- Themen
- Alternative Zentren
- Arbeit & Kapital
- Behindertenpolitik / Assistenzbedürftige
- Bildung
- Energiepolitik
- Faschismus / Antifaschismus
- Flucht und Migration
- Frauen / Feminismus
- Frieden
- Geschichte
- Internationalismus
- Jugendpolitik
- Kindergärten & Kinderbetreuung
- Kommunalpolitik
- Kultur
- Landesgartenschau & Stadtpark
- Lesbisch/Schwules
- Medien
- Medizinische Versorgung & Gesundheit
- Polizei & Justiz
- Religion
- Repression / Antirepression
- Sonstige
- Soziales
- Sport
- Stadtentwicklung
- Umwelt
- Verkehr
- Artikel Altbestand
- Schlagworte
- Galerien
- Links
- Termine
- Über uns
+ + + ARCHIVIERTER INHALT + + +
Diese Seite kommt aus unserem Archiv und enthält möglicherweise Informationen, die nicht mehr aktuell sind. Bitte beachten Sie das Veröffentlichungsdatum dieser Seite.
Samstag, 22. Mai 2004, 2:00 Uhr
Kaiserwetter in Alveslohe ...
... auch wenn der Kaiser nicht kommt
der nestscheißer | Wilhelm I. betrat die politische Bühne in den Revolutionsjahren 1848/49 als sich das deutsche Bürgertum und die ArbeiterInnenklasse gemeinsam gegen Absolutismus und reaktionäre Kleinstaaterei erhoben. Kartätschenprinz war der Spitzname, den sich der damalige Prinz erwarb, als er als Befehlshaber preußischer Truppen die demokratische Republik Baden wieder unter monarchistische Hoheit zwang und dabei ein Blutbad anrichten ließ. „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten“ war ein geflügeltes Wort in den Kreisen, in denen sich der spätere Monarch bewegte.
1856 wurde Wilhelm Regent für seinen geistig umnachteten Bruder Friedrich Wilhelm IV. und bestieg 1861 als Wilhelm I den Thron. Gemeinsam mit Ministerpräsidenten Otto von Bismarck und Kriegsminister von Roon hebelte der Monarch die (im Rahmen der preußischen Verfassung ohnehin nicht gerade üppigen) Rechte des preußischen Landtages aus, um sein Militarisierungs- und Aufrüstungsprogramm durchzuziehen: Grundvoraussetzungen für die Kriege gegen Dänemark 1864, gegen Österreich 1866 und Frankreich 1870/71, welche mit der preußischen Annektierung von Schleswig-Holstein, Hannover, Hessen und Elsass-Lothringen endeten und so die Vorraussetzungen für die obrigkeitsstaatliche Einigung Deutschlands unter preußischer Vorherrschaft schufen.
Das 1871 entstandene Kaiserreich mit Wilhelm I. und Bismarck an der Spitze nahm sich nach der Herstellung der staatlichen Einheit diejenigen Kräfte vor, welche vermeintlich oder tatsächlich als Störenfriede angesehen wurden. Zunächst wurde während des Kulturkampfes der 1870er Jahre die katholische Minderheit in Deutschland mit massiven Repressalien überzogen, dann wurde mittels der Illegalisierung von sozialdemokratischer Partei und Gewerkschaften durch das Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie (glücklicherweise vergeblich) versucht, die anwachsende ArbeiterInnenbewegung zu zerschlagen, ebenfalls massiven Repressionsmaßnahmen war die polnische Minderheit ausgesetzt. Schließlich begann unter Wilhelm I. auch der Erwerb von Kolonien, was in den Massenmorden zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts im heutigen Namibia und Tansania endete. Der 1871 mit unter der Federführung von Wilhelm I. entstandene Obrigkeitsstaat mit seinen kulturellen Mustern und Mentalitäten entwickelte sich nach 1918 zur Hypothek für den bürgerlich-parlamentarischen Versuch der Weimarer Republik und legte letztendlich auch eine Grundlage für die Akzeptanz des Nationalsozialismus in breiten Teilen der deutschen Bevölkerung.
Glaubt mensch dem Artikel von Wolfgang Klietz aus der Norderstedter Zeitung vom 18.05.04., so scheint es in Alveslohe eine tiefgehende Verbundenheit mit dem Kaiserdenkmal zu geben. Ob dies eine bewusste Verortung in der Tradition des Kartätschenprinzen mit einschließt oder derartiges nicht mit reflektiert wurde, war den Ausführungen aber nicht zu entnehmen. Beides würde aber sehr gut in die hiesige Tradition des Umganges mit Geschichte passen; einer Mischung aus Verdrängung, Verklärung und schamhaft-heimlicher Bejahung dunkler Flecken. Auch war die Region stets ein Hort antidemokratischer und reaktionärer Tendenzen, wie Gerhard Hoch in seinem Buch Das Scheitern der Demokratie im ländlichen Raum 1870-1933. Das Beispiel der Region Kaltenkirchen/Henstedt-Ulzburg eindrucksvoll belegt. Das der Gemeinderat kürzlich einstimmig eine 20.000 Euro teure Renovierung beschlossen hatte, von welchen die Gemeinde 12.000 Euro bezahlt, passt da gut ins Bild. Reaktionärer Traditionspflege dieser Art, auch als unpolitisches Volksfest kostümiert, sollte auf jeden Fall entschieden entgegengetreten werden.