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Mittwoch, 25. August 2010, 2:00 Uhr

Streit um "Schwarze Sheriffs"

Verdrängung für "bürgerliche Selbstverwirklichung"?

Bahnhof Norderstedt-Mitte (Foto: Infoarchiv)

Bahnhof Norderstedt-Mitte (Foto: Infoarchiv)

ram. | In einer gemeinsamen Presseerklärung haben SPD, GALiN und DIE LINKE den Norderstedter Bürgermeister Hans-Joachim Grote (CDU) aufgefordert, den Einsatz eines privaten Sicherheitsunternehmens am Bahnhof Norderstedt-Mitte "sofort zu beenden". Stattdessen soll in Zusammenarbeit mit Polizei, Jugend- und Ordnungsamt ein "schlüssiges Handlungskonzept" für den Bahnhofsberich entwickelt werden, das tiefer geht, als bloße Vertreibung unerwünschter Jugendlicher. Doch Schwarz-Gelb hält dagegen.

Das Problem ist seit Jahren bekannt: Oft bereits tagsüber versammeln sich im Umfeld des Bahnhofs Norderstedt-Mitte ein- bis zwei Dutzend Jugendliche und junge Erwachsene, trinken Bier und grölen gelegentlich in der Gegend herum. Dabei geht dann auch die ein- oder andere Flasche auf Geh- oder Fahrradwegen zu Bruch, kurzum: Ein für viele Fahrgäste, Anwohner und PassantInnen ärgerliches Bild. Zudem fühlen sich Einige - insbesondere in den Abendstunden - von der oft großen und lauten Gruppe bedroht, wenn sie auf ihrem Weg vom Bahnhof nach Hause an den Jugendlichen vorbei gehen müssen. Vor etwa zwei Jahren fasste sich die Stadtverwaltung deshalb ein Herz und initiierte ein Treffen mit Polizei, Kriminalpräventivem Rat, Streetworkern und Jugendamt, um die Lage am Bahnhof zu besprechen. Dort wurde unter anderem die Polizei gefragt ob und was sie denn gegen die Jugendgruppe unternehmen könne - die Antwort war überraschend: Nichts. Nichts, weil es aus der Gruppe heraus kaum zu Straftaten kommt: Weder ist man im Bahnhofsumfeld überdurchschnittlich von Vandalismus betroffen, noch gibt es Übergriffe auf PassantInnen, allenfalls sind die Jugendlichen unerwünscht. Das gibt auch Hauke Borchert, Pressesprecher der Stadt, unumwunden zu. Gegenüber der Norderstedter Zeitung, spricht er von "präventiven Überwachungsmaßnahmen", die mit dem Einsatz zweier Mitarbeiter des "Sicherheitsunternehmens" Pütz Security eingeleitet worden seien.

Firmenlogo der Pütz Security AG

Firmenlogo der Pütz Security AG

Ziel der zunächst dreimonatigen Testphase am Bahnhof sei "die Erprobung präventiver Möglichkeiten zur Verbesserung der Sicherheit und des Sicherheitsgefühls für die Bürger und der Schutz vor Schäden an den öffentlichen Einrichtungen". Das "Sicherheitsgefühl" also, oder besser das "subjektive Sicherheitsgefühl", soll verbessert werden. Ein Gefühl freilich, unter dem Norderstedt-Mitte schon länger leidet, denn der inzwischen nicht mehr ganz so neuen Stadtmitte werden von einem Teil der Bevölkerung so manche Dinge unterstellt, die wenig mit der Realität zu tun haben: So haben Wohnungsunternehmen mitunter Schwierigkeiten, Wohnungen zu vermieten, weil InteressentInnen gehört haben, es gebe hier "viel Gewalt" oder auch mal "zu viele Ausländer". Mal von der Tatsache abgesehen, dass solche Ansichten oft einem latenten Rassismus geschuldet sind, gibt es im Stadtteil beides nicht: Weder verzeichnet die Polizei im signifikant mehr Gewalt als andernorts, noch ist die Dichte an Ausländern hier höher, als in anderen Teilen der Stadt. Statt nun aber solchen "Gefühlen" oder besser: Gerüchten Fakten entgegen zu stellen, haben sich Bürgermeister Hans-Joachim Grote (CDU) und Andreas Finster zuständiger Fachbereichsleiter im Ordnungsamt, offenbar die Symptombekämpfung zur Aufgabe gemacht: Ohne dass vor Ort jemals ernsthaft mit der betreffenden Gruppe gesprochen wurde, geschweige denn die städtischen Streetworker zum Einsatz gekommen wären, werden in Abstimmung mit dem Kriminalpräventiven Rat mit "Markus" und "Kai" seit Anfang August zwei private Sicherheitsmänner eingesetzt. In Begleitung von Hündin "Danger" (!) sollen sie das direkte Bahnhofsumfeld bestreifen und Platzverweise erteilen, dabei außerdem das tatsächliche Ausmaß des Problems erkunden: "Möglicherweise", so Borchardt, "wird am Ende des Einsatzes auch herauskommen, dass alles halb so schlimm ist".

Doch schon hier wird es schwierig: Laut Miro Berbig (DIE LINKE), benötigt der private Sicherheitsdienst "auch für seine bloße Anwesenheit auf öffentlichen Straßen und Plätzen eine rechtliche Grundlage". Diese gebe es jedoch nicht, da Streifengänge laut Gesetz "hoheitliches Handeln" seien, die alleine der Polizei und den Ordnungsbehörden vorbehalten blieben. Überhaupt bewerten DIE LINKE, SPD und GALiN den Einsatz privater "Sicherheitsunternehmen" als einen Schritt zur Privatisierung originärer Polizeiaufgaben, den zudem die Bürger doppelt zahlen müssten: Mit ihren Steuergeldern finanzieren sie einerseits den Polizeiapparat und nun - zusätzlich - "Sicherheitsunternehmen", die durch das Outsourcing von Ordnungsaufgaben zuletzt hohe Wachstumsraten vermelden konnten. Die drei Parteien fordern Bürgermeister Grote daher auf, "den Testlauf mit Pütz Security sofort zu beenden und in Zusammenarbeit mit Polizei, Ordnungsamt und Jugendamt ein schlüssiges Handlungskonzept für den Bahnhofsbereich zu entwickeln." Darunter versteht die "Troika" jedoch "mehr als nur Abschreckung und Verdrängung". Als positives Beispiel führen sie die Situation am Herold-Center an, wo vergleichbare Probleme unter anderem durch die Einrichtung der TagesAufenthaltsstätte entschärft worden seien. "Das stimmt so nicht ganz", wendet zwar der in Garstedt eingesetzte Streetworker Michael Schlichting ein und verweist auf die (ebenfalls privaten) Sicherheitskräfte des Centers, sowie eine verstärkte Bestreifung durch die Polizei vor Ort. Andererseits könnten ordnungspolitische Maßnahmen immer nur eine Verdrängung der Szene erzielen. Auch der Einsatz von Streetworkern sei aber kein Allheilmittel: "Die Leute versammeln sich dort, weil sie Langeweile haben, weil sie keinen Ausbildungsplatz bekommen. Die haben nicht unbedingt auf einen Sozialpädagogen gewartet", so Schlichting gegenüber dem Info Archiv. Streetworker seien zudem kein ordnungspolitisches Instrument: Sie könnten zwar womöglich Einzelne durch Hilfsangebote aus einer Gruppe wie am Bahnhof Norderstedt-Mitte heraus-, keinesfalls aber die Gruppe selbst auflösen.

Die besteht freilich auch trotz "Markus" und "Kai" weiter: Wenn die beiden martialisch auftretenden Männer erscheinen, fühlt sich die Norderstedter Zeitung (NZ) zwar zu ganzseitigen Jubelarien hingerissen, die Jugendlichen jedoch weichen allenfalls einige Meter in Richtung Park aus oder treffen sich direkt am Rand des Bahnhofsvorplatzes wieder, wo Pütz Security nicht handlungsbefugt ist. Effekt der Maßnahme also: Gleich Null. Den Security-Leuten selbst ist das wohl bewusst: "Das ist reine Verdrängung des Problems, das ist uns schon bewusst", so ein Statement in der NZ. Ganz anders bewertet indes Günther Nicolai (CDU) die Situation, schließlich gehe es um das Sicherheitsgefühl für alle Bürger in der Stadt. Er sieht einen "Anspruch darauf, sich sicher und geschützt zu fühlen" sowie das Recht der Bürger, "sich besonders an U-Bahn-Stationen in ihrem Lebensgefühl entfalten zu können". Ein Recht, das er den betroffenen Jugendlichen damit automatisch nicht zugesteht und das Fragen offen lässt: Wie weit mag denn wohl so ein "Recht auf gefühlte Sicherheit" gehen? Viele Menschen fürchten sich beispielsweise schon vor dem bloßen Anblick von Punkern, andere mögen nicht an Obdachlosen vorbeigehen oder fühlen sich durch "zu viele Ausländer" unsicher. Können auch die deshalb vertrieben werden, und wenn nein: Warum sie nicht, die Jugendlichen am Bahnhof Norderstedt-Mitte aber doch? Oder darf man in der Öffentlichkeit kein Bier trinken, bzw. nur dann, wenn man 50 Meter weiter in einem Bierlokal sitzt und nicht am Bahnhofsbrunnen? Wie Nicolai will auch Klaus-Peter Schröder (FDP) den "Testlauf" abwarten, und lobt ausdrücklich die "schnelle Reaktion" der Verwaltung ... wohlgemerkt etwa zwei Jahre nach Entstehen der Problematik. Auch den Einwand von SPD, GALiN und DIE LINKE, der Einsatz von "Sicherheitsunternehmen" sei ein unzulässiger Schritt in die Privatisierung hoheitlicher Aufgaben des Staates, lässt der Liberale nicht gelten: Schließlich gebe es den sogenannten "Jedermann-Paragrafen", nach dem jeder Bürger einen Straftäter stellen- und bis zum Eintreffen der Polizei festhalten dürfe. Allerdings gehen diese Bürger nicht uniformiert Streife und erteilten - vermutlich rechtswidrig - "Platzverweise" an einem Ort, der zwar der Norderstedter Verkehrsgesellschaft gehört, jedoch für alle Bürger als "Öffentlicher Raum" erkennbar ist. Derweil wird das Problem mittlerweile nicht mehr nur in Norderstedt heiß diskutiert: So wurde am 23. August ein längerer Bericht zum Einsatz von Pütz-Security auf der bundesweiten, linken Nachrichtenseite indymedia veröffentlicht, der anonyme Autor "securios" zieht dabei ein düsteres Fazit:

  • "Pütz Security möchte sich diesen lukrativen, öffentlichen Auftrag dauerhaft sichern und nach Möglichkeit ausbauen. Der Übereifer den das Sicherheitsunternehmen dabei an den Tag legt ist Teil dieser Strategie. Gut vorstellbar, dass der Auftrageber des privaten Sicherheitsdienstes, die Stadt Norderstedt, zusätzliche Vorgaben hinsichtlich der öffentlichen Ordnung in Norderstedt-Mitte macht. Auffällig bei der Auftragsumsetzung ist, das die Pütz Security bei ihrer Arbeit im öffentlichen Raum ihr ganz eigenes Ordnungsrecht durchsetzt. Und gerade hierbei wird deutlich: Je geringer der soziale Status der Bürgerinnen und Bürger ist, desto schneller überschreiten private Sicherheitsdienste ihre eigenen - eng gesteckten - Grenzen. Widerspruch gegen einen Platzverweis ist hier übrigens nicht möglich, da es sich bei der Pütz Security nicht um Amtsträger bzw. Verwaltungsangestellte handelt. Beschwerden an das Ordnungsamt der Stadt Norderstedt oder an die Polizei machen hier bekanntlich wenig Sinn. Es wird sich zeigen, ob in Norderstedt auch künftig ein unkontrollierter privater Sicherheitsdienst Menschen im öffentlichen Raum vertreiben darf oder ob die Politik oder die Mittelbehörden diesem "Wildwuchs" Einhalt gebieten."

Ob der Zustimmung, die dem "Sicherheitsunternehmen" bislang am Bahnhof entgegengebracht wird und der Begeisterung einiger örtlicher Medien darf zunächst bezweifelt werden, ob irgendjemand den Möchtegern-Sheriffs "Einhalt gebietet". Ebenso fraglich ist allerdings, ob diese Begeisterung wohl anhält, wenn es der Problemgruppe am Bahnhof endgültig zu ungemütlich wird, und sie sich deshalb in die vielen Parks in Norderstedt-Mitte oder auf die nahen Spielplätze zurückzieht? Spätestens dann ist für echte Spannung gesorgt. Hier und hier weitere Hintergrundartikel zur Problematik privater Sicherheitsdienste.