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Donnerstag, 25. August 2005, 2:00 Uhr

Kein "Münte-Effekt"

SPD-Vorsitzender blieb blass in Norderstedt

Wahlkämpfer Claus Möller, Christian Carstensen, Franz Müntefering in Norderstedt

Wahlkämpfer Claus Möller, Christian Carstensen, Franz Müntefering in Norderstedt: Land in Sicht? (Foto: Nils Hartmann)

Von Olaf Harning |  Zunächst hatte die "Bramstedter Tafel" am 4. August gemeldet, dass seit Inkrafttreten des vierten Hartz-Gesetzes mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum sogenannten "Arbeitslosengeld II" (ALG II) 150 Menschen mehr zur Nahrungsmittelausgabe alleine in der Kurstadt kamen. Jetzt bestätigte dem Info Archiv auch die "Norderstedter Tafel" steigende Bedürftigenzahlen: Täglich 3-5 neue Anträge auf Nahrungsmittel registriere die ausschließlich ehrenamtlich organisierte Tafel, insgesamt 120 Menschen kommen wohl zu den Öffnungszeiten - jeden Tag. Auch in Henstedt-Ulzburg ein hohes Niveau: Etwa 80 Menschen kommen hier, weiß Marion Steinvorth, eine der AktivistInnen der Tafel zu berichten. Doch solche Zahlen, oder auch die weiterhin steigende Zahl von Erwerbslosen in der Stadt trägt der SPD-Chef weder vor, noch kommentiert er sie, als er am Montag auf einer eigens errichteten Bühne am Rondel hinter dem Rathaus spricht. "Schwere Zeiten" gelte es zu überstehen, die Hartz-Gesetze seien ein mutiger Schritt, "um die Herausforderungen anzupacken". Aus der Haut fährt dabei nur ein arbeitsloser Norderstedter im Publikum, als Müntefering das "Fördern und Fordern" des Hartz-Konzeptes nachhaltig unterstützt: "Wer nicht gefordert wird, und noch mit 25 nicht einmal arbeiten musste, der geht uns irgendwann für den Arbeitsmarkt verloren", daher müssten insbesondere Langzeitarbeitslose auch mal zur Arbeit angehalten werden. Da sprang der aufgebrachte Mann auf und erinnerte Müntefering lautstark an 5 Millionen Arbeitslose in Deutschland: "Du Spinner!", beendete er seine Beschimpfungen schließlich und ging, noch bevor der Sicherheitsdienst eingreifen musste. Nur rund 150 Interessierte, darunter mindestens 20 JournalistInnen und ebensoviele SPD-WahlkämpferInnen, fanden sich überhaupt im ungünstig gelegenen Rondel ein, um die Wahlkampfveranstaltung zu sehen. Von fünf herbeizitierten Jungsozialisten mit "Links ist der Mut"-Schildern einmal abgesehen, kam dabei nicht wirklich Stimmung auf. Nicht einmal am Ende der Rede - obwohl die Norderstedter SozialdemokratInnen um ihren Vorsitzenden Heiner Köncke redlich bemüht waren, eine Art "Standig-Ovation-Situation" herzustellen. Allerdings hatten sich viele der ZuhörerInnen auch schattige Plätze am Rande des Areals gesichert und standen daher etwas abseits. Peinlich geriet die Rede des SPD-Vorsitzenden, als er aufzuzählen begann, für was die SPD denn heute stehe. So behauptete Müntefering, den Kündigungsschutz zu verteidigen - obwohl man gerade in der letzten Mandatsperiode kräftig daran gesägt hatte und damit auch die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte bei Kündigungen nachhaltig beschädigte. "Wir wollen nicht, dass die, die ganz oben sind, begünstigt werden, zu Lasten derer, die ganz unten sind", rief Franz Müntefering anschließend in die sommerliche Runde. Genau das habe aber der politische Gegner - "die Schwarzen" - vor, ereiferte er sich. So mancher Zuhörer fragte sich zu diesem Zeitpunkt, was anderes denn die mehrfache Absenkung der Höchststeuersätze bei gleichzeitiger, massiver Mehrbelastung von Arbeitslosen und Sozialschwachen durch die rot-grüne Bundesregierung gewesen sein mag. Und so blieben dem SPD-Urgestein nur die Geschichte seiner Partei und ein paar Allgemeinplätze, um seinen WählerInnen zumindest etwas Kampfgeist einzuhauchen: "Den Konservativen fehlt das Gespür für Soziale Gerechtigkeit", rief er und: "Seit über 140 Jahren sind wir die Garantie für Soziale Ausgewogenheit. Das ist wichtiger, als das Recht derer, die Erster Klasse fahren". Schnell bauten die vielen Helfer nach dem Abgang Münteferings die Bühne und einige Stellagen ab. Am Rande plauschten derweil der Segeberger Bundestagskandidat Franz Thönnes und sein Hamburger Kollege Christian Carstensen über den Wahlkampf - mit sorgenvoller Miene. Hier finden Betroffene Nahrungsmittelausgaben ("Tafeln") in ihrer Nähe. 

Veröffentlicht in Soziales mit den Schlagworten Bundestag, Henstedt-Ulzburg, Norderstedt, SPD