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Montag, 8. März 2004, 1:00 Uhr

8.März = ?

Anmerkungen zum internationalen FrauenLesbenkampftag in Norderstedt und überall

infoarchiv | Während inzwischen jede Partei die "Gleichstellung der Geschlechter" als Pflichtfach in ihr Programm mit aufnimmt, wird zeitgleich durch die rot/grüne Bundesregierung an Hand der aktuellen Reformen eine Politik betrieben, die die reale Benachteiligung der Frauen noch verschärfen wird.
Während die Gleichstellungsstellen des Kreises Segeberg zum 8. März mit einer Revueveranstaltung im Festsaal am Falkenberg einen bissigen Rückblick auf "50 Jahre Gleichberechtigung" werfen, wie der "Heimatspiegel" titelt, wird im Kreis gerade den Fraueneinrichtungen der Garaus gemacht. Die vom Segeberger Kreistag beschlossenen Einsparungen von 45.000 Euro bedrohen sowohl das "Frauenzimmer" in Segeberg, als auch den "Frauentreffpunkt" in Kaltenkirchen. Dass die "Norderstedter Frauenberatungsstelle und Notruf" und das Frauenhaus unangetastet blieben, war keine Selbstverständlichkeit, sondern auch darum musste gerungen werden.

Einige FrauenLesben aus Norderstedt und Hamburg haben ihre Fragen und ihr Unbehagen zu einem "internationalen Frauenkampftag", dem vielerorts die Begriffe "international" und "Kampf" abhanden gekommen sind, in einem Flugblatt für die 8.März Demo in Hamburg zusammengefasst, welches wir hier im Folgenden dokumentieren :

"The same procedure as every year...?"
Hunger nach einem revolutionären internationalistischen FrauenLesbenKampftag!

8.März = Feministischer Gewohnheitstag ?!
Kennst Du das Gefühl nach einer 8.März- Demo nach Hause zu fahren, ernüchtert irgendwie, ungesättigt. Und Du stellst Dir die Frage, was Du denn erwartest hast von einem 8. März. Und vielleicht fährst Du nach Hause mit der Erkenntnis, dass es gar nicht viel ist, was Du erwartest hast.
Der 8. März ist halt so ein Tag, an dem frau auf die Straße geht. Und das ist ja auch gut so und das wird ja auch schon fast hundert Jahre so gemacht. Und früher hieß der 8. März auch noch internationaler Frauenkampftag, heute heißt er für gewöhnlich schlicht "Frauentag". Und das klingt bescheiden und lieb. Das klingt nach Muttertag, Ostertag, Vatertag, Valentinstag, Feiertag. Klingt nach Verpflichtung und Ritual. Nach einem Kreuz im Kalender, um dann wieder zur Tagesordnung zurückkehren. Was also groß erwarten?
Geht es Dir auch so? Kennst Du das Gefühl, dass Du am 8. März auf die Demo gehst, weil frau am 8. März auf die Demo geht, und Du hast das Gefühl, dass die Demo erwartet wird, das niemand aber erwartet, dass die Demo etwas bewirkt. In einer Zeit, wo doch alle mitlaufen könnten, wo doch selbst die konservativste Partei die "Frauenfrage" als nötiges Pflichtfach behandelt.
Wir befinden uns schließlich in einer Zeit, in der die Gleichstellung der Geschlechter scheinbar auf einen gesellschaftlichen Konsens trifft, während das HERRschende Patriarchat unangefochten bleibt. Wir befinden uns in einer abstrusen Zeit, in der Kriege angeblich geführt werden, um (unter anderen) unterdrückte Frauen zu befreien, während frauenlesbenspezifische Fluchtgründe in Deutschland nach wie vor kein anerkannter Grund sind, Asyl zu gewähren, während die Grüne Politikerin Angelika Beer Bordelle für deutsche Soldaten fordert, während Vergewaltigung im Krieg nach wie vor nicht als Kriegsverbrechen gilt...

8.März = Feministischer Winterschlussverkauf?!
In einer Zeit, in der Feminismus im besten Fall für viele ein ozeanischer, schwer zu fassender Begriff und für andere wiederum ein Schimpfwort ist, welches für Lustfeindlichkeit steht, für Verbitterung, für etwas Überholtes, funktioniert der Begriff Feminismus andererseits als Ware ganz ausgezeichnet.
Was nur logisch ist: Wenn es möglich ist, Gesundheit zu vermarkten und Wasser und Körper und Angst und Krieg, wäre es doch auch seltsam, wenn es nicht gelänge, auch Feminismus zu vermarkten. Wir befinden uns in einer Zeit, in der frau, wenn sie als Suchbegriff im Internet den "Frauentag" 2004 in Hamburg eingibt, kaum brauchbare Treffer erzielt, und keine ihrer Freundinnen weiß, wo und wann Vorbereitungstreffen stattgefunden haben. Und gleichzeitig befinden wir uns in einer Zeit, in der jeder Mensch dem "Frauenthema" in jedem Buchladen begegnet, wo in speziellen Regalen "Frauenbücher" angeboten werden. Und sie begegnet "Frauenslogans" an jedem Postkartenständer, wo neben Michelabbildungen und Pin-up-Girls Karten mit "Frauenpower" der Renner sind.

8. März = Um die Brotkrumen der HERRschaft feilschen?!
Bleibt die Frage, wie dem internationalen FrauenLesbenKampftag die Begriffe "international" und "Kampf" abhanden kommen konnten. Bleibt die Frage, wo die Empörung geblieben ist und der Hunger, etwas bewirken zu wollen, sichtbar zu bleiben, wütend, gehört, aufdringlich, unbequem, laut, fordernd.
Oder halten wir nur noch fest und verteidigen die erstürmten Nischen an Fraueneinrichtungen- und Hilfen, die Generationen von FrauenLesben in den patriarchalen Dickicht geschlagen haben und die jederzeit wieder zuwuchern können, wenn frau nur eine Sekunde unaufmerksam geworden ist?
Und bleibt die Frage, wer dieses "Wir" überhaupt ist und sein soll. Wo sind gemeinsame Interessen aller FrauenLesben, wo unterscheiden diese sich oder widersprechen sich gar offen. Wo ist das "Wir" wenn deutsche Politikerinnen Asylbewerberinnen in Hunger, Folter und Tod abschieben lassen, sich an Kriegsvorbereitung und Sozialabbau beteiligen?
Welche konkrete und praktische Bedeutung haben dann Aussagen wie "Ich bin nicht frei, solange noch ein einzige Frau unfrei ist"? Mit wem demonstrieren wir denn am 8.3 in Hamburg und mit wem nicht? Woran liegt es, dass wir heute vor allem in die weißen Gesichter deutscher nicht behinderter nicht obdachloser Frauen blicken?
Ist es in Hamburg überhaupt noch angesagt, auf einem internationalen FrauenLesbenKampftag etwas anderes zu fordern als die Teilhabe an männlichen, weißen westeuropäischen Privilegien?

8. März = Und plötzlich sind wir alle Schwestern?!
Bleibt die Frage, ob es Dir nicht auch so geht am Ende des 8. März, dass Du nach Hause fährst, mit mehr Fragen als Antworten. Ohne satt zu sein. Uns geht es zumindest so.
Wir sind...
...eine Gruppe von FrauenLesben, die sich nicht mehr nur einzeln und jede für sich durch den patriarchalen Dschungel zwischen einem 8.März und dem nächsten schlagen wollen. Uns reicht auch keine vermeintliche Versüßung dieses frauenlesbenfeindlichen Alltags durch Postkarten-pseudo- Feminismus a la "Was wäre diese Welt ohne Männer?- Nichts als glückliche, dicke Frauen!"
Wir wollen mehr als einmal im Jahr einträchtig alle "Schwestern sein".
Wir wollen wissen, was unsere, eure Visionen und Utopien sind, wie und wo sie sich unterscheiden. Wir wollen wissen, wie eine politische feministische Alltagspraxis zwischen zwei 8.3 aussieht.
"Nichts als glückliche, dicke Frauen?". Wie sieht denn die Gesellschaft aus, in der beispielsweise diese glücklichen Frauen leben sollen, was ist mit Klassenunterschieden, Grenzen, Privateigentum, rassistischer und andere Ausgrenzung, Behinderung?
Es sind viele Fragen, die wir haben, deshalb wollen wir euch kennenlernen, mit euch diskutieren, uns austauschen und streiten.

Ihr könnt euch bei uns melden :
Frauenlesbengruppe Hamburg
Co/ Infoarchiv Norderstedt
Waldstr.: 41
22846 Norderstedt
Tel.: 040/ 55 40 39 90 (Dienstags von 17 - 20 Uhr)
frauenlesbengruppe@gmx.net
www.frauenlesbengruppe.de.vu

"FrauenLesbenKampftag": Anmerkungen zu einem Begriff
Wir benutzen in unserem Flugblatt den Begriff "FrauenLesben". In der heterosexuellen Norm bedeutet das Wort "Frau" meist automatisch Hetero-Frau. Alle, die sich nicht dieser Norm unterwerfen werden also ausgeklammert und als "nicht-normal" diskriminiert.
Die Verwendung des Begriffs "FrauenLesben" ist also eine Forderung, um auf die Diskriminierung/Marginalisierung von Lesben auch innerhalb der FrauenLesbenBewegung aufmerksam zu machen. Genau diese Begrifflichkeit (Frau) stellte und stellt der Diskurs über Geschlechterkategorien und Dekonstruktivismus seit einigen Jahren in Frage, in dem er die feste Rollenzuschreibung von Mann und Frau auflöst, sie als konstruiert entlarvt. Damit bietet er FrauenLesben die Möglichkeit, sich aus festen Rollenzuschreibungen zu lösen und sich mehr Freiheit zu schaffen, birgt aber auch die Gefahr, die FrauLesbe als Subjekt des Befreiungskampfes zu verlieren, da sie nur als Konstrukt erscheint. Dieser meist universitär geführte Diskurs kann damit auch die höchst reale Unterdrückung von FrauenLesben, wie etwa niedrigere Löhne, Armut etc. verschleiern. Um den Befreiungskampf gegen die patriarchale Unterdrückung führen zu können, muss der Begriff "FrauLesbe" (wieder) politisch gefüllt werden, nicht als verschleierndes "Wir-Gefühl" oder weitere Konstruktion von Geschlechterkategorien, sondern als kämpfendes Subjekt!

Veröffentlicht in Frauen/Feminismus mit den Schlagworten Infoarchiv, Norderstedt