+ + + ARCHIVIERTER INHALT + + +

Diese Seite kommt aus unserem Archiv und enthält möglicherweise Informationen, die nicht mehr aktuell sind. Bitte beachten Sie das Veröffentlichungsdatum dieser Seite.

Samstag, 5. Juni 2004, 2:00 Uhr

Wankum wehrt sich

Interview im Kieler "Gegenwind"

Das Interview führte Reinhard Pohl | Der Gegenwind schreibt: Mehrfach haben wir in den letzten beiden Jahren über "jüdisches Leben in Schleswig-Holstein" berichtet. Dabei wurde auch deutlich, dass es inzwischen zwei Richtungen gibt, die beide ihre eigene Organisationsform entwickelt haben: Auf der einen Seite die Jüdische Gemeinde Hamburg mit Gemeindezentren in Kiel, Flensburg und Lübeck (inzwischen selbständig), auf der anderen Seite der "Landesverband", ausgehend von der liberalen "Jüdischen Gemeinde Bad Segeberg". Inzwischen berichten auch überregionale Medien, zuletzt der SPIEGEL vom 10. Mai, über die Auseinandersetzungen. Um die Positionen aus erster Hand zu hören, trafen wir uns mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Hamburg, Andreas Wankum.

Gegenwind: Ausgangspunkt unseres Interviews sind die teilweise öffentlich ausgetragenen Auseinandersetzungen zwischen der Jüdischen Gemeinde Hamburg, die auch die Juden Schleswig-Holsteins vertritt, und dem in Bad Segeberg ansässigen "Landesverband der jüdischen Gemeinden Schleswig-Holstein". Wie ist es dazu gekommen?

Andreas C. Wankum: Es gibt zwar deutliche Versäumnisse seitens der ehemaligen Hamburger Gemeindeführung, sowohl unseren schleswig-holsteinischen Gemeindemitgliedern gegenüber, wie auch gegenüber den Segebergern. Zu lange wurde versucht, Gesprächsangebote zu ignorieren bzw. zu handeln. Das müssen wir als seit knapp einem Jahr amtierender neuer Vorstand qua Amt zurechnen lassen, aber nicht als Personen. Ich habe mich einige Tage vor unseren Beiratswahlen im Mai 2003 mit Herrn Blender telephonisch in Verbindung gesetzt und zugesagt, dass von uns aus Gespräche gewünscht sind, sollten wir als Gruppe die Beiratswahlen der JGH mit einer Mehrheit gewinnen, die uns handlungsfähig sein lässt. Versprochen, gehalten, sofort nach unserer Wahl auch als neuer Gemeindevorstand durch den neuen Gemeindebeirat haben uns dann Ende Oktober 2003 mit Herrn Blender und seinen Vorstandskollegen zusammengesetzt. In diesem Gespräch hatten wir uns, so hofften wir, darauf geeinigt, dass die Unterstützung des Landes Schleswig-Holstein unter den verschiedenen Gruppen und Gemeindezentren unserer Gemeinde in Schleswig-Holstein und den Segebergern geteilt wird. Vor allem aber hatten wir vereinbart, keine internen Auseinandersetzungen vor der Landesregierung in Kiel oder der nichtjüdischen Öffentlichkeit auszufechten. Anfang November 2003 stand dort ein Gesprächstermin mit dem Kieler Kultusministerium an und wir hatten darum gebeten, diesen Termin gemeinsam abzusagen, um uns erst einmal untereinander zu einigen oder zumindest die Einigung zu versuchen. Leider kamen danach keine Reaktionen mehr von der Segeberger Gruppe. Der Termin mit der Landesregierung wurde nur von uns abgesagt. Herr Blender hat den Termin wahrgenommen und zeitgleich eine Pressekampagne begonnen. Kurzum, seitdem spricht Herr Blender, sprechen deshalb auch wir nicht mehr mit - sondern nur noch übereinander und sind deshalb da, wo wir jetzt sind.

Gegenwind: Da nicht alle Leserinnen und Leser mit der Entwicklung der jüdischen Gemeinschaft in Hamburg und Schleswig-Holstein vertraut sind, gehen wir vielleicht noch einen Schritt zurück. Die Jüdische Gemeinde Hamburg ist ja durch die Zuwanderung aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion stark angewachsen. Wie werden jüdische Migrantinnen und Migranten hier aufgenommen, und wie werden Sie Mitglied Ihrer Gemeinde?

Andreas C. Wankum: 1976 sind der Jüdische Gemeinde in Hamburg, JGH, "Körperschaft des öffentlichen Rechts" die Körperschaftsrechte auch für das Bundesland Schleswig-Holstein anerkannt worden. Damals gab es in Schleswig-Holstein lt. unseren Unterlagen nur ca. 65 Juden. Diese lebten im wesentlichen im Umkreis von Hamburg und in Lübeck. So blieb es über viele Jahre, bis dann der Vertrag zwischen der Bundesregierung und dem Zentralrat abgeschlossen wurde und jüdische Menschen aus den GUS als Kontingentflüchtlingen die erleichterte Möglichkeit gegeben wurde, nach Deutschland kommen zu dürfen. Diese Menschen werden vom Bund nach einer Länderquote verteilt. So kommen nach Hamburg und Schleswig-Holstein ungefähr gleich viel Zuwanderer, bisher jeweils gut 2000 Menschen. Wir haben jetzt in Schleswig-Holstein ungefähr 2200 Mitglieder und in Hamburg etwa 3200 Mitglieder. Das hat dazu geführt, dass zum Beispiel in Lübeck, wo bereits eine Gemeindeinfrastruktur vorhanden war, z.B. eine Synagoge, ein Gemeindehaus, der Wunsch nach weitgehender Souveränität und Unabhängigkeit von Hamburg aufkam.
Die Jüdische Gemeinde Lübeck e.V. führte mit dem alten Gemeindevorstand schleppende Verhandlungen darüber, wie man die Zukunft regelt. Hamburger Vorschläge wurden von Lübecker Seite abgelehnt, sodass zuletzt völlige Funkstelle bestand, bis wir die Gespräche im Rahmen der extra dafür gegründeten Schleswig-Holstein Gemeindekommission wieder aufnahmen. Der Kommission gehören Vertreter der wesentlichen Gemeindezentren Lübeck, Kiel und Flensburg sowie des JGH Beirates und Vorstandes an. Sie wurden konstruktiv und ergebnisorientiert geführt. Warum die Segeberger das Angebot, an diesen Gesprächen beteiligt zu werden, nicht beantwortet haben, entzieht sich unserer Kenntnis. Darüber lassen sich nur Vermutungen anstellen.
Dazu muss man auch wissen, dass bereits seit Jahren Schleswig-Holsteinische Mitglieder im Beirat und im Vorstand vertreten sind. Der amtierende Beiratsvorsitzende, Herr Dr. Lohse, z.B. lebt und arbeitet in Burg auf Fehmarn. Eine Anzahl weiterer amtierender Beiratsmitglieder haben auch heute Ihren Wohnsitz ebenfalls in Schleswig-Holstein.
Sie fragen, wie jüdische Migranten aufgenommen werden: Sie stellen einen Antrag, der vom zuständigen und seit über 10 Jahren amtierenden Landesrabbiner für Hamburg und Schleswig-Holstein, Dov-Levy Barsilay geprüft wird. Danach nimmt der Gemeindevorstand diese Menschen satzungsgemäß als Mitglieder auf. Meiner Meinung nach war es ein Fehler, nicht bereits 1976, die Gemeinde in "Jüdische Gemeinde in Schleswig-Holstein und Hamburg" umzubenennen, was sie ja definitiv seit 1976 bis heute ist, eine Gemeinde, nicht ein Landesverband, sondern eine Gemeinde.

Gegenwind: Müssen die jüdischen Migranten, wenn sie in Neumünster ankommen, bei Ihnen aktiv einen Antrag stellen, oder werden sie quasi automatisch bei Ihnen angemeldet?

Andreas C. Wankum: Die jüdischen Migranten müssen aktiv einen Antrag auf Mitgliedschaft stellen. Sie erhalten bei ihrer Ankunft ein Informationsschreiben - und soweit uns bekannt ist, auch ähnliches von den anderen Gruppen in Schleswig-Holstein - mit den entsprechenden Angaben der Gemeinde wie Adresse, Telefon, Kontaktperson. Eine automatische Aufnahme ist schon deshalb ausgeschlossen, weil der Rabbiner jede Aufnahme überprüfen und dieser, gemeinsam mit dem Vorstand, zustimmen muss.

Gegenwind: Wie groß sind die Kenntnisse der Neuankömmlinge über das Judentum? Welche Angebote machen Sie den neuen Gemeindemitgliedern?

Andreas C. Wankum: Die Kenntnisse sind meist nicht groß. Diese Menschen kommen ja aus einem Land, in dem man fast ein Jahrhundert lang versucht hat, der Religion den Garaus zu machen. Umso höher sind die Kenntnisse, die da sind, zu bewerten. Wir sind hier, im Gegensatz zu manchen Vorurteilen, auch nicht die Betonköpfe, die nur orthodoxe Juden akzeptieren. Aber wir haben nun mal ein Jahrtausende altes Religionsgesetz: Danach ist nur jüdisch, wer eine jüdische Mutter hat oder vor einem anerkannten Rabbinatsgericht übergetreten ist. Darüber zu entscheiden, liegt nicht an uns.
Von uns aus werden alle neuen Mitglieder freundlich aufgenommen und bekommen z. B. eine kostenlose Beratung in beinahe allen sozialen Fragen.

Gegenwind: Wie sind denn die Gemeindezentren in Schleswig-Holstein organisiert? Wie wird entschieden, welche Zuwanderer in welchen Ort verteilt werden?

Andreas C. Wankum: Die Einwanderer werden hergeholt, um jüdischen Leben wieder zu etablieren. Sie werden aber aus Kostengründen in den Flächenstaaten auf alle Kreise und Gemeinden verteilt. Sie werden nicht dorthin verteilt, wo aktive Gemeindezentren bereits existent sind. Das führt dazu, dass sich jüdischen Leben nicht so etabliert, wie es möglich wäre, sondern viele Menschen dem Judentum über kurz oder lang einfach verloren gehen. Deshalb begrüßen wir auch solche Initiativen wie die Gründung einer Gemeindegruppe in Bad Segeberg u.a. durch Walter Blender. Der ganze Streit ist uns nicht erklärlich. Wir begrüßen natürlich, wenn sich Zentren bilden, in denen Menschen jüdisch leben können.
Ich war noch nie bei der Gemeinde in Bad Segeberg, ich war dort noch nie eingeladen. Ich gehe aber durch Presseveröffentlichungen, die ich gelesen habe, davon aus, dass die Menschen dort ihr Judentum auf eine andere Art und Weise praktizieren als wir. Aber Sie sehen ja, ich bin auch kein orthodoxer Jude.

Gegenwind: Was verstehen Sie unter einer Einheitsgemeinde?

Andreas C. Wankum Die Einheitsgemeinde ist für mich die einheitliche Vertretung aller in der Gemeinde lebenden Juden, wobei die religiös so leben wie sie leben möchten. Wenn es wenige sind und es deshalb nur eine Synagoge oder einen Betraum gibt, dann ist der kleinste gemeinsame Nenner natürlich, dass man sich beim religiösen Service auf die Orthodoxie einigt. Was jeder einzelne privat macht, ist seine Sache. Es kann ein Liberaler nach dem orthodoxen Ritus beten, ein Orthodoxer aber nicht nach dem liberalen. Wenn die Gemeinde groß ist, nehmen Sie das Beispiel Berlin, dann gibt es alle Strömungen, und alle Strömungen haben ihren Platz unter dem Dach der Einheitsgemeinde. Unser Vorstand und unser Rabbiner haben kein Problem damit, wir würden es aktiv unterstützen, wenn es Menschen in Hamburg gibt, die ihre Religion anders praktizieren möchten, als das heute in der Synagoge Hohe Weide praktiziert wird. Es gibt aber, zumindest bis jetzt auch keine inhaltliche Diskussion mit der Segeberger Gemeinde, wie Judentum praktiziert wird.

Gegenwind: Wie wird der Zuschuss der Landesregierung Schleswig-Holstein verwendet? Der wird ja von der Jüdischen Gemeinde Hamburg verwaltet, soll aber für das jüdische Leben in Schleswig-Holstein ausgegeben werden.

Andreas C. Wankum: Die Landesregierung in Kiel fördert unsere Schleswig-Holsteiner Mitglieder mit ungefähr 360.000 Euro im Jahr. Die werden nicht nur vollständig in Schleswig-Holstein ausgegeben, es sind jedes Jahr mehrere hunderttausend Euro mehr, die wir aus den Mitteln der Gemeinde in Schleswig-Holstein für Schleswig-Holsteiner Belange ausgeben. Z.B. für die Unterhaltung der Immobilien, für Friedhöfe, Denkmalpflege, für Kinder- und Jugendarbeit, für die Betreuung in sozialen Fragen, Zuschüsse für Ausflüge, für die Kantoren, für die Rabbiner usw. Das Geld aus Schleswig-Holstein reicht nicht aus, auch weil der Betrag seit Jahren nicht der tatsächlichen gestiegenen Mitgliederanzahl angepasst wurde. Der Staatsvertrag ist aus einer Zeit, als wir 400 oder 600 Mitglieder hatten, jetzt sind es über 2000.
Selbstverständlich ärgert uns natürlich das Bild, welches durch die Pressearbeit aus Bad Segeberg über uns entsteht. Danach sieht es ja fast so aus, als ob wir alles Geld von der Landesregierung in Kiel hier in Hamburg einsacken, und das es in Schleswig-Holstein jüdische Gemeindemitglieder nur in Bad Segeberg, Quickborn und Pinneberg gäbe, und die gar nichts davon bekommen. Mich verwundert, wie wenig Recherchemühe sich die nicht-jüdischen Medien in die Sache machen, wenn sie über dieses sensible Thema berichten.

Gegenwind: Nun haben sich ja diese jüdischen Gemeinden in den Orten, die sie nannte, gebildet und einen eigenen Landesverband gegründet. Wie ist das Verhältnis der Jüdischen Gemeinde Hamburg zu diesen neuen Gemeinden?

Andreas C. Wankum: Ja, es haben sich offensichtlich zusätzlich jüdische Gemeinden gebildet. Wie weit sie welche Ausrichtung des Judentums vertreten, damit will ich mich gar nicht beschäftigen. Wenn Herr Blender behauptet, dass von mir gesagt wird, das seien gar keine Juden: Das stimmt so nicht. Einige seiner Mitglieder sind ja auch noch Mitglied bei uns. Nur, wenn andere bei uns keinen Aufnahmeantrag gestellt haben, dann weiß ich natürlich nicht, ob sie Juden sind oder nicht. Es ist aber ein Etikettenschwindel, sich "Landesverband der jüdischen Gemeinden Schleswig-Holstein e.V." zu nennen, das "e.V." lässt Herr Blender auch gerne mal weg. Wenn sie sich "Landesverband der progressiven jüdischen Gemeinden in Schleswig-Holstein" nennen würden, dann hätten wir damit gar kein Problem. Aber dieser Name impliziert, als wäre der Verein der jüdische Landesverband, und das ist schlicht falsch.
Zum Verhältnis zu Herrn Blender und seinen Mitmitgliedern muss sich sagen: Es gibt kein Verhältnis. Es hat sicherlich über einen längeren Zeitraum Gesprächsversuche von Herrn Blender in Richtung Hamburg gegeben, das habe ich anfangs gesagt, die sind offensichtlich nicht beantwortet worden. Das akzeptiere ich so. Von unserer Seite hat es ein Gespräch gegeben, und seitdem wird nur noch übereinander gesprochen, wobei wir, einer jahrhundertealten jüdischen Grundsatzregel folgend, auf die Schmutzkampagne aus Bad Segeberg nur reagiert haben. Es unschön, es ist falsch und regelwidrig, den ganzen Konflikt jetzt öffentlich auszutragen. Das Konzept der Einheitsgemeinde habe ich beschrieben, und das pluralistische System der Einheitsgemeinde ist ganz wichtig. Weder die Hamburger Gemeinde noch der Zentralrat sind orthodox oder konservativ. Sie sind eine Dachorganisation, sehen sie nach Berlin. Oder nach Hannover, Rabbiner Brand ist ja nun überhaupt nicht orthodox.

Gegenwind: Nun ist der Staatsvertrag Schleswig-Holsteins mit Ihnen gekündigt worden, er soll aber zum 1. Januar 2005 in veränderter Form neu abgeschlossen werden. Welche Möglichkeiten sehen Sie in diesen Verhandlungen?

Andreas C. Wankum: Da ist auch nicht richtig. Ich habe hier die Sendung des NDR "Shabat Shalom" auf Video, da wird das auch behauptet. Und dann kommt der Originalton von Staatssekretär Dr. Körner, dass wir im gegenseitigen Einverständnis auf eine Klausel im Vertrag zurückgegriffen haben, dass er jetzt an veränderte Verhältnisse angepasst wird. Dieser Vertrag ist nicht gekündigt, höchstens änderungsgekündigt, er wird angepasst. Und er wird möglicherweise auch streitig angepasst werden müssen. Denn von unserer Seite kommen wir mit dem Geld nicht aus.

Gegenwind: Aber die Situation ist doch, dass sich die Gemeindezentren in Flensburg, Kiel, Rendsburg und Lübeck zur Jüdischen Gemeinde Hamburg zugehörig fühlen, die Gemeinden in Bad Segeberg, Quickborn, Pinneberg, Ahrensburg sind Mitglied im Landesverband. Uns gegenüber wurde von der Flensburger Gemeinde auch deutlich gesagt, man wollte Teil der Jüdischen Gemeinde Hamburg bleiben.

Andreas C. Wankum: Das ist ja auch anders schwer möglich. In Flensburg gibt es etwas über 40 Mitglieder, mit dem Umland vielleicht 70 Mitglieder. Die gute Arbeit dort wird von mindestens 200 Menschen in Anspruch genommen, das kann aus den Mitgliedsbeiträgen gar nicht finanziert werden, das finanzieren wir von Hamburg aus. Sicherlich nicht immer in dem Ausmaß, wie die Flensburger es sich wünschen, aber wir haben eben den Etat dafür nicht.
Auf der am Sonntag stattgefundenen letzten Sitzung unserer Schleswig-Holstein-Kommission haben wir uns auf ein zukünftiges Modell für Schleswig-Holstein geeinigt, ein entscheidender Durchbruch! Es wird kurzfristig einen gemeinsamen Landesverband geben, einen gemeinsamen Landesverband von Schleswig-Holstein und Hamburg. In drei Jahren wird Hamburg aus diesem Landesverband austreten, und dann ist Schleswig-Holstein selbstständig mit eigenen Gemeindezentren und einem Sitz des Landesverbandes am Sitz der Landesregierung. Wir bleiben dem neuem Landesverband freundschaftlich verbunden, aber die Lübecker haben auch deutlich gesagt, sie wollen selbständig sein. Dafür haben Sie unser vollstes Verständnis. Claus Fink, Vorsitzender der Lübecker Gemeinde, die bis in die Siebziger hinein selbstständig war, hat mich extra gebeten, darauf hinzuweisen, dass sich nicht nur relativ kleine Gemeinden im liberalen Landesverband zusammengeschlossen haben. Im November 2001 ist in Lübeck die mitgliederstärkste jüdische Gemeinde Schleswig-Holsteins gegründet worden, diese Gemeinde in Lübeck hat zur Zeit mehr als 450 Mitglieder, mit einem Potential von bis zu 800 Menschen, die Mitglieder im Lübecker Umland hinzugezählt.
Wir wollen in Schleswig-Holstein in Zukunft stärker auf die Gegebenheiten und die besonderen Probleme jeweils vor Ort eingehen. Die Mitglieder leben nur leider sehr verstreut. Wir haben überlegt, zum einem z.B. den Religionsunterricht auf dem Lande zu organisieren. Die Segeberger diskutieren hier nicht mit, sie sagen nur, sie wollen ihren Anteil am Landeszuschuss haben. Wir haben den Segebergern angeboten, den Zuschuss der Landesregierung nach einer festen Formel aufzuteilen. Hamburg bekommt kein Geld davon, das Geld ist für das jüdische Leben in Schleswig-Holstein. Und es ist ganz klar, auch die Gemeinde in Bad Segeberg und die anderen werden eingeladen, dem gemeinsamen Landesverband beizutreten. Wenn sie das nicht wollen, müssen sie direkt mit dem Ministerium in Kiel sprechen. Aber ich finde es falsch, die Landesregierung in Kiel über die Verteilung der Förderung unter den Gemeinden entscheiden zu lassen.

Gegenwind: Wie könnte denn die Aufteilung aussehen?

Andreas C. Wankum: Das ist ja eine einfache Rechnung. Wenn die liberalen Juden sich an die Bundesregierung wenden, sind es von 100.000 Juden vielleicht 1.600, die sie vertreten. Bei uns in Schleswig-Holstein und Hamburg sind es von 5000 Juden vielleicht 160, oder lassen Sie es in Schleswig-Holstein 250 von 2200 sein. Aber ich möchte betonen, ich habe kein Problem, dass die Gemeinden in Segeberg, Pinneberg, in Ahrensburg Mitglied bei uns werden. Sie haben gesagt, dass sie genauso wie wir halachisch jüdisch sind. Das erkennen wir so an, und dann gibt es auch keine Probleme. Jedes Gemeindezentrum kann ihren Religionsservice so machen, wie sie es für richtig hält. Das ist für uns, für mich kein Problem – es ist ein Glück, dass es alle diese Formen jüdischen Lebens gibt.
Aber man ist nur stark, wenn man gemeinsam zur Landesregierung geht. Wenn wir uns aufsplittern lassen, können wir es vergessen. Wir müssen hingehen und sagen, wir haben den Vertrag abgeschlossen, als wir 500 oder 800 Menschen waren, und jetzt sind wir mehr als 5000 Menschen. Wenn wir uns jetzt spalten lassen, dann kann es nur Verlierer geben. Und Verlierer wäre auch das Land Schleswig-Holstein, weil es ja Absicht ist, jüdisches Leben zu etablieren. Und das wird so nicht etabliert werden.

Andreas C. Wankum im Gespräch mit dem Gegenwind

Veröffentlicht in Sonstige mit den Schlagworten Schleswig-Holstein, Wahlen