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Mittwoch, 7. Juli 2004, 2:00 Uhr

Haftstrafen für rassistische Brandstifter

Einige Fragen bleiben offen

der nestscheißer | Beide Angeklagten waren geständig und äußerten sich einigermaßen detailliert zum Tathergang, ebenso der als Zeuge geladene, bereits wegen Beihilfe (offenbar zu einer Bewährungs- oder Geldstrafe) verurteilte 29jährige Rico S. aus Kaltenkirchen, beide versuchten aber den Brandanschlag als Versehen oder "Dumme-Jungen-Streich" herunterzuspielen, einer Sichtweise, der jedoch sowohl Aussagen von Rico S. wie auch die innere Logik der Tat wiedersprachen und der sich RichterInnen und Staatsanwaltschaft auch nicht anschlossen. Die drei Benannten hatten sich, so die übereinstimmende Angabe, am Nachmittag des 23. Septembers 2003 zum Saufen getroffen und seien dabei zu dem Schluss gekommen, "den Türken eine Abreibung zu verpassen", hierauf wurde ein Brandsatz gefertigt, den Olaf R. unter Mithilfe von Mirko L. auf das Gebäude des Kulturvereins warf. Dieser erlosch glücklicherweise sofort, so dass keine der sich in dem Gebäude aufhaltenden Personen zu Schaden kam.

Während der Verhandlung versuchten beide Angeklagten zu betonen, die Tat gar nicht gewollt zu haben: Man wollte nur jemanden erschrecken, habe eigentlich nichts gegen TürkInnen (umherlaufende Gerüchte über Konflikte entpuppten sich nach ihren Aussage als Lappalien), das Molotowcocktail sollte eigentlich auf dem Parkplatz zünden und nur zufällig sei das Vereinslokal angegriffen worden, letztere Aussage beantwortete Richter Leendertz mit der Frage, was die Angeklagten eigentlich gegen Parkplätze hätten. Das Gericht folgte hier der Aussage von Rico S., "dass man am Nachmittag und Abend vor der Tat zu der gemeinsamen Ansicht gekommen war, dass es mit den Türken so nicht weiter gehe, dass man diesen eine Lektion erteilen müsse". Für die Ernsthaftigkeit der Tat spreche auch, so dass Gericht, dass sich Mirko L. dahingehend geäußert habe, "dass es geklappt hätte", wenn er und nicht Olaf R. den Brandsatz vorbereitet und geworfen hätte. Alkoholisierung als mildernder Umstand ließ das Gericht nicht gelten, da beide Angeklagten zum Tatzeitpunkt immer noch zu einem relativ koordiniertem Handeln fähig gewesen wären. Eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung, so dass Gericht, komme nicht in Frage, da die Tat bei beiden innerhalb der Bewährungsfrist anderer Urteile lagen, beide wegen Körperverletzungs- und Eigentumsdelikten und im Falle von Mirko L. auch wegen Brandstiftung einschlägig vorbestraft seien, wobei die Frage offen bleibt, in wie weit auch hier in einzelnen Fällen Rassismus mit hereinspielte.

Die politische Dimension des Prozesses – dass hier offenbar ein rassistischer Anschlag vorliegt – wurde während des Verfahrens großteils ausgeblendet, Möglichkeiten der weiteren Erforschung von Motiven und Hintergründen für die Tat wurden kaum aufgenommen, obwohl es hierzu Ansatzpunkte gab. So fragte die Staatsanwaltschaft beide Angeklagten nach ihrer politischen Einstellung: Olaf R. gab an, damals, genau wie sein Mitangeklagter "rechts eingestellt" gewesen aber nie auf Demos gewesen zu sein, man hätte die gleiche Musik gehört (Welche?). Mirko L. sprach davon, dass er damals wie heute eine "leicht rechte Einstellung" hätte, die nicht extrem sei und dass er sich seinen Teil denke (was auch immer das heißt). Auch habe sich in der Wohnung von Rico S. eine Reichskriegsflagge befunden. Der offenbar vorhandene Rassismus der Angeklagten schien für das Gericht jedoch nicht weiter untersuchenswert, entpolitisierend wurde von Reibereien der Angeklagten mit TürkInnen gesprochen. Da das Gericht nach den Einlassungen der Angeklagten auf die Befragung weiterer Zeugen verzichtete, konnten sich auch die vorgeladenen Vertreter des durch die Rechten angegriffenen kurdischen Vereins nicht zu Tathergang und zur Situation in Kaltenkirchen äußern, so stellt sich die Frage, ob Angriffe seitens rassistischer Deutscher in den letzten Jahren häufiger vorgekommen sind.

Es stellt sich nun die Frage, ob, was gut möglich ist, die drei Kaltenkirchener Kontakte zu anderen Rechten, so etwa zu organisierten faschistischen Kräften hatten, inwieweit sie in rechte subkulturelle Zusammenhänge eingebunden waren, deren Angehörige beispielsweise nicht für bundesweite Nazi-Aufmärsche, aber auf Grund einer vorhandenen rassistischen, "eher rechten" Einstellung durchaus für Schlägereien auf Dorffesten oder eben für rassistische Aktionen wie den Anschlag vom 24.09. 2003 mobilisierbar sind oder vielleicht auch mal im Club 88 in Neumünster ein Bier trinken gehen. Beim Entstehen einer größeren organisierten rechten Bewegung können derartige Menschen (von denen es nicht wenig gibt) durchaus zu einem Teil von deren militanter Basis werden, wie Erfahrungen aus anderen Regionen zeigen. Die Frage nach dem Vorhandensein und der Beschaffenheit organisierter rechter Strukturen in der Region Kaltenkirchen hat darüber hinaus durch die nicht abreißende Kette von Anschlägen auf die örtliche KZ-Gedenkstätte an Aktualität gewonnen, die Notwendigkeit antifaschistischer Arbeit im Kreis Segeberg besteht nach wie vor.

Zwei Marginalien am Rande: Zum einen sprachen alle Prozessbeteiligten immer von "Türken" oder einem "türkischen Verein/Café", der betroffene Verein definiert sich jedoch als kurdisch. Zum anderen scheinen sich im Gerichtssaal im Zuschauerbereich zuweilen Nazis zu befinden, eingeritzte Hakenkreuze auf den Stühlen deuten darauf hin.

(1) Bei ersterem kam noch eine Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis hinzu.

Veröffentlicht in Faschismus/Antifaschismus mit den Schlagworten Antifa