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Sonntag, 23. April 2006, 2:00 Uhr

WM-Wahn ausgebremst

Grusel-Party in Norderstedt vom Tisch

Von Olaf Harning | Thiele, Geschäftsführer der Event-Agentur deltacom, hatte im Leben schon Anderes im Sinn: Genau über die Massen, die er heute in seine Veranstaltungen lockt, zog er noch 1993 als Sänger der bekannten Langenhorner Punk-Band RAZZIA unzweideutig her, ein Zitat: "Fast jeder will was Massen wollen - Die Massen wollen, dass man ihnen gibt. Dass man ihnen gibt, dass sie sich fühlen - wie man es will, nicht wie sie sind". In anderen Songs distanzierten sich Razzia und Thiele von Nationalismus jeder Art, eine 180-Grad-Drehung zum heutigen "Event-Manager".
Seine aktuellste Grusel-Party scheiterte nun ausgerechnet an Auflagen seinesgleichen, sagen wir einmal: An "Event-Managern" der gehobeneren Kategorie. Weil die FIFA sich an der WM nicht nur dumm- sondern auch dämlich verdienen will, untersagt sie lokalen Veranstaltern mit WM-Bezug schlicht, in gewissen Branchen andere Werbepartner zu nutzen, als die FIFA selbst. Auf diese Weise kamen deltacom schließlich beinahe alle lukrativen, regionalen Geldgeber abhanden, während die offiziellen FIFA-Sponsoren keinerlei Geld in Kleinveranstaltungen pumpen. Anfang der Woche nun sagten Thiele und deltacom den geplanten Trubel entnervt ab, erhoben schwere Vorwürfe gegen die FIFA in Gestalt des deutschen Verantwortlichen Franz Beckenbauer. Nur am Rande sei daran erinnert, dass Thiele selbst noch vor einigen Monaten kritisiert hatte, dass zu viele Spektakulum-Besucher ihr Bier nicht an den (überteuerten) Ständen des Stadtfestes, sondern an der nächsten Tanke kaufen, schließlich müsse sich die FIFA, pardon: das Spektakulum doch finanzieren.
Andernorts laufen die WM-Vorbereitungen übrigens weiter auf Hochtouren: Beispielsweise die für das Fest der Völker" am 9./10. Juni in Jena, wo sich militante Nazi-Gruppen aus mehreren europäischen Ländern treffen wollen, um u.a. zu diskutieren, was man wohl gegen die "rassisch minderwertigen" Teams aus Schwarzafrika unternehmen kann. Die afrikanische Gemeinde in Berlin arbeitet derweil an einem "Gefahren-Atlas" für Schwarze in Deutschland. Nicht-Weiße WM-Besucher sollen sich darauf orientieren können, wo in Deutschland (insbesondere wo in Ostdeutschland) sie sich mit schwarzer Hautfarbe besser nicht aufhalten sollten. Nicht ohne Grund hat nicht ein einziges WM-Team Quartier in Ostdeutschland genommen: Schließlich will man Fußball spielen, nicht von stumpfdeutschen Rassisten totgeprügelt werden, wie bislang mindestens 140 Menschen seit der Einheit. Die Welt zu Gast bei Freunden?
Wenn sich also nun im Juni unter diesen Voraussetzungen nicht allabendlich ein- oder gar zweitausend Menschen auf einer Wiese an der Ulzburger Straße versammeln, drei bis neun (überteuerte) Gläser Bier trinken und anschließend aus voller Brust "Deutschland, Deutschland!" grölen, ist das vermutlich schlecht für deltacom, oder besser: Für deltacoms Kasse. Für Norderstedt und insbesondere für nichtdeutsche Norderstedter dürfte aber mit dieser Nachricht die Sonne einmal mehr aufgegangen sein.

Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen. Bitte geben Sie Ihr Gehirn an der Kasse ab.

Veröffentlicht in Faschismus/Antifaschismus mit den Schlagworten Infoarchiv, Norderstedt