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Sonntag, 13. November 2005, 1:00 Uhr

"Ich würde mich freuen, wenn keine Gleichstellungsbeauftragten mehr gebraucht würden, aber leider sind wir noch lange nicht so weit..."

Claudia Meyer- Norderstedts neue Gleichstellungsbeauftragte im Gespräch

Matilda Nyman | Infoarchiv: Das Rathaus in Norderstedt ist schon länger ihre berufliche Heimat. Bisher waren sie im Forum für Kultur und Städtepartnerschaft tätig. Wie kam es zu ihrer Entscheidung, sich für den Posten der Gleichstellungsbeauftragten zu bewerben ?
Claudia Meyer: Ich habe mich während meiner Tätigkeit hier immer weitergebildet und versuche mich auch gern ab und zu in neuen Aufgabenfeldern. Der konkrete Auslöser war aber die Kooperation mit der Gleichstellungsbeauftragten in der Vorbereitung eines europaweiten Projektes. In diesem Projekt soll gender mainstreaming durchgehend sichergestellt sein. Durch die Kooperation habe ich einen guten Einblick in die Arbeit der Gleichstellungsbeauftragten bekommen und bin neugierig geworden. Ich habe mich dann ausführlich damit auseinandergesetzt und festgestellt, dass diese Tätigkeit eine sehr attraktive Herausforderung für mich ist.

Infoarchiv: Ihre Arbeit im Forum für Kultur und Städtepartnerschaft werden sie beibehalten und neben dieser sicherlich anspruchsvollen Tätigkeit auch noch als Gleichstellungsbeauftragte arbeiten. Ist der Stadt Norderstedt die Gleichstellung keine volle Stelle wert ?
Claudia Meyer: Die Prioritäten sind anders: Ich bin neben der Tätigkeit als Gleichstellungsbeauftragte (29 Wochenstunden) auch im FORUM tätig (9,5 Wochenstunden). Meine Vorgängerin war übrigens 19,25 Wochenstunden als Gleichstellungsbeauftragte eingesetzt. Die Gleichstellungsstelle besteht auch nicht aus mir allein, sondern zusätzlich aus meinen beiden (Teilzeit-) Mitarbeiterinnen - das sind insgesamt zwei volle Stellen. Es ist allerdings auch angebracht, denn Norderstedt ist ja schließlich ein Mittelzentrum, dessen Einwohnerzahl stetig steigt.

Infoarchiv: Etwa Zeitgleich mit ihrem Amtsantritt als Gleichstellungsbeauftragte in Norderstedt müssen die Hälfte ihrer Schleswig-Holsteinischen hauptamtlichen Kolleginnen um ihren Posten bangen. Das aller erste Gesetzesvorhaben der großen Koalition in Kiel ist die Veränderung der Gemeindeordnung dahingehend, dass Gemeinden erst ab 15.000 BewohnerInnen in der Pflicht sind eine Gleichstellunsbeauftragte zu ernennen.(bisher war dies schon bei 10.000 EinwohnerInnen verbindlich vorgesehen). Wie bewerten sie diese Entwicklung ?
Claudia Meyer: Es ist meines Erachtens zu früh, der Bedarf ist noch groß. Ich würde mich freuen, wenn keine Gleichstellungsbeauftragten mehr gebraucht würden, aber leider sind wir noch lange nicht so weit - auch wenn gesetzlich vieles abgesichert ist. Die gesellschaftliche Entwicklung hinkt aber oft den gesetzlichen Möglichkeiten hinterher. Beispiel: vom Gesetz her kann ein Vater die Elternzeit oder einen Teil davon nehmen, und mancher würde das auch gern tun - aber was sagen seine Kollegen und Freunde dazu ?! Und auch die Mutter muss sich rechtfertigen, denn sie ?macht Karriere? statt sich um ihr Kind zu kümmern... Ich will damit sagen, dass eine solche Konstellation für beide Eltern nicht einfach ist wegen der Reaktionen im Umfeld.
Diese gesellschaftlichen Problemfelder und vieles andere bedeuten noch viel Arbeit und einen langen Atem.

Infoarchiv: Regt sich Widerstand gegen diese Entwicklung ? Wie ist die Stimmung in den Gleichstellungsbüros des Landes ?
Claudia Meyer: Sicherlich stößt das nicht auf Gegenliebe, aber leider habe ich in der kurzen Zeit als Gleichstellungsbeauftragte noch nicht richtig mit meinen Kolleginnen darüber sprechen können. Das nächste Landestreffen steht noch aus, da wird das Thema sicher zur Sprache kommen.

Infoarchiv: Im Gespräch mit der Norderstedter Zeitung verrieten Sie, dass sie neben Ihren Beratungs- und Gremienaufgaben auch eigene Ziele in Sachen Gleichstellung ins Auge gefasst haben. Welche Ziele möchten Sie gerne verwirklichen ?
Claudia Meyer: Ich halte die Bereiche Frauengesundheit und Altersvorsorge für Frauen für besonders wichtig.
Frauenspezifische Gesundheitsprobleme sollten mehr Beachtung finden - auch bei den Frauen selbst. Beispiel Krebsvorsorge: viele gehen nicht zur Vorsorgeuntersuchung, weil sie eine schlechte Nachricht fürchten und auch noch bezahlen müssen. Aber die Alternative - sollte eine Krebserkrankung vorliegen und sie ist zu spät erkannt - ist dann erst recht eine Katastrophe.

Ich kenne viele Frauen, die sich auf eine Absicherung ihres Alters durch den Ehemann verlassen. Sollte etwas dazwischen kommen (z.B. Scheidung) haben sie oft aufgrund der Elternzeit und jahrelanger Teilzeitarbeit danach eine sehr geringe Rente in Aussicht und wissen es nicht einmal - hätten aber die Chance, ihre Lage zu verbessern. Daher ist es wichtig, hier ein Bewusstsein zu schaffen und Beratungsmöglichkeiten aufzuzeigen oder selbst zu initiieren.

Weiterhin möchte ich mich im europäischen Ausland informieren, wie dort die Gleichstellung von Frauen und Männern gewährleistet wird - dieses Interesse resultiert aus meiner bisherigen Tätigkeit für die Europäische Kontaktpflege, denn auf vielen Gebieten ist ein Erfahrungsaustausch mit Kolleginnen und Kollegen im Ausland eine Bereicherung.

Infoarchiv: Am 25. November ist der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. Eine Regierungsstudie bewies unlängst wie viele Frauen von diesem Problem betroffen sind. Das Frauenhaus in Norderstedt ist zur Zeit voll ausgelastet und die Frauenberatungsstelle muss jährlich um ihren Etat kämpfen. Wird in Norderstedt genug getan, um Frauen in diesen Problemlagen zu unterstützen?
Claudia Meyer: Es ist zu befürchten, dass der Bedarf nicht gedeckt werden kann, aber das kann ich zur Zeit leider noch nicht beurteilen, weil ich erst jetzt Einblick in die vorhandenen Möglichkeiten und Strukturen bekomme. Ich sehe aber ein großes Problem auch darin, dass viele betroffene Frauen sich schämen und / oder sich nicht trauen, Hilfe zu suchen.

Infoarchiv: Eine letzte Frage: Was wünschen Sie den Frauen in Norderstedt ?
Claudia Meyer: Viel Kreativität und Selbstbewusstsein sowie ein bisschen Humor, weil manchmal ungewöhnliche Wege notwendig sind, um ans Ziel zu kommen.
Und dann die Courage, bei Schwierigkeiten (und besonders bei ernsthaften Problemen) aktiv zu werden - und ggf. das vorhandene Beratungs- und Hilfsangebot zu nutzen. Da ist die Gleichstellungsstelle übrigens gern als erste Anlaufstelle bereit, denn hier laufen viele Fäden zusammen. Da wir selbst nicht alles wissen leiten wir ggf. an andere, fachlich versierte Stellen weiter.

Wir danken Claudia Meyer für das Interview

Veröffentlicht in Frauen/Feminismus mit den Schlagworten Infoarchiv, Norderstedt, Schleswig-Holstein