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Sonntag, 15. Juli 2012, 22:07 Uhr
Streit um Methadonvergabe
Dr. Klaus Behrendt (Klinikum Nord) beklagt Kampagne
Infoarchiv Norderstedt | Gut vier Monate nach dem Tod der 11jährigen Chantal, die vom Jugendamt des Bezirks Hamburg-Mitte in die Obhut zweier Junkies gegeben wurde, hat sich eine hitzige Diskussion über die Methadon-Vergabe in der Hansestadt entwickelt. Das Mädchen war an einer Überdosis des Heroin-Ersatzstoffes ihrer Pflegeeltern gestorben.
Rund 4.500 HamburgerInnen werden zur Zeit "substituiert", erhalten also vom Arzt oder von der Apotheke Methadon - und damit den Stoff, der maßgeblich für die drastische Senkung der Zahl der Drogentoten in Hamburg verantwortlich gemacht wird. Die opiumähnliche Substanz mit stark schmerzstillender Wirkung verschafft Süchtigen zwar den benötigten Rauschzustand, nicht aber den sogenannten "Kick", der als einer von mehreren Faktoren für die Entstehung der Abhängigkeit verantwortlich gemacht wird. Durch die regelmäßige, ärztlich überwachte Vergabe von Methadon wird außerdem die Abbruchquote von Therapien deutlich gesenkt und Überdosierung vermieden.
Monate nach dem Tod Chantals aber sind nun Stimmen laut geworden, die die Hamburger Praxis der Methadonvergabe als zu locker bezeichnen und sich dabei unter anderem auf eine Internetseite von Abhängigen stützen, die neben Gesundheitstipps und drogenpolitischen Diskussionen auch "Hamburgs lockerste Methadon-Ärzte" wählt. Unter den KritikerInnen: Der Dachverband substituierender Ärzte Deutschland e.V., bzw. deren Kieler Generalsekretär Dr. Ingo Rempel. In der Juni-Ausgabe des "Eppendorfer", eine psychiatriepolitische Monatszeitung, wird Rempel wie folgt zitiert: "Die als "Hamburger Modell" in Fachkreisen bezeichnete laxe Weitergabe von Methadon und anderen Drogenersatzstroffen im Rahmen einer Substitutionstherapie ist ein Skandal. Nicht von ungefähr kommt, dass in Hamburg die meisten Methadon-Toten Deutschlands registriert werden und der tragische Tod der kleinen Chantal in dieser Stadt passiert ist." Selbst bei den "Mischvergiftungen", also Methadon mit einer anderen Droge, so Rempel weiter, nehme Hamburg einen "traurigen vierten Platz im bundesweiten Vergleich ein."
Für Dr. Klaus Behrendt, Chefarzt der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen an der Asklepios Klinik Nord am Ochsenzoll, ist die Kritik Rempels hingegen empörend und "unärztlich". Er sieht in den Stellungnahmen eine Kampagne gegen die erfolgreiche Methadon-Vergabe, für die der Tod Chantals nun instrumentalisiert würde. Behrendt gegenüber dem Eppendorfer: "Wenn ein Kind zu Hause Opas Herzmittel eingenommen hätte und daran gestorben wäre, hätte kein Hahn danach gekräht." Die Hamburger Praxis, stabilen Patienten Methadon-Rezepte auszustellen, mit denen sie ihre Dosis dann in einer Apotheke abholen können, hält er weiterhin für sinnvoll. Schließlich sei das Ziel, den Betroffenen neben ihrer Gesundheit ein geregeltes (Berufs)Leben zu ermöglichen - was kaum organisierbar sei, wenn man sie "quer durch die Stadt jagt".
Nach Darstellung der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS) könnte es ohnehin einen Grund für die aktuelle Methadon-Kritik geben, der weniger in der drogenpolitischen Ausrichtung, als vielmehr in der konkret verabreichten Substanz zu suchen ist. Laut einer Presseerklärung der DGS bemüht sich der Reinigungsmittelkonzern Reckit Benckiser (RB) seit geraumer Zeit um eine weniger stark regulierte Zulassung seines Produkts Buprenorphin-Naxolon (Suboxone) und war in dieser Sache auch schon direkt an die DGS herangetreten. Zeitgleich habe sich der DSÄ in mehreren Veröffentlichungen Methadon-kritisch geäußert und nach Alternativen verlangt. Die Gesellschaft deutet daher Verbindungen zwischen Rempels Dachverband und Reckit Benckiser an: "Die Übereinstimmung der Argumentation des DSÄ und seines Generalsekretärs Rempel hinsichtlich zweier tödlicher bzw. fast tödlicher Vergiftungsfälle bei Kindern mit der Marktstrategie eines Herstellers für Substitutionsmittel ist hoffentlich nur zufällig". Sowohl Reckit Benckiser, als auch der Dachverband der Substitutionsärzte in Deutschland haben die Vorwürfe inzwischen klar dementiert und bezichtigen die DGS ihrerseits, "ungleich intensivere (nicht nur glückliche) Erfahrungen im Sponsoring durch die Pharmaindustrie" zu verfügen.
Trotz der Schärfe der Diskussion, macht der Eppendorfer Hoffnung auf eine Versachlichung der Diskussion. Denn zumindest die Substitution selbst stellt aktuell niemand in Frage.