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Freitag, 20. April 2007, 2:00 Uhr

Stockmann sieht rot

Skandalöse Angriffe gegen GALiN-Politikerin Plaschnick und SPD-Pressesprecher Jäger

Von Olaf Harning | Fritz-Jürgen Stockmann ist nicht irgendwer in Norderstedt. Immerhin bekleidet der ehemalige Kommunikationsfachmann (!) seit geraumer Zeit das Amt des Vorsitzenden der Norderstedter Kulturstiftung und ist in dieser Funktion regelmäßig in der örtlichen Kommunalpolitik unterwegs. Erstaunlich dabei: Stockmann füllt sein honoriges Amt offenbar ohne jedes Geschichtswissen oder zumindest -gespür aus. Nach einer Sitzung des Kulturausschusses der Norderstedter Stadtvertretung im März, die sich unter anderem mit der geplanten Umwandlung des städtischen Kulturbetriebs in einen sogenannten "Eigenbetrieb" beschäftigte, bezichtigte der 72jährige die GALiN-Politikerin Maren Plaschnick, die Gedankenfreiheit einschränken zu wollen. Doch in einem Leserbrief an die "Norderstedter Zeitung" kam es noch dicker: "Will sie gar die Gleichschaltung der Jahre 1933 bis 1945 oder die Reglementierung, wie sie die DDR-Regierung betrieb, wieder aufleben lassen?".
Nachdem sich der Senior gegenüber der Norderstedter Zeitung mehrfach weigerte, auch nur "einen Jota" von den peinlichen Beleidigungen abzurücken, lautet jetzt die Frage für die Kulturstiftung: Ist Stockmann noch tragbar? Wer kann oder will ihn nach seinen unqualifizierten Äußerungen noch ernst nehmen? SPD-Pressesprecher Thomas Jäger jedenfalls hat damit sichtlich Mühe: Von "Dümmlichkeiten" ist da in einer ersten Reaktion die Rede, die eines Vorsitzenden der Kulturstiftung unwürdig seien. Jäger und die SPD verlangen inzwischen ebenso eine Entschuldigung Stockmanns, wie die GALiN.
Verärgert reagiert auch Harald Freter (SPD), Sozialdezernent und Vorsitzender des Stiftungsrates der Kulturstiftung. Er wollte sich zwar am Mittwoch noch nicht abschließend zu dem Vorfall äußern, der "Vergleich von Nachfragen und Äußerungen demokratisch gewählter PolitikerInnen mit Vorgängen im Nationalsozialismus" sei aber "grundsätzlich unangebracht" und "inhaltlich fehl am Platze". Er habe nun die Aufgabe, weiteren Schaden von der Stiftung abzuwenden.
Auch Plaschnicks Parteikollegin Anette Reinders ist entrüstet und stellt Stockmann in seinem Amt in Frage. In Reihen des Vereins Chaverim - Freundschaft mit Israel befürchtet man angesichts derartiger "Vergleiche" die Relativierung des Nationalsozialismus, während Siegfried Nieswandt von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / VVN/BdA noch weiter geht: "Angesichts von Äußerungen des Herrn Oettinger und jetzt auch von Herrn Stockmann wird deutlich, dass wir eine Rechtsentwicklung haben, dass da wieder etwas aus Löchern kriecht, die wir längst geschlossen glaubten."
Dabei war Stockmann nicht der einzige Kulturschaffende, der im Anschluss an die Sitzung des Kulturausschusses derart jenseitige Vergleiche zog: Auch Wolfgang Lorenzen-Schmidt vom Kabarett "Die Thespisnarren" fühlte sich laut Norderstedter Zeitung an die NS-Zeit erinnert und fordert Freiheit für die Kultur. Übrigens ebenso wie Angela Wermke (Norderstedter Amateur-Theater), Erika Ilscher (Vorsitzende des Norderstedter Frauenchores) und Rolf Krohn (Kulturverein "Malimu"). Seltsam nur: Diese so wacker verteidigte "Freiheit" war jedoch nie Gegenstand der politischen Auseinandersetzung. Im Gegenteil: Plaschnick, ihre Partei und auch die SPD kämpfen lediglich für eine offenbar wenig transparente Teilprivatisierung des städtischen Kulturbetriebs und wollen - wie bisher - Einfluss auf den Rahmen öffentlich geförderter Kultur nehmen können. Dabei geht es keineswegs um inhaltliche Gängelung, sondern beispielsweise darum, die Kultur für die große Mehrheit der NorderstedterInnen bezahlbar zu halten. Oder darum, ganz generell kulturelle Vielfalt zu erhalten, bzw. notfalls zu organisieren.
Zumindest Stockmann selber ist jedoch vor allem von den Plänen des "Herrn Oberbürgermeister Grote" begeistert: "Überzeugend und zeitgemäß" sei die Auslagerung in einen Eigenbetrieb, begrüßenswert der finanzielle Aufwand, im Rahmen der Landesgartenschau 2011 ein "Kulturwerk am See" einzurichten. Dabei trat doch gerade Bürgermeister Grote zuletzt als Zerstörer der Jugendkultur in der Stadt auf, erinnert sei hier nur an die Schließung des Jugendkulturcafes (2004) und des Sozialen Zentrums (2005). Und dabei dürften die Eingriffe in kulturelle Inhalte gerade nach ihrer teilweisen oder völligen Privatisierung bedeutend zunehmen - dann jedoch aus privater Richtung und mit kommerziellem Hintergrund.
Während sich die Kommunalpolitik vor allem über diese Einschätzung teils heftig auseinandersetzt, hat sich Fritz-Jürgen Stockmann dafür entschieden, Maren Plaschnick und SPD-Pressesprecher Thomas Jäger in diversen Texten "als Privatmann" auf derart niedrigem Niveau zu beschimpfen, dass das Lesen der Pamphlete Mühe bereitet. Neben den gegen Plaschnick gerichteten NS-Vergleichen beherrsche etwa Jäger "nicht einmal die einfachsten Regeln des seriösen Journalisten". Er sei "in seinem Job als Pressesprecher einfach überfordert."
Wie es nun mit dem tobenden Senior weitergeht, entscheidet sich offenbar in den nächsten Tagen. Einerseits, weil hinter den kulturpolitischen Kulissen eifrig Gespräche über die Folgen seiner Ausfälle geführt werden. Außerdem findet sich Stockmann schon am kommenden Montag zu einem Gespräch in den SPD-Fraktionsräumen ein. Ob er dann noch Vorsitzender der Kulturstiftung ist?