigung dafür sieht das Bundesverfassungsgericht darin, dass die Glaubwürdigkeit der Kirchen davon abhängen kann, dass ihre Mitglieder die kirchliche Ordnung auch in ihrer Lebensführung respektieren. Die Maßstäbe dafür setzt die verfasste Kirche selbst. Genau das tun die Kirchen auch bei der Gestaltung der kirchlichen Arbeitsverhältnisse. Sie legen ihnen das Leitbild einer "christlichen Dienstgemeinschaft" aller ihrer Mitarbeiter zugrunde. Dies kommt besonders "schön" in §10 des MVG (Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland) zum Ausdruck, wo es klipp und klar heißt: "Wählbar sind alle Wahlberechtigten, die am Wahltag Glieder einer Kirche oder Gemeinschaft sind, die der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland angeschlossen ist." Kirchenmitgliedschaft ist obligatorisch, will man dort sein Brot verdienen. "Dienstgemeinschaft" und der "Dritte Weg" Und wenn es Konflikte gibt? Dazu haben die Kirchen sich etwas einfallen lassen, den so genannten "Dritten Weg". Den sie natürlich erst mal theologisch begründen.

  • "Diakonie ist Lebens- und Wesensäußerung der evangelischen Kirchen. Mit ihrem Dienst am Nächsten kommt sie dem kirchlichen Auftrag nach, die Liebe Gottes zum Menschen durch Wort und Tat zu verkündigen. Innerhalb der Diakonie sind Dienstnehmer und Dienstgeber verbunden in der Erfüllung dieses gemeinsamen Auftrages. Sie bilden eine Dienstgemeinschaft, die sich zu vertrauensvoller Zusammenarbeit verpflichtet. Das Leitbild der Dienstgemeinschaft und die religiöse Dimension des kirchlichen Dienstes fordert ein System, das auf Partnerschaftlichkeit, Dialog und Kooperation ausgelegt ist. Jede und jeder diakonische Mitarbeitende hat - unabhängig von der Aufgabe seiner beruflichen Stellung - teil an der Verkündigung der Liebe Gottes. Anders als in der gewerblichen Wirtschaft stehen sich in dieser Gemeinschaft nicht Arbeit und Kapital als zwei Gegenpole mit gegensätzlichen Interessen gegenüber."

Im Verlauf der sechziger und Anfang der siebziger Jahre setzte sich in der evangelischen und in der katholischen Kirche in Deutschland die Erkenntnis durch, dass es dem Wesen des Dienstes in der Kirche nicht entspräche, wenn der Inhalt der Arbeitsverhältnisse kirchlicher Mitarbeiter ganz und gar einseitig durch den kirchlichen Gesetzgeber oder durch kirchliche Leitungsorgane gestaltet werden würde. Wenn dieser "Erste Weg" zur Regelung der Arbeitsverhältnisse ausschied, musste geklärt werden, ob die Kirche stattdessen Tarifverträge mit den Gewerkschaften abschließen sollte (der "Zweite Weg") oder ob es einen "Dritten Weg" zur Regelung der Arbeitsrechtsverhältnisse gebe. Beide große Kirchen machten sich die Rechtsauffassung zueigen, dass das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, das die Verfassung diesen garantiert, eine Verpflichtung der Kirchen auf das Tarifvertragssystem (Zweiter Weg) ausschließt. Tatsächlich haben auch nur ausnahmsweise zwei evangelische Landeskirchen, die Nordelbische Kirche (NEK) und die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg, Tarifverträge abgeschlossen. Die Nordelbische Kirche, die seit 1977 Schleswig-Holstein und Hamburg umfasst, konnte hinsichtlich der Gestaltung des kirchlichen Arbeitsrechtes auf die "gute Tradition der Landeskirche Schleswig-Holstein" (ihrer Vorgängerin) zurückgreifen, die seit 1961 bereits Tarifverträge abgeschlossen hatte. So erläutert es Klaus Blaschke in "Tarifrecht" (Lutherische Verlagsgesellschaft Kiel, S. 7). Die NEK schloss 1979 den Tarifvertrag für Kirchlichen ArbeitnehmerInnen (KAT) mit der Gewerkschaft ÖTV ab. Einher ging das allerdings mit der Einigung zwischen den Tarifparteien, generell auf Arbeitskampf zu verzichten. Im Übrigen haben sich die Evangelische Kirche in Deutschland und die Katholische Kirche ausnahmslos für den Dritten Weg entschieden. In Kirche und Diakonie erfolgt die Festlegung des geltenden Arbeitsrechts über eine "Arbeitsrechtliche Kommission" (ARK), in der für beide Seiten akzeptable Lösungen erarbeitet werden. Gemäß der Vorstellung der diakonischen Dienstgemeinschaft ist die Suche nach Konsens in den ARKen von Partnerschaft und Kooperation geprägt und nicht von Konfrontation. Schließlich sind im kirchlichen Dienst alle Beteiligten den gleichen religiösen Grundlagen und Zielen verpflichtet. "Der gerechte solidarische Interessenausgleich und die Anerkennung der Gleichwertigkeit von Dienstgebern und Dienstnehmern sind die Leitmotive des Dritten Weges". So der VdDD, der Verband diakonischer Dienstgeber in Deutschland. Die Durchführung des Dritten Weges ist kirchengesetzlich (Arbeitsrechtsregelungsgesetze) oder durch entsprechende kircheninterne Ordnungen geregelt. Kernstück dieses auf kircheninterner Rechtssetzung beruhenden Modells ist eine Arbeitsrechtliche Kommission, der Vertreter der Mitarbeiter und der Arbeitgeber in gleicher Zahl angehören. Ihre Aufgabe ist "die Ordnung der Arbeitsbedingungen und deren Fortentwicklung". Die Mitarbeitervertreter werden durch Vereinigungen, in denen mindestens 500 Mitarbeiter in der Diakonie zusammengeschlossen sind, nach dem Verhältnis der in ihnen organisierten Mitarbeiter entsandt. Beschlüsse bedürfen einer Zweidrittelmehrheit. Erhält ein Antrag trotz zweimaliger Beratung diese Mehrheit nicht, so entscheidet ein Schlichtungsausschuss. Dieser Ausschuss besteht aus einem Vorsitzenden und vier Mitgliedern, von denen zwei von der Arbeitnehmerseite, die anderen von der Arbeitgeberseite benannt werden. Sie müssen zu kirchlichen Ämtern wählbar sein. Der Vorsitzende muss außerdem die Befähigung zum Richteramt haben. Er wird von der Arbeitsrechtlichen Kommission mit Dreiviertelmehrheit gewählt. Die letzte Entscheidung liegt entweder bei einer paritätisch besetzten Schlichtungskommission, bei einem Bischof oder bei einer mit einem Vetorecht ausgestatteten Synode. Jürgen Kühling, ehemaliger Richter des Bundesverfassungsgerichts, nennt dies in seinem für ver.di erstellten Gutachten: "Zwangsschlichtung". Schön war es bis vor wenigen Jahren, wenn sich die Diakonie in Schleswig-Holstein, der Konzern mit dem Kronenkreuz, wenigstens selbst an diese Regeln gehalten hat. Beschäftigte in den kirchlichen Werken berichteten in der Vergangenheit immer wieder, ihre Arbeitsbedingungen seien insgesamt besser - ja, angenehmer als bei vergleichbaren Jobs in rein staatlichen Einrichtungen. Schön wäre es vielleicht immer noch. Nun aber gründen Diakonische Unternehmen immer mehr außerhalb des kirchlichen Rechtes Service-GmbHs. Zahlreiche Leiharbeitsfirmen nehmen in den diakonischen Einrichtungen still und leise ihre Arbeit auf. Arbeitgeber innerhalb der Diakonie steigen aus den innerkirchlichen Vereinbarungen durch Outsourcing aus. So wie DIAKO Flensburg oder das Diakoniewerk Kropp, die ihre Altenpflegebereiche in eine gGmbH (Gemeinnützige GmbH, die von Steuern weitgehend befreit ist) umgewandelt und ausgegliedert haben und danach ihren neuen MitarbeiterInnen bis zu 200 Euro weniger bezahlen. Und ist erst mal das Arbeitsrecht über Bord geworfen, kann man auf den theologisch-religiösen Lack dieser Arbeitsverhältnisse gerne verzichten: Die Diakonie zieht sich, so formulieren es engagierte kirchlich Beschäftigte, aus wesentlichen Teilen ihres christlichen Auftrages zurück. Es geht um die Kranken und Altenpflege. Nur weil das Kronenkreuz vor der Tür stehe, bedeute es noch lange nicht, dass auch die im Innenverhältnis stehenden Arbeitnehmerinnen nach diakonischen Grundsätzen entsprechend gut behandelt würden, erklärt der Verband kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Bereits 1979 hat Oswald von Nell-Breuning, als Jesuit Professor für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Frankfurt, sehr nüchtern festgestellt: "Die Mehrzahl der kirchlichen Mitarbeitenden arbeiten nicht aus Glaubensgründen in einer kirchlichen Einrichtung, sondern um ihren Lebensunterhalt zu verdienen". Auch das lutherische Berufs- und Arbeitsbild lässt keine Mythisierung der Arbeit als Dienstgemeinschaft zu. War die "vocatio", der Beruf, in den Gott den Menschen gerufen hat, in der mittelalterlichen Welt auf Kleriker beschränkt, so bestand gerade Martin Luther darauf: Die noch so sehr heiligen und mühevollen Werke der Geistlichen und Priester unterscheiden sich in den Augen Gottes durchaus nicht von den Werken eines Landmannes, der auf dem Acker arbeitet, oder einer Hausfrau, die sich um ihr Haus kümmert; einzig und allein an seinem Glauben wird der Mensch gemessen. Für besondere Arbeit in einer Dienstgemeinschaft innerhalb der Kirche lässt dieser evangelische Berufsbegriff wirklich keinen Raum. So erweist sich die weihevolle Beschwörung der "Dienstgemeinschaft" in den kirchlichen Werken als das, wofür dieses schein-theologische Wortgebilde in der jüngeren Vergangenheit erfunden wurde: Um mit Hilfe des Autonomie-Artikels aus der Weimarer Verfassung das Koalitionsrecht und damit das Streikrecht in der Kirche abzuwürgen. Der "Dritte Weg" gegen das verfassungsrechtlich garantierte Streikrecht Wie gewaltig dies Kirchenprivileg ist, mag folgender Gedankengang aus dem in seinem für ver.di erstellten Gutachten von Jürgen Kühling verdeutlichen: Artikel 9 Absatz 3 Satz 3 Grundgesetz schützt selbst in einer Notstandslage der Bundesrepublik Deutschland das Streikrecht gegen staatliche Eingriffe. Es ist daher

  • "schwer vorstellbar, in welchen - noch extremeren - Lagen eine Zwangsschlichtung in Betracht kommen soll. (...) Für die Zwangsschlichtung des Dritten Weges lässt Art. 9 Abs. 3 GG jedenfalls keinen Raum. Die Annahme, das Grundgesetz könne dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften (...) höhere Bedeutung beimessen als den im Notstandfall gefährdeten Rechtsgütern wie etwa dem Bestand der Bundesrepublik oder der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, ist undenkbar. Der Dritte Weg kann daher das verfassungsrechtlich garantierte Streikrecht nicht ersetzen."

"Endgültig entschieden ist nichts. Die weiteren Instanzen kommen ja erst noch", so ist vom ver.di-Bundesvorstand zu hören. Er wird Berufung einlegen. Offensichtlich ist es ver.di gelungen, eine Bewegung bei den Kolleginnen und Kollegen im kirchlichen Dienst gegen den "Dritten Weg" zu entfachen. Flugblätter berichten von immer mehr Beschäftigten des Diakonischen Werks, die sich weigern, den tarifrechtlichen Sonderweg der Kirche mitzugehen. Sie wissen, ein guter Lohn fällt nicht vom Himmel. Oder, wie auf einem Plakat zu lesen war: "Gotteslohn macht allein nicht satt!" Karl-Helmut Lechner

  • Pastor an der Christuskirche in Garstedt bis 1975
  • Austritt aus der Kirche und Umschulung zum Maschinenschlosser
  • Vorsitzender im Betriebsrat und im Konzernbetriebsrat der Jungheinrich AG bis 2006