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Montag, 10. März 2014, 12:44 Uhr

VION: Schlachthof droht Schließung

Missstände schon länger bekannt

Lecker! Wirklich?, Screenshot VION-Homepage

Lecker! Wirklich?, Screenshot VION-Homepage

Hans-Georg (Felix) Becker | Seit Wochen beherrschen die Vorkommnisse um den zum VION-Kozern gehörenden Schlachtbetrieb in Bad Bramstedt die Medienberichterstattung. Am 25. Februar fand dort eine Großrazzia unter Beteiligung von 250 Polizisten, Zollbeamten und Staatsanwälten statt.

Nach der Durchsuchung wurde der Betrieb stillgelegt. Die Vorwürfe: Hygienemängel und Tierquälerei. Die Tötung von Rindern soll nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sein. Die Tiere sollen eigentlich mit möglichst einem Schuss aus einem Bolzenschussgerät betäubt werden, um danach unverzüglich mit einem Schnitt und dem folgenden Ausbluten getötet werden. Bei der Durchsuchung jedoch wurden einige Rinderköpfe vorgefunden, die mehrere Löcher durch ein Bolzenschussgerät aufwiesen, andere wiederum hätten gar keine Löcher gehabt. Zudem seien Rinder gefunden worden, die zur Schlachtung vorbereitet waren, die aber nicht in die Schlachtung hätten gehen dürfen. Und dann wurde auch noch vordatiertes Verpackungsmaterial für Pansen entdeckt.

In der Folge entbrannte ein Streit zwischen dem Kreis Segeberg mit seiner Kreisveterinärbehörde und dem schleswig-holsteinischen Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (MELUR). Landrätin Jutta Hartwieg und Minister Robert Habeck (GRÜNE) kommen zu sehr unterschiedlichen Bewertungen der Ergebnisse der Razzia und  von Gutachten.

Der VION-Konzern ist ein Schwergewicht in der fleischverarbeitenden Industrie. Nach eigenen Angaben ist das Unternehmen bei der Fleischvermarktung die Nummer zwei in Europa und die Nummer eins in Deutschland. Der Rinderschlachtbetrieb in Bad Bramstedt wurde 2005 von VION übernommen (vormals seit 1968 Norddeutsche Fleischzentrale). In dem Betrieb werden nach Angaben des Kreises pro Jahr 120.000 bis 130.000 Rinder geschlachtet. Im Verfahren der Bandschlachtung werden bis zu 70 Rinder in der Stunde verarbeitet. Die Kreisveterinärbehörde und das Fleischhygieneamt sind mit ca. 30 Mitarbeitern vor Ort tätig.

Wahrheit kommt nur scheibchenwiese ans Licht

Wie so oft bei derartigen Skandalen kommen die Dinge immer nur scheibchenweise an die Öffentlichkeit. Nach dem heutigen Stand der Dinge hatte ein Hinweis eines Mitarbeiters des Kreises die Sache ins Rollen gebracht. Schon seit ca. Himmelfahrt 2011, so der Kreis in einer Pressemitteilung, habe es interne Kritik-E-Mails gegeben. Das Fleischhygieneamt hatte diverse Auffälligkeiten festgestellt. Bei einer Überprüfung im Januar 2013 wurden dann „überwiegend bauliche und einige hygienische Mängel im Betrieb festgestellt.“ Auf Veranlassung der Kreisveterinärbehörde seien diese Mängel allerdings abgestellt worden. Im Dezember 2013/Januar 2014 teilte ein Mitarbeiter des Fleischhygieneamtes dem Fachbereichsleiter der Kreisbehörde Verdachtsmomente der vergangenen Monate mit. Bei der Bewertung dieser Mitteilung wurde bereits die unterschiedlichen Sichtweisen des Kreises und des Landes deutlich: Während das Landwirtschaftsministerium die Staatsanwaltschaft einschaltete, kam Leiter des Kreisveterinäramtes Dr. Kurt Warlies zu dem Schluss: keine Auffälligkeiten. Er gab in einer Pressekonferenz an, dem Mitarbeiter nicht geglaubt zu haben. Die trotzdem durchgeführte dreitägige Kontrolle des Betriebes schloss Warlies zufolge „mit sehr gutem Ergebnis“ ab.

Kreis und Land kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen

Dem Kreis war sehr daran gelegen den Betrieb so schnell wie möglich wieder anlaufen zu lassen und gab Gutachten bei „drei anerkannten unabhängigen Gutachtern“ in Auftrag. Die Gutachten liegen mittlerweile vor und wurden dem Ministerium übergeben. Der Kreis komm auch hier zu dem Schluss: alles in Ordnung. Warlies auf der Pressekonferenz: "Ich weigere mich zu sagen, dass etwas schief gelaufen ist." Die Staatsanwaltschaft traute den vom Kreis herausgegeben Unterlagen offenbar nicht und führte am vergangenen Donnerstag eine Durchsuchung in der Kreisverwaltung und dem Fleischhygieneamt durch. Am 7. März teilte das Ministerium mit, dass der Kreis Segeberg angewiesen worden sei, „unverzüglich ein Verfahren zum Widerruf der Zulassung für die in Rede stehenden Betriebe in Bad Bramstedt einzuleiten.“ In der Pressemitteilung des Ministeriums wird erläutert, dass „das MELUR erhebliche Verstöße gegen Tierschutzrecht, Hygienerecht und Etikettierungsvorschriften“ festgestellt habe. „Nach Einsichtnahme in die von der Staatsanwaltschaft Kiel sichergestellten Unterlagen sieht sich das MELUR zu diesem Schritt gezwungen“, erklärte Minister Habeck.

Das Unternehmen VION sieht sie Angelegenheit naturgemäß anders: „Nach ausführlichen Untersuchungen von unabhängigen Gutachtern und deren positiven Ergebnissen hat die VION Bad Bramstedt GMBH heute (4.3.2013, Anm. d. Red.) Nachmittag beim Landkreis Bad Segeberg die Aufhebung der Produktionssperre beantragt.“ Das Unternehmen beteuert in einer Erklärung, die „Bereitschaft zur Transparenz und Kooperation mit allen staatlichen Organen und erneuert das Gesprächsangebot an das Kieler Landwirtschaftsministerium.“ Doch offenbar waren die Vorgänge der Vergangenheit so gravierend, dass das Ministerium bei seiner weitreichenden Entscheidung blieb. VION kündigte rechtliche Schritte gegen den Widerruf der Zulassung an und drohte mit Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe.

300 Arbeitsplätze bedroht

Ein Schlachtbetrieb dieser Größenordnung hat selbstverständlich Auswirkungen verschiedenster Art auf die gesamte Region – und die Beschäftigen. So hatte sich die Gewerkschaft Nahrung und Genuss-Gasstätten (NGG) am 6. März, noch vor Bekanntwerden des geforderten Zulassungswiderrufs, gegen die „verantwortungslose Gefährdung von Arbeitsplätzen“ durch die Stilllegung des Betriebes gewandt. Claus-Harald-Güster, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft, hält die Maßnahmen für „unverhältnismäßig“. Mehrere Gutachten hätten belegt, dass in Bad Bramstedt „ordentlich gearbeitet wurde…“ 300 Arbeitsplätze würden verantwortungslos aufs Spiel gesetzt. Für die rund 140 Stammbeschäftigten haben Geschäftsleitung und Betriebsrat Kurzarbeit beantragt.

Engpässe bei der Rinderschlachtung                                                      

Die Stilllegung des Schlachtbetriebs hat aber auch ganz praktische Auswirkungen. Es wird zu Engpässen in der Rinderschlachtung in Schleswig-Holstein kommen. Und Bad-Bramstedts Bürgermeister Hans-Jürgen Kütbach bangt nicht nur um die vielen Arbeitsplätze und die Einbußen bei der Gewerbesteuer, sondern sorgt sich auch um die entstandenen Überkapazitäten des städtischen Klärwerks. Es ist wegen des Schlachthofs auf die Werte von 60.000 Einwohnern ausgelegt, die Stadt hat aber lediglich 14.000 Einwohner. Das könnte für die BürgerInnen zu drastisch steigenden Abwassergebühren führen. Die Sache ist noch nicht vorbei, aber eins ist jetzt schon (wieder) gewiss: die VerbraucherInnen dürfen nicht aufhören, beim Blick in die Fleischtheke darüber nachzudenken, unter welchen Umständen das Fleisch erzeugt und verarbeitet wurde.

2 Kommentare zu diesem Artikel

20.03.2014, 18:26 Uhr AnonymousLiegt es an der Verständigung?

Mitte März traf sich der Innen- und Rechtsausschuss gemeinsam mit dem Umwelt- und Agrarausschuss im Landtag. Minister Habeck sollte Rechenschaft darüber ablegen, weshalb er den Schlachthof schließen wollte. Der CDU-Landesvorsitzende Böge warf ihm vor, Arbeitsplätze zu gefährden. Der Landtagsabgeordnete Heiner Rickers drohte mit einem Untersuchungsausschuss.

Hinterher war die CDU sehr kleinlaut: Die Kritik an der Landesregierung verstummte vollkommen. Denn der Minister berichtete nicht nur von der Schlachtung nicht betäubter Rinder, sondern auch davon, dass Kühe mehr als 24 Stunden auf die Schlachtung warten mussten, ohne gemolken zu werden. Kranke und gesunde Rinder warteten durcheinander. Im Kühlraum hing Fleisch, aus dem die Würmer krochen, neben Fleisch, das gerade für den Verkauf fertiggemacht wurde. Und so weiter und so fort.

Auch VION reagierte deutlich kleinlauter. Und machte am Tag darauf einen revolutionären Vorschlag: Man wäre jetzt bereit, die Hygiene- und Tierschutzvorschriften ins Rumänische zu übersetzen. Dann könnten die Arbeiter im Schlachthof sie auch verstehen.

Das deutet an, dass man monatelang oder jahrelang mit „Billig-Arbeitern“ gewirtschaftet hat, ohne sich die geringsten Gedanken um die Information und Verständigung zu machen. Der Schaden für VION liegt nicht nur bei einer fünfstelligen Summe pro Tag. Das gesperrte Fleisch (ja, genau das, aus dem die Maden krochen) war nach VION-Angaben 4 Millionen Euro wert. Das Übersetzen der Vorschriften wäre schon vor zwei Jahren für 200 oder 300 Euro zu haben gewesen. Aber Sparen ist eben wichtiger.

Reinhard Pohl

13.03.2014, 11:25 Uhr Anonymousdas alte arbeitsplatz-argument

....was haben die henker damals gejammert, als die todesstrafe abgeschafft wurde....