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Mittwoch, 8. März 2006, 1:00 Uhr
"Herzschlag" - Norderstedter Frauenhaus zeigte Ausstellung zum Thema häusliche Gewalt
"... ich war glücklich, wenn er endlich schlief."
Von Matilda Nymann | "Norderstedt ist im Vergleich zu anderen Städten und Gemeinden eine sichere Stadt", hieß es Anfang diesen Jahres in einem Artikel der Norderstedter Zeitung. Anlaß dieser Einschätzung waren die Ergebnisse der zweiten Umfrage des Kriminalpräventiven Rates zur Sicherheit der NorderstederInnen. Und Obwohl sich das subjektive Sicherheitsgefühl der BewohnerInnen seit der letzten Umfrage vor zehn Jahren deutlich gebessert hat, wird mehr Polizeipräsenz gefordert. Sogar die Videoüberwachung bestimmter Plätze und Strassen wird diskutiert.
Von der Umfrage erfasst wird aber wie stets nur jene Gewalt, die sich auf der Straße abspielt. Häusliche Gewalt taucht in solchen Statistiken nicht auf. Wenn es um häusliche Gewalt geht, ist Norderstedt kein "sicheres Pflaster". Das Frauenhaus ist für gewöhnlich "gut ausgelastet". Trotzdem müssen die MitarbeiterInnen alljährlich um die Finanzierung der Einrichtung und den Erhalt der Belegplätze kämpfen. Erst 2003 konnte nur durch intensive Öffentlichkeitsarbeit und zahlreiche Proteste die Verringerung der Platzzahlen verhindert werden.
Das die Notwendigkeit und die nachweisliche Frequentierung von Frauenhäusern nicht vor Kürzungen und gar Schließungen schützt, wurde jüngst in Hamburg bittere Realität. Dort suchten jährlich etwa 450 Frauen und ihre Kinder Zuflucht im Ersten Frauenhaus der Stadt. Dieses größte und älteste der insgesamt sechs autonomen Frauenhäuser der Hansestadt sollte aber unlängst durch die Behörde für Soziales und Familie (BSF) geschlossen werden. Sieben Mitarbeiterinnen standen somit vor der Kündigung.
"...Trotz des ungebrochenen Bedarfes wird die staatliche Unterstützung der Frauenhäuser in Hamburg kontinuierlich verringert.", heißt es in einem Spendenaufruf des neu gegründeten Vereins "Frauen helfen Frauen Hamburg e.V.", der es sich zur Aufgabe setzt, die dringend erforderlichen Schutzräume für Frauen zu erhalten. "Seit Januar 2006 muss von den Hamburger Frauenhäusern die vom Senat festgesetzte Einsparungssumme von 240.000 Euro umgesetzt werden." Um trotz der Kürzungen die Arbeit aufrechtzuerhalten, sieht sich der Verein zu aufwendigen Umstrukturierungen gezwungen. Das 1. Hamburger Frauenhaus wird mit einer anderen Einrichtung zusammengelegt. Eine geeignete Immobilie wurde gefunden, doch um ausreichend Eigenmittel für den Häuserkauf zur Verfügung zu haben, ist der Verein dringend auf Spenden angewiesen.
Makabererweise erschien fast zeitgleich zu den eklatanten Kürzungen durch den Hamburger Senat die erste repräsentative Gewaltstudie der Bundesregierung, welche die Wichtigkeit von Schutzräumen mit eindeutigen Zahlen belegte. Im Auftrag des Bundesfamilienministeriums befragte das Interdisziplinäre Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung der Universität Bielefeld 10.000 Frauen zu ihren Gewalterfahrungen in verschiedenen Lebensphasen. Die Studie mit dem Titel "Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland" ist Teil des im Jahre 1999 beschlossenen Aktionsplans der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Die Befunde der Studie lassen keine Fragen offen und bestätigen die bisherigen Schätzungen, wonach in Deutschland jede zweite bis dritte Frau körperliche Übergriffe in ihrem Erwachsenenleben erlitten habe.
Bezogen auf die Gewalt in Paarbeziehungen, weisen die Ergebnisse allerdings über das bislang geschätzte Ausmaß hinaus. Mindestens jede vierte Frau im Alter von 16 bis 85 Jahren, die in einer Partnerschaft lebt oder gelebt hat, hat körperliche oder, zum Teil zusätzlich, sexuelle Übergriffe eines Partners einmal oder mehrmals erlitten. Die Studie bestätigt insgesamt, dass Gewalt gegen Frauen überwiegend häusliche Gewalt der männlichen Partner bedeutet. 13 Prozent der befragten Frauen, also fast jede siebte Frau, gaben an, seit dem 16. Lebensjahr Formen von sexueller Gewalt erlebt zu haben, die sich auf die enge Definition strafrechtlich relevanter Formen erzwungener sexueller Handlungen beziehen. 40 Prozent der Frauen haben körperliche oder sexuelle Gewalt oder beides seit dem 16. Lebensjahr erlebt. Unterschiedliche Formen von sexueller Belästigung haben 58 Prozent der Befragten erfahren. Nach der Studie sind in Fällen sexueller Gewalt 99 Prozent der Täter Männer.
Diese Gewaltstudie deckt sich auch mit der Kriminalitätsstatistik für Schleswig Holstein. Während insgesamt die Kriminalität in der letztveröffentlichten Polizeistudie um 2,5% zurückging, stieg die Zahl der Vergewaltigungen und Übergriffe auf Frauen um 5,5% an.
Dennoch ist die Frauenhausarbeit zusehends nicht nur von Mittelkürzungen bedroht. Auch inhaltlich und konzeptionell wird die Tätigkeit der Frauenhäuser mehr und mehr angegriffen und soll sich Bestimmungen unterwerfen, die weder mit dem Datenschutz, noch mit den Menschenrechten vereinbar scheinen. In der Hansestadt wird von den Frauenhäusern verlangt, Daten der Frauen und Kinder an die Behörde weiterzuleiten. Eine Bestimmung, die sich im klaren Gegensatz zu der Schweigepflicht und dem Versprechen der Anonymität verhält, welche die Frauenhäuser seit ihrem Bestehen den Bewohnerinnen zusichern. Des weiteren erläßt die Behörde für Soziales und Familie laut Zuwendungsbescheid für 2004: "Frauen, die eine Duldung oder Gestattung haben, werden grundsätzlich nicht aufgenommen." Schutz für Frauen und Kinder also nur mit deutschem Paß? Dieser Forderung steht der Artikel 2 des Grundgesetzes ("Jeder hat das Recht auf körperlicher Unversehrtheit") gegenüber. Dazu in einer Stellungnahme der autonomen Frauenhäuser:
"Diese Gleichbehandlung von Frauen unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Religion, Herkunft, Sozialstatus bildet die Grundlage unserer Arbeit."
Diese Problematik greift auch die Ausstellung "Herzschlag" im Norderstedter Rathaus auf. Ausführlich wird auf die Situation von Migrantinnen eingegangen, die Opfer häuslicher Gewalt werden. Ihre Situation ist besonders dadurch erschwert, dass Frauen, die z.B. auf Grund der Familienzusammenführung nach Deutschland kommen, erst nach zwei Jahren einen alleinigen Aufenthaltsstaus erwirken können. Erleben sie vor dieser Zeit häusliche Gewalt bedeutet eine Trennung vom Täter die Abschiebung.
Einfühlsam und gleichzeitig schonungslos gelingt es der Frauenhausausstellung, einen differenzierten Blick auf ein nach wie vor tabuisiertes Thema zu richten. Nur schade, dass die Ausstellung nur knapp eine Woche zu besichtigen war, da die Räume im Rathaus ansonsten aus Kostengründen nicht erschwinglich waren. Es wäre schön, wenn sich die Ausstellung auf "Wanderschaft" begäbe und noch an vielen öffentlichen Orten einem breiten Publikum zugänglich gemacht wird.
Großes Interesse in knapper Zeit: Die Ausstellung am Eröffnungstag.