+ + + ARCHIVIERTER INHALT + + +

Diese Seite kommt aus unserem Archiv und enthält möglicherweise Informationen, die nicht mehr aktuell sind. Bitte beachten Sie das Veröffentlichungsdatum dieser Seite.

Donnerstag, 8. März 2007, 1:00 Uhr

Norderstedter sollen Fingerübungen machen

Die Weiterentwicklung des elektronischen Passes (ePass) wirft ihre Schatten voraus

Von Hans-Georg (Felix)Becker | Hintergrund dieser fragwürdigen Aktivitäten ist eine EG-Verordnung zur Einführung des elektronischen Reisepasses (ePass). Seit November 2005 ist im ePass bereits ein Chip enthalten, in dem als erstes biometrisches Merkmal das Passfoto gespeichert ist. Ab November 2007 werden diesen Daten nun auch die Abdrücke der Zeigefinger (so man kein Holzfäller mit berufsbedingten Verlusten ist) hinzugefügt. Mit diesen Maßnahmen soll erreicht werden, dass z.B. an Grenzen sicher geprüft werden kann, ob derjenige, der den Pass vorlegt, auch tatsächlich der Passinhaber ist. Diese Prüfung kann beim ePass, zusätzlich zur bisher üblichen optischen Kontrolle durch den Grenzbeamten, nun auch maschinell durchgeführt werden. Und das soll so gehen: An der Grenze wird der Pass dem Grenzbeamten ausgehändigt, der den Pass dann an ein Lesegerät hält, dass die Daten über Funk abfragt. Währenddessen blickt der Reisende in eine Kamera, die die Aufnahmen in einen Computer speist. Dort erfolgt ein Abgleich zwischen den Chipdaten und denen der Kamera. Durch die unterschiedliche Bauart der Chips liegt die Lesereichweite zwischen einigen Zentimetern und einigen Metern. Eins der Risiken (für den Passinhaber) liegt genau hier: Die Abfrage per Funk kann durch Ausspähung missbraucht werden. Das ist aber bei weitem nicht das einzige Risiko für den Passinhaber. Obwohl man in Norderstedt stolz darauf ist von der Bundesdruckerei dafür gelobt worden zu sein, dass im Einwohnermeldeamt kritisch auf die Einhaltung der Richtlinien für biometrische Fotos geachtet wurde, liegt genau in diesen Fotos die Gefahr. Was ist, wenn der Passinhaber in die Kamera lächelt? Oder was, wenn der Passinhaber sich einen schicken Bart zugelegt hat, oder sich in der Sonne des Südens kräftig hat bräunen lassen? Ganz schlecht! Denn das kann die ganze schöne Biometrie durcheinander bringen. Das wird zwar von offizieller Stelle bestritten, aber gleichzeitig räumt man eine Rückweisungsquote von zwei bis drei Prozent ein. Hört sich gut an, würde aber bedeuten, dass mindestens eine Person pro Reisebus Probleme bei der Grenzkontrolle bekäme.

Ein weiteres Risiko für den Passinhaber besteht im Missbrauch der Fingerabdrücke. Zwar werden Fingerabdrücke in Deutschland (noch) nicht zentral gespeichert, dennoch besteht die Gefahr globaler Fingerabdruckdateien. Es gibt keine internationalen Vereinbarungen und Datenschutzregelungen, die die Speicherung in anderen Staaten regeln. In Zukunft werden Fingerabdrücke eine zunehmende Rolle bei Zahlungsvorgängen, Zugang zum PC oder zu bestimmten Bereichen in Unternehmen spielen. Innerhalb der organisierten Kriminalität werden geklaute und gefälschte Fingerabdrücke schnell einen hohen Marktwert erreichen.

Den Risiken stehen äußerst zweifelhafte Nutzen gegenüber. Die Aufnahme biometrischer Daten soll offiziell vor allem verhindern, dass kriminelle aller Art, insbesondere Terroristen, von einem Land ins andere Reisen. Das das nur ein frommer (oder vielleicht auch nur vorgeschobener) Wunsch ist, bewies der Berliner Chaos Computer Club unter Zuhilfenahme von Sekundenkleber, Holzleim, einer Digitalkamera, dem Deckel einer Plastikflasche und einem hautfreundlichen Spezialkleber. Nachdem ein fremder Fingerabdruck von einer benutzten Flasche genommen wurde, konnte mit den genannten Hilfsmitteln eine Art künstliche Fingerkuppe erstellt werden, die dann einfach auf den eigenen Finger geklebt wurde. Damit ließ sich ein herkömmlicher Fingerabdruckleser überlisten. Aber auch ohne solche Tricks hat das System erhebliche Macken. Etwa zwei Prozent der Bevölkerung sollen überhaupt keine ausgeprägten Fingerabdruck-Merkmale haben. Da kämen schon mal ein paar Millionen Europäer zusammen, die dann ihr Land besser nicht mehr verlassen sollten.

Bei all diesen subversiven Gedanken sollte aber eines nicht vergessen werden: für die Terrorismusbekämpfung ? und das soll einer der Hauptgründe für die Einführung des ePasses sein ? taugen die biometrischen Merkmale nur wenig. Aus der Vergangenheit ist kein Fall bekannt, in dem ein gefälschter deutscher Reisepass von einem Terroristen eingesetzt wurde. Die Reisen in der Regel nämlich nicht mit gefälschten Papieren, sondern benutzen echte Dokumente. Spätestens jetzt stellt sich die Frage nach anderen Beweggründen für die Einführung des ePasses. So sieht dann auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, die größte Gefahr darin, dass biometrische Merkmale mit alltäglicher Videoüberwachung verknüpft werden könnten. Übertrieben und realitätsfern? Dann Fragen Sie einmal den Nürnberger Donald Stellwag. Dieser saß nämlich für einen ihm zur Last gelegten Bankraub acht Jahre unschuldig im Gefängnis. Ein Gutachter, Experte für physische Anthropologie, hatte Stellwag nach Bildern der Kamera im Kassenraum ?eindeutig? identifiziert. Nur weil der wahre Täter Jahre später seine Tat gestand, kam Stellwag im Jahre 2001 wieder frei.

Das ficht die Norderstedter Verwaltung nicht an. Hier freut man sich auf die Herausforderung, den NorderstedterInnen auf die Finger schauen zu können. Und weil es sich um eine Testphase handelt und die Daten der Fingerabdrücke noch nicht auf dem Chip im Reisepass gespeichert werden, wird der neue Reisepass dann auch zum Schnäppchenpreis von nur 54 EURO zu haben sein. Das sind immerhin 5 EURO Test-Rabatt gegenüber dem bisherigen Preis. Wer einen Reisepass mit mehr Seiten benötigt, ist dann mit 76 EURO (bzw. 81 EURO) dabei. Was der ePass dann ab 1. November kosten wird, konnte das Einwohnermeldeamt nach telefonischer Rückfrage nicht sagen. Bis zum 30.Juni wird also getestet wie es mit dem einscannen der Fingerabdrücke und der Datenübermittlung an die Bundesdruckerei klappt. Bei der Bundesdruckerei handelt es sich nicht etwa um eine Bundesbehörde (wie der Name vermuten lassen könnte), sondern um eine nach privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten geführte GmbH. Nach eigenen Angaben liefert die im November 2000 privatisierte Bundesdruckerei neben Personaldokumenten auch Banknoten, Briefmarken sowie Steuerzeichen und elektronische Publikationen aller Art ins In- und Ausland. Das scheint unseren Sicherheitsfanatikern im Innenministerium aber keine Probleme zu bereiten.

Fazit: Übereifrig streckt sich die Norderstedter Verwaltung nach noch mehr Lob von der Bundesdruckerei und dem Innenministerium und büßt dabei jegliche Kritikfähigkeit gegenüber der Erhebung biometrischer Merkmale ein. Aber da die Abdrücke eingescannt werden, braucht man sich die Finger ja gar nicht mehr schmutzig machen. Übrigens: alle bisher ausgestellten Reisepässe behalten bis zu der dort angegebenen Frist Ihre Gültigkeit. Wer also nicht unbedingt einen neuen Reisepass benötigt, sollte lieber die Finger davon lassen!

Veröffentlicht in Sonstige mit den Schlagworten Norderstedt