+ + + ARCHIVIERTER INHALT + + +

Diese Seite kommt aus unserem Archiv und enthält möglicherweise Informationen, die nicht mehr aktuell sind. Bitte beachten Sie das Veröffentlichungsdatum dieser Seite.

Sonntag, 15. Januar 2006, 1:00 Uhr

Prozess gegen deutsche Schläger

Nazis aus Itzstedt und Nahe vor dem Segeberger Amtsgericht

Info Archiv Norderstedt | Kurz vor Weihnachten erhielten Hicran und Ali Erman Zeugenvorladungen aus Bad Segeberg. Beide sind seit 2003 regelmäßig Opfer von Neonazi-Übergriffen in der Region Nahe/Itzstedt und sollen nun am 2. Februar gegen drei der Täter vor Gericht aussagen (Amtsgericht Bad Segeberg, Beginn: 9 Uhr, öffentliche Verhandlung, Saal 2). Die eigentlich kleine Gruppe dumpf-rassistischer Dorfjugendlicher aus Nahe, Itzstedt und Umgebung versucht seit Mitte 2003 offen und öffentlich, die Ermans, aber auch andersdenkende Jugendliche aus der Region zu vertreiben.
Zu diesem Zweck trat (und tritt) das schäbige Häuflein geballt auf Dorffesten auf, versammelte sich vor dem Haus der Familie, rief dort stunden-, bzw. wochenlang rassistische Parolen, attackierte und bedrohte Vater und Mutter Erman, Sohn Hicran und Cousin Ali. Sogar die jüngste Tochter (damals 14 und von Metallsplittern türkischer Geschosse beeinträchtigt) wurde schon Opfer von Drohungen. 2004 gipfelte die planmäßige Vertreibung zunächst darin, dass eines Nachts mehrere Scheiben bei den Ermans eingeworfen wurden.
Nachdem Polizei und Nachbarschaft dem Treiben der Jungnazis zunächst tatenlos zugesehen hatten, sorgte erst das Eingreifen Norderstedter und Hamburger AntifaschistInnen im März 2004 für Ruhe in Itzstedt. Darauf folgte die Gründung einer kleinen aber regen Unterstützerszene durch die Kirchengemeinde Nahe und sogar die (offenbar ergebnislose) Intervention des Kieler Landeskriminalamtes, bevor die Familie schließlich in die benachbarten Orte Seth und Oering umquartiert wurde.
Hans Christian W., Phillip Sch. und Willy T. müssen sich nun zwar am 2. Februar in Bad Segeberg verantworten - allerdings keinesfalls wegen rassistisch motivierter Vertreibung, wegen Volksverhetzung oder auch der "Bildung einer kriminellen Vereinigung", die ihnen wohl ebenfalls nachzuweisen wäre. Lediglich der "gefährlichen Körperverletzung" sind die drei angeklagt, denn im Verfahren geht es um einen jüngeren Vorfall. Schon vor einigen Monaten sind die Neonazis der Familie Erman quasi "hinterhergereist" und trafen auf einem Dorffest in Seth auf sechs ihrer Vertreibungsopfer: Hicran und Ali Erman, sowie vier ihrer Cousins wurden unter Absingen rassistischer Parolen von etwa einem Dutzend deutschen Jugendlichen durch den Ort gejagt, Erstere schlussendlich zusammengeprügelt. Wenig später wurde Ali Ermans schwer kranke Frau Ceyhan von einigen der Nazis auf offener Straße bepöbelt und bedroht.
Scheinbar als Antwort auf ihre Vorladung zum Februar-Prozess zogen die Rassisten auch Anfang Dezember - zum vorerst letzten Mal - vor das heutige Wohnhaus der Ermans in Seth, grölten die üblichen rassistische Parolen und warfen mit Schneebällen auf das Haus. Es bleibt abzuwarten, ob sich die drei stumpfen Schläger samt Anhang durch ein Urteil des Amtsgerichts wegen "Körperverletzung" wirklich davon abhalten lassen, den Terror fortzuführen. Wahrscheinlicher ist wohl, dass es - wie einer der Kurden kürzlich befürchtete - "danach erst richtig losgeht". Vielleicht wird es Zeit, dass "der Fall Itzstedt/Nahe/Seth" endlich überregional bekannt gemacht wird. Denn wenn Polizei und Staatsanwaltschaft nicht Willens oder in der Lage sind, den Terror einer kleinen Gruppe stumpf-rassistischer Halbstarker zu beenden, werden das wohl in absehbarer Zeit andere gesellschaftliche Kräfte tun müssen.

Veröffentlicht in Faschismus/Antifaschismus mit den Schlagworten Antifa, Neonazis, Norderstedt, Polizei