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Samstag, 19. Dezember 2009, 1:00 Uhr
Regionalschul-Chaos in Norderstedt
Chronik eines angekündigten Scheiterns
Olaf Harning | Die im Sommer diesen Jahres mit viel Getöse von CDU, FDP und einzelnen Elternvertretern durchgesetzte Einrichtung zweier eigenständiger Regionalschulen an den Standorten Garstedt und Falkenberg scheitert bereits im Ansatz.
So hätten für das kommende Schuljahr weit mehr als 80 Kinder an der geplanten Regionalschule Falkenberg angemeldet werden müssen, um einen Start der Einrichtung überhaupt möglich zu machen. Und auch für die Regionalschule Garstedt ist das Erreichen der ministeriell geforderten Schülerzahlen keine Selbstverständlichkeit. Weil die real betroffenen Eltern jetzt mit den Füßen abstimmen, dürfte der "Norderstedter Schulstreit" vom Sommer diesen Jahres als eine der größten - und teuersten - Luftnummern in die Geschichte der hiesigen Kommunalpolitik eingehen.
Den Ausschlag gab eine Unachtsamkeit: Weil es die bei den Kommunalwahlen vom Mai 2008 mit einer knappen Mehrheit ausgestattete Koalition aus SPD, GALiN und LINKEN versäumt hatte, vor dem Kippen der zuvor von Schwarz-Gelb beschlossenen Schullandschaft ein weiteres mal mit Schul- und Elternvertretern zu sprechen, entwickelte sich ab dem Frühjahr 2009 eine Protestwelle in der Stadt, die letztendlich einen erneuten 180-Grad-Schwenk in der örtlichen Schulpolitik erzwang. Nachdem SPD-Stadtvertreterin Naime Basarici im Mai - vor allem wegen der Schulpolitik und samt Mandat - zur CDU übergelaufen war, dauerte es keinen Monat, bis ein Antrag von Schulpolitikerin Ruth Weidler (CDU) die "alten" Verhältnisse wiederhergestellt hatte: Entgegen dem landesweiten Trend und im Widerspruch zum Ergebnis einer Befragung Norderstedter Grundschul-Eltern setzte man - neben drei Gemeinschaftsschulen - die Einrichtung von ebenso vielen Regionalschulen durch. Zuvor hatte es eine Initiative um die Garstedter Elternvertreter Gabriele Kaste und Ulrich Eidecker mit enormem Einsatz beinahe geschafft, einen Bürgerentscheid mit derselben Stoßrichtung auf den Weg zu bringen: Nur einige Hundert Unterschriften fehlten am Ende für eine Abstimmung über das, was die Kommunalpolitik wenig später per "Fraktions-Hopping" ganz ohne Aufwand realisierte. Das einzige Problem an der Sache: Schon damals, also im Juni diesen Jahres, hätte man durch die genannte Elternbefragung, das landesweite Floppen der Regionalschulen und letzte Schülerzahlen eigentlich absehen können, dass es auch in Norderstedt a) kaum Nachfrage nach Regionalschulen geben würde und b) insbesondere die hart umkämpfte Regionalschule Falkenberg nicht die geringste Chance hat. Ein Umstand, den die Protagonisten des "Schulstreits" auch nicht gerade abstreiten:
- Gabriele Kaste (Elternratsvorsitzende Realschule Garstedt): "Als wir mit dem Bürgerbegehren durch waren, war uns eigentlich klar, dass die Regionalschule Falkenberg niemals funktionieren kann".
- Günther Nicolai (CDU): "Es sah schon länger schlecht aus für die Schule. Das macht mich betroffen und traurig, denn Herr Lühr (Schulleiter der Hauptschule Falkenberg d.Red.) macht eine hervorragende Arbeit dort".
- Tobias Claßen (FDP): "Sicher, die Zukunftsaussichten waren auch damals nicht rosig, aber die Schulgemeinschaft am Falkenberg hatte sich viel Mühe gemacht, um ein tragfähiges Konzept zu präsentieren".
Die "Regionalschule Falkenberg" - ein Phantasiegebilde
Realschul-Eltern außer Kontrolle: "Plakat-Kunst" im Norderstedter Schulstreit.
Zu den Fakten: Nach Angaben des Norderstedter Bildungsdezernenten Torsten Thormählen besuchen nach Abgang des neunten Jahrganges noch rund 160 Schülerinnen und Schüler die Hauptschule Falkenberg, davon gerade einmal 19 Jungen und Mädchen die im Sommer eingeschulte fünfte Klasse. Da das Kieler Bildungsministerium insgesamt und verlässlich 240 SchülerInnen im Minimum fordert und die älteren Jahrgänge der Hauptschule zur Zeit die größeren sind, würden für das Schuljahr 2010/2011 daher noch nicht einmal die rechnerisch notwendigen 80 SchülerInnen reichen, um die ministerielle Hürde zu nehmen. Gefordert wären deutlich mehr: Die Schülerstärke soll nämlich abbilden, dass die Schule auch in den nächsten Jahren die Mindestgröße hält - am Falkenberg ein Ding der Unmöglichkeit. Das sieht auch das Ministerium selbst, sowie das Segeberger Schulamt so, die seit einigen Monaten mit immer größeren "Zaunpfählen" winken, damit die Nachricht auch in Norderstedt ankommt: Die nötige Schülerzahl "ist vor dem Hintergrund der jetzigen Größe der Schule und der Anmeldezahlen der letzten Jahre nicht zu erwarten", brüllte das Segeberger Schulamt zuletzt am 25. November 2009 in Richtung Stadtverwaltung. Tatsächlich geht inzwischen auch keine der Norderstedter Parteien noch davon aus, dass die Regionalschule Falkenberg kommt. Das wiederum führt jedoch keineswegs dazu, dass die Beschlüsse in irgendeiner Form revidiert werden oder auch nur eine dringend nötige, offene Diskussion zum Thema anläuft: Kein Wunder, dass es erst einer Einwohnerfrage bedurfte, um die Parteien während der jüngsten Stadtvertretersitzung zu einer Stellungsnahme zu bewegen.
Neubau neben Leerstand?
Diese eigentümliche Situation gewinnt noch deutlich an Brisanz, bezieht man die just eingerichtete, bzw. noch entstehende Gemeinschaftsschule Harksheide in die Überlegung ein. Die nämlich entstand zu Beginn dieses Schuljahres aus der Realschule Harksheide und verzeichnet unter ihrer Rektorin Barbara Schirrmacher das erwartet schnelle Wachstum. Weil jedoch die alten Realschul-Gebäude völlig marode- und nach Ansicht von Experten auch kaum mehr sanierbar sind, weil zudem das Gemeinschaftsschul-Konzept höhere Raumbedarfe mit sich bringt und die Schule neuerdings auch eine gymnasiale Oberstufe erhalten soll, müssten am jetzigen Standort - so ein kürzlich vorgestellter Entwurf - recht kurzfristig mehr als 9 Millionen Euro verbaut werden und zusätzlich wohl noch rund 2 Millionen für die Wärmedämmung. Mindestens 11 Millionen Euro also zusätzlich zu einem bereits nicht gedeckten Haushalt, für Neubauten um marode Gebäude herum, das ganze direkt neben einer sterbenden Schule in weit besserem baulichen Zustand - das riecht schon nach einer Art "Schildbürgerstreich deluxe". Kaum zu glauben, dass die einst beschlossene Option, nämlich der Umzug der Gemeinschafts- in die Haupt/Regionalschule im zuständigen Ausschuss für Schule und Sport inzwischen kaum eine Rolle mehr spielt.
Scham, Schadenfreude und Ratlosigkeit
Warum, fragt sich nun der geneigte Betrachter reflexartig, warum greift da niemand ein, wenn das Problem offenbar allen entscheidenden Gruppen bekannt ist? Nun, das dürfte an einigen Sachzwängen, vor allem aber an der Heftigkeit der Auseinandersetzung liegen, mit der der "Norderstedter Schulstreit" in Frühjahr und Sommer 2009 ausgetragen wurde. So haben Christdemokraten und Liberale vor allem Interesse an einer möglichst geräuscharmen Lösung: Sie waren es, die in der Stadtvertretung unermüdlich gegen die linken Beschlüsse kämpften, sie haben die - offenbar einzig sinnvolle - Fusion von Hauptschule Falkenberg und Realschule Garstedt am Standort Garstedt verhindert und stehen jetzt - widerlegt - vor einem Scherbenhaufen. Insbesondere von Günther Nicolai, dem Fraktionschef der CDU, sind zur Zeit dann auch ungewohnt milde Töne zu hören, ohne dass er freilich Fehler eingesteht: "Jede Schule ist nun einmal von sich überzeugt. Die Gremien der Hauptschule haben um ihr Haus gekämpft", das habe die CDU unterstützt. Der Fehler lag also bei den Schulen? Das scheint auch FDP-Politiker Tobias Claßen ausdrücken zu wollen, wenn er auf die mühevoll erarbeiteten Konzepte der Hauptschule Falkenberg verweist, denen man Geltung verschaffen wollte. Aber auch SPD, GALiN und LINKE halten die Füße erstaunlich still. Sie wollen sich offenbar nicht noch einmal vorwerfen lassen, die in Person des Ex-Liberalen Hans-Joachim Zibell zu ihnen zurückgekehrte Ein-Stimmen-Mehrheit in der Stadtvertretung für einen weiteren, radikalen Schwenk in der Schulpolitik auszunutzen. Außerdem haben die Sozialdemokraten mittlerweile Gefallen an den Ideen von Gemeinschaftsschul-Rektorin Schirrmacher gefunden und unterstützen die von ihr geforderte Neubau-Variante am Standort der maroden Realschule. Und last but not least: Auch Schadenfreude über das so eindeutige Scheitern der gegnerischen Schulplanung dürfte eine Rolle spielen, ganz nach dem Motto: Lasst sie doch in ihrem Elend schmoren.
Mehrheit für Schul-Umzug?
Während die Gemeinschaftsschule Harksheide also schrittweise aus allen Nähten platzt, deutet sich in den letzten Tagen nun - wehr gemächlich - eine Mehrheit für ihren Umzug an. Zumindest äußern sowohl CDU und FDP, als auch DIE LINKE mittlerweile Unverständnis über die hohen Kosten für einen dann doch weiterhin sanierungsbedürftigen Schulbau am alten Standort. Auch die GALiN dürfte in diese Richtung tendieren, entspricht das doch ihren ursprünglichen Vorstellungen ebenso wie den Forderungen der Wählergemeinschaft, die Neuverschuldung der Stadt in Grenzen zu halten. Währenddessen hat Dezernent Thormählen in der Norderstedter Zeitung vorgerechnet, dass diese Lösung "nur" 3 Millionen Euro kosten würde. Fragt sich also nur, wann und wie die dafür nötigen Beschlüsse gefasst werden.
Die Schuldebatte: Eine "Norderstedtensie"
Das gesamte Frühjahr 2009 über hatte sich in Norderstedt - und nur in Norderstedt - eine erbitterte Auseinandersetzung zwischen CDU/FDP und den genannten Eltern einerseits- und Rot-Rot-Grün auf der anderen Seite entfaltet, die letztlich in einem nur knapp gescheiterten Bürgerbegehren und einem Fraktions- und Mehrheitenwechsel in der Stadtvertretung mündete. Dabei waren Elternvertreter der fusionsunwilligen Schulen in Garstedt und Harksheide federführend, die auf Initiative der Garstedter Elternvertreter Gabriele Kaste und Ulrich Eidecker hin erfolgreich gegen die Beschlüsse der linken Rathaus-Mehrheit opponierten. Um Inhalte ging es hier jedoch erstaunlich selten, die Gruppe warf der Politik vor allem (und durchaus zutreffend) vor, die schulischen Gremien in ihrer Entscheidungsfindung nicht ausreichend gehört zu haben. Weil man sich also überrumpelt fühlte und vereinzelt auch Ressentiments von Realschul-Eltern gegen (künftig gemeinsam beschulte) Hauptschüler pflegte, unterstützten diese Eltern schließlich die Position von CDU und FDP und setzten die Einrichtung von drei Regionalschulen durch, für die zu keinem Zeitpunkt ausreichend Nachfrage bestand. Auch im Nachhinein will Gabriele Kaste von der Frage Regional- oder Gemeinschaftsschule nicht viel wissen: Darum sei es, so Kaste gegenüber dem Info Archiv, eigentlich nie gegangen. Was genau wollte ihre Initiative aber dann mit ihrem Plakat zum Bürgerbegehren ausdrücken, auf dem ein betrunkener Obdachloser- und der Spruch zu sehen war "Ich bin ein Opfer der Norderstedter Schulpolitik"? Und warum wurde an vielen Info-Ständen der Initiative offensiv die Meinung vertreten, die Regionalschule sei die bessere Schulform? Weshalb wollte man mit dem Bürgerbegehren einen Inhalt ändern, wenn es doch nur um die Form ging, mit der dieser Inhalt von der Kommunalpolitik durchgesetzt wurde? Diese Fragen werden wohl ebenso unbeantwortet bleiben, wie die Regionalschule Falkenberg ungeöffnet.