- Themen
- Alternative Zentren
- Arbeit & Kapital
- Behindertenpolitik / Assistenzbedürftige
- Bildung
- Energiepolitik
- Faschismus / Antifaschismus
- Flucht und Migration
- Frauen / Feminismus
- Frieden
- Geschichte
- Internationalismus
- Jugendpolitik
- Kindergärten & Kinderbetreuung
- Kommunalpolitik
- Kultur
- Landesgartenschau & Stadtpark
- Lesbisch/Schwules
- Medien
- Medizinische Versorgung & Gesundheit
- Polizei & Justiz
- Religion
- Repression / Antirepression
- Sonstige
- Soziales
- Sport
- Stadtentwicklung
- Umwelt
- Verkehr
- Artikel Altbestand
- Schlagworte
- Galerien
- Links
- Termine
- Über uns
+ + + ARCHIVIERTER INHALT + + +
Diese Seite kommt aus unserem Archiv und enthält möglicherweise Informationen, die nicht mehr aktuell sind. Bitte beachten Sie das Veröffentlichungsdatum dieser Seite.
Mittwoch, 20. Februar 2013, 20:43 Uhr
Wut auf die Lufthansa
Revenue Services schließt bis 2017
Lufthansa-Finanzchefin Simone Menne und Lufthansa-Revenue-Geschäftsführer Reinhard Schäfer nehmen ein Bad in der Menge. Kurz zuvor hatten die Beschäftigten von der zügigen Schließung des Standorts erfahren (Foto: Infoarchiv)
Olaf Harning | Wütender Protest im Schützenwall: Mit Transparenten, Sprechchören und Megaphonen demonstrierten gut 200 Beschäftigte der Lufthansa Revenue Services gegen die am Morgen verkündete Standortschließung. Schon bis Ende 2017 sollen alle 350 Arbeitsplätze abgebaut- und das "Ticketing" des Konzerns in Billiglohnländer verlagert werden.
Jolanda Antonelli in Micheli ist am 1. März seit 40 Jahren bei der Lufthansa. Gerade noch rechtzeitig rutschte sie in eine Altersteilzeit-Regelung, hat damit Glück im Unglück (Foto: Infoarchiv)
"Lächle und sei froh, denn es könnte schlimmer kommen", lautet ein gängiges Zitat, "und ich lächelte und ich war froh und es kam schlimmer." So oder so ähnlich müssen heute Morgen die Beschäftigten der Lufthansa Revenue Services gefühlt haben, als die meisten von ihnen aus dem Radio von der Schließung ihres Standortes erfuhren. Denn während die Betroffenen noch auf dem Weg zu einer ver.di-Kundgebung gegen den Abbau der Arbeitsplätze waren, hatten die "Bosse" längst entschieden: Der Standort Norderstedt wird im Rahmen des radikalen Sparprogramms "Score" spätestens bis Jahresende 2017 geschlossen, die Arbeit der bislang 350 Beschäftigten vollständig in Billiglohnländer verlagert. Gleichzeitig verkündete der Konzern den Abbau von 365 Stellen in der Kölner Hauptverwaltung - das alles bei einem Konzernergebnis von knapp einer Milliarde Euro. Damit bestätigen sich die schlimmsten Befürchtungen, die bereits seit Monaten zu Protesten in der Belegschaft führen. Betriebsrat Klaus Kahlcke und ver.di-Sekretärein Sabine-Almut Auerbach hatten zuletzt ein Alternativkonzept ins Spiel gebracht, das zwar auch den Wegfall der meisten Jobs beinhaltete, dafür aber elf statt nun drei Jahre vorsah. Außerdem gingen Betriebsrat und Gewerkschaft bislang vom Erhalt von bis zu 100 Arbeitsplätzen aus.
Teils Wahlkampf, teils Solidarität: Fast alle Norderstedter Parteien waren auf der Kundgebung vertreten (Foto: Infoarchiv)
Auch die Norderstedter Politik wurde vom schnellen Standort-Aus völlig überrascht. Noch in der heutigen Ausgabe der Norderstedter Zeitung wird Bürgermeister Hans-Joachim Grote mit einem Appell an die Konzernleitung zitiert, doch bitte nicht "nur auf das betriebswirtschaftliche Ergebnis" zu sehen, sondern Verantwortung für die Beschäftigten zu übernehmen. Sowohl Grote selbst, als auch Gert Leiteritz (CDU), Klaus-Peter Schroeder (FDP), Miro Berbig (DIE LINKE), Jürgen Lange und Sybille Hahn (beide SPD) gesellten sich im Laufe der Kundgebung zu den Lufthansa-Beschäftigten und übermittelten ihnen solidarische Grüße. Während Auerbach den Protestierenden auch Grüße von ver.di-Chef Frank Bsirske überbrachte, bezeichnete der SPD-Bundestagsabgeordnete Franz Thönnes das Vorgehen des Konzerns als "unmöglich" und forderte das Unternehmen in einem Brief an Vorstandschef Christoph Franz zu "Vertragstreue" auf. Hintergrund: Der für die Branche gültige Manteltarifvertrag schließt betriebsbedingte Kündigungen für etwa zwei Drittel der Betroffenen - nämlich jene mit einer Betriebszugehörigkeit von mehr als 15 Jahren - aus. Durch die Billigverlagerung der Revenue Services befürchtet der ehemalige Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit letztlich auch die Gefährdung von bis zu 400 weiteren Arbeitsplätzen bei anderen Tochtergesellschaften der Lufthansa.
Heute jedoch ging es am Schützenwall zunächst "nur" um 350 Jobs und um die Frage, ob eine Rundmail am Vorabend und eine Pressemitteilung am frühen Morgen denn die korrekte Art sind, einigen Hundert Familien den Verlust ihrer bisherigen Existenzgrundlage nahezubringen. FDP-Fraktionschef Klaus-Peter Schroeder meint "Nein", denn er möchte "so nicht abgebaut werden". Und auch als sich Lufthansa-Finanzchefin Simone Menne, immerhin einst selbst Geschäftsführerin der Revenue Services, und der örtliche Geschäftsführer Reinhard Schäfer heute kurz den Protestierenden stellten, schien sich in dieser Frage kein Konsens abzuzeichnen. Erst recht nicht, als Schäfer darauf verwies, dass Menne ja noch während einer Versammlung am selben Tag ihr Konzept vorstellen werde. Vielleicht lag es ja daran, dass in diesem "Konzept" für Menschen kein Platz mehr ist.
2 Kommentare zu diesem Artikel
23.02.2013, 9:22 Uhr Maren Plaschnick: Geier Sturzflug - oder wie man dem Kranich die Federn rupft ...
Hier in Norderstedt 350 Arbeitsplätze der Steigerung des Shareholder-value zu opfern, zeugt nicht von unternehmerischer Weitsicht. Bereits vor Jahren hatte die LRS Teile nach Indien verlagert, um sie dann reumütig zurückzuholen, weil die erforderliche Präzision dort nicht erbracht wurde und Nachbesserungen die Leistungen letztlich teurer machten. Zudem bieten die "Lufthanseaten" in Norderstedt etwas, was von einem fremden Dienstleister einfach nicht zu erwarten ist: Das "Wir"-Gefühl, das Menschen befähigt, über sich hinauszuwachsen und sich auch in Krisenzeiten für ihr Unternehmen krumm zu legen - teilweise über Jahrzehnte.
Ich weiß von einem anderen international tätigen Unternehmen in Norderstedt, das die Produktion ihrer hochpreisigen Qualitätsinstrumente für den amerikanischen Markt vor Jahren nach Mexiko ausgelagert hatte, für den europäischen Markt Teile nach Schottland. Beide Auslagerungen mussten revidiert werden und wurden nach Norderstedt zurückgeholt, weil die erforderliche Qualität nur so zu halten war und damit auch den hohen Preis gerechtfertigt hat. Meist sind es ja neue Leute in der Führungsetage, die glauben, sie müssten und könnten das Rad neu erfinden. ...
In anderen Bereichen der Lufthansa wird man sicher aufmerksam registrieren, was jetzt mit den Mitarbeiter/innen der LRS geschieht und feststellen, dass sich Unternehmenstreue und überdurchschnittliche Leistungsbereitschaft über Jahrzehnte für Mitarbeiter/innen nicht auszahlt. Insofern wird letztlich der Gesamtschaden für die Lufthansa größer sein als die vorgebliche Einsparung durch Schließung der LRS.
Die in einem Kommentar hier als "Heuchler" bezeichneten Politiker repräsentieren, jenseits ihrer politischen Ideologien, ja zugleich auch die vielen Norderstedter Bürgerinnen und Bürger, deren Nachbarn, Freunde und Bekannte in der gleichen Straße, in Schulen und Sportvereinen jetzt von der Schließung der LRS betroffen und bedroht sind. Deshalb finde ich ihre Anteilnahme und ihren Protest genauso wertvoll wie von der SPD oder Der Linken. Denn das hat unsere Stadt bisher immer ausgezeichnet: Außerhalb der Stadtmauern und/oder in Zeiten der Not spielt die jeweilige Partei eine nachrangige Rolle. Dank an alle!
22.02.2013, 12:09 Uhr Anonymous: Heucheln bis zum Abwinken
Das sich die Beschäftigten, die nach monatelangem Hinhalten via Facebook und Email von ihrer Entlassung erfuhren, an diesem Tag nutzlos und überflüssig fühlten, kann man nachvollziehen. Wer 30 Jahre für seine Firma lebt und dann feststellt, dass dies Niemanden in der Konzernspitze interessiert, darf bei aller Naivität sicher restlos bedient sein.
Wer aber wirklich völlig überflüssig und nutzlos bei dieser Veranstaltung war, waren der Oberbürgermeister und seine Gesinnungsfreunde von CDU und FDP. Während Grote (nicht vergesen: CDU) noch mit sozialistischer Kampfrhetorik von Gewinnmaximierung auf dem Rücken der Mitarbeiter schwafelte und sich persönlich getroffen fühlte, weil ihm Steuergelde für seinen Haushalt flöten gehen, entrüstete sich CDU-Neufraktionsführer Leiteritz über „diese Sauerei“. Auch Klaus-Peter (der freie Markt wird es schon richten) Schroeder von der FDP, gab sich betroffen. Gerade die, die alles was nicht niet- und nagelfest in dieser Stadt ist, privatisieren wollen und seien es nur die Reinigungskräfte im Rathaus, ereifern sich über die konsequente Umsetzung des Kapitalismus.
Blöde nur, das man die Globalisierung eben nicht vor den Türen Norderstedts aufhalten kann. Wenn sich Sarah Wagenknecht absurderweise (oder war es wegen Karneval?) für die Soziale Marktwirtschaft des Ludwig Erhard einsetzen muss, zeigt dies, wie wenig die im Grundgesetz verankerte Verantwortung des Eigentums (Kapital) heute noch für die Entscheider von Bedeutung ist. Dass man mit realer Wertschöpfung, also ehrlicher Arbeit, eben nicht Gewinne in den kriminellen Größenordnungen erzielen kann, wie dies im virtuellen Finanzmarkt möglich ist, sollte jedem klar sein. Wer dies trotzdem zum Wohl der Aktionäre versucht, indem er sein wertvollstes Gut, seine Mitarbeiter entlässt, handelt nicht weniger kriminell.
Es ist Wahljahr! Heucheln gehört in diesen Tagen zum guten Ton der Politiker von rechts, selbst die Grünen wollen ja als Werte-konservative Partei eigentlich nur noch den Status Quo für sich erhalten. Auch in der SPD wird in Gabriel-fernen Kreisen schon wieder über die Soziale-Hängematte (Kerngedankengut der Sozialdemokratie) nachgedacht, wenn man in zukünftiger Regierungsverantwortung zu nachgiebig wird. Und die einzige parlamentarische Alternative, DIE LINKE, wird weiter brav von Springer und Bertelsmann abwechseln totgeschwiegen oder verteufelt, was ja auch gut funktioniert, wenn man sich die Selbstbeschäftigungsprozesse in der LINKEN ansieht.
Trotzdem: nicht einmal die SPD würde heute über Mindestlohn reden, gäbe es die LINKE nicht. Lafontaines Vorschläge zur Finanzmarkttransaktionssteuer waren vor wenigen Jahren noch Teufelszeug aus der unfähigen, sozialistischen Planwirtschaftskiste und ohnehin nicht zu machen, wenn nicht die ganze Welt mitspielt. Nun geht es auf einmal doch. Nur zwei Beispiele, wie man auch als eine vernünftig gebliebene Minderheit im Parlamentarismus etwas bewirken kann.
Das gilt auch für Norderstedt. Die paar Genossen, die da im Rathaus sitzen, haben eine Menge bewegt, in den letzten 5 Jahren. Da war es dann auch gut zu sehen, das die LINKE nicht heimlich im schwarzen Lodenmantel, sondern offen in schönstem rot am Mittwoch mit den designierten ehemaligen Mitarbeitern der LRS froh. Auch eine Form der Solidarität in Zeiten sozialer Kälte.