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Montag, 9. Mai 2005, 2:00 Uhr

" ... alles machen, damit sie auch hier bleiben"

Merdiye Erman (18) im "Gegenwind"-Interview

Von Olaf Harning | Noch am 17. Februar selber hatte der für sie zuständige Sachbearbeiter nicht einmal ihre Duldung verlängern wollen. Erst der Brief des Schleswig-Holsteinischen Innenministers Klaus Buss änderte den Sachverhalt wundersam. Zuvor war die gesamte Familie Erman nicht nur monatelang der Ausländerbehörde in Bad Segeberg ausgeliefert, sondern sah sich zudem mit einer Gruppe junger Neonazis in Itzstedt konfrontiert - damals Wohnort der Ermans. Die zeitweise täglich (!) vor dem Haus der Familie auftauchenden Jungnazis riefen stets ungestört rassistische Parolen und machten selbst vor Gewalt gegen die Mutter der damals 16jährigen Merdiye nicht Halt. Erst Aktionen Hamburger und Norderstedter AntifaschistInnen, sowie der örtlichen Kirchengemeinde Nahe beendeten diesen Spuk weitesgehend.

Am 17. Februar erhielt Merdiye Erman einen Brief des Innenministers persönlich, der Merdiye Erman ein Bleiberecht von mindestens zwei Jahren einräumte. Nun fürchtet sie um das Aufenthaltsrecht ihrer Familie, mit der sie mittlerweile in Seth (ebenfalls Kreis Segeberg) lebt.

Gegenwind
Wie war Dein 18. Geburtstag?

Merdiye Erman
Das war nicht so toll. Ich hatte Angst, dass jemand kommt und mich holt. Ich hatte eine Duldung, auch lange schon. Unser Asylverfahren wurde abgelehnt, weil sie uns nicht geglaubt haben. Sie haben gesagt, Ihr könnt wieder zurück in die Türkei. Es wäre da wieder besser geworden, es gibt angeblich keine politischen Gründe mehr, um hier zu bleiben. Die Duldung haben wir bekommen, weil mein Vater sehr krank ist und eine Therapie macht. Ich habe vier Monate vor meinen 18. Geburtstag einen Brief bekommen, dass ich am Geburtstag abgeschoben werde. Ich hatte mich vorher nicht richtig damit beschäftigt. Für mich war das ein Schock.

Gegenwind
Erinnerst Du Dich an das Leben in der Türkei?

Merdiye Erman
Eigentlich schon, aber ich möchte mir nicht mehr vorstellen, wie es da ist. Die ganzen Erinnerungen kommen wieder hoch, wenn solch ein Brief kommt. Es war einfach zu schrecklich. Ich war neun Jahre alt, als wie aus unserem Dorf flohen. Es wurde von der Armee überfallen und niedergebrannt. Wir flohen erst nach Istanbul, dort konnten wir auch nicht bleiben, und dann nach Deutschland.

Gegenwind
Wie groß ist Eure Familie?

Merdiye Erman
Wir sind sieben Geschwister. Ich bin die Älteste, die Jüngste wird in ein paar Tagen vier Jahre alt.

Gegenwind
Was hast Du unternommen, als Du den Brief bekommen hast?

Merdiye Erman
Ich habe zuerst gar nichts gemacht. Ich habe dann angefangen, meinen Freundinnen in der Schule davon zu erzählen. Die haben das auch zuerst nicht geglaubt. Sie haben das gelesen, und dann haben sie mir gesagt, dass wir was machen müssen. Sie haben dann angefangen, Unterschriften zu sammeln, und dann haben sich auch Lehrer daran beteiligt. Sie haben bei der Zeitung angerufen, beim Fernsehen. Es gab dann Artikel in den Zeitungen in Segeberg, die zu den Kieler Nachrichten gehören, und in Norderstedt, die Zeitung gehört zum Hamburger Abendblatt. Und dann kam zufällig der Innenminister in unseren Ort, aus einem ganze anderen Grund, da haben wir eine kleine Demonstration organisiert. Ich konnte ihm einen Brief mit Unterschriften persönlich übergeben. Herr Buss hat eine Viertelstunde mit mir und den anderen aus meiner Klasse gesprochen. Hinterher hat er mir noch einen Brief geschrieben, das war im September oder Oktober vom vorigen Jahr und geschrieben, dass es auch bald eine Härtefallregelung gibt.

Gegenwind
Wie hast Du von der Härtefallkommission erfahren?

Merdiye Erman
Die ersten Informationen und die Fragen für einen Antrag habe ich vom

Gegenwind bekommen. Ich habe dann die Fragen beantwortet, seit wann ich hier bin, was ich mache, welchen Beruf ich lernen will und warum für mich ein Leben in der Türkei nicht möglich ist. Ich weiß nicht, warum die Ausländerbehörde glaubt, dass ich als Mädchen dort ohne meine Eltern, ganz alleine leben kann. Das habe ich alles meinem Rechtsanwalt geschickt.

Gegenwind
Die Härtefallregelung galt ja im Herbst noch nicht, erst seit dem 1. Januar 2005. Wie war die Wartezeit bis dahin?

Merdiye Erman
Ich hatte die ganze Zeit Angst, dass jemand kommt und mich mitnimmt. Ich konnte nicht einschlafen, meinen Eltern ging es genauso. Die konnten sich überhaupt nicht vorstellen, dass die Tochter alleine in der Türkei ist und sie nichts tun können.

Gegenwind
Welche Funktion hast Du denn in der Familie?

Merdiye Erman
Ich bin die älteste Tochter. Ich muss meiner Mutter bei der Hausarbeit helfen, ich muss auf die kleineren Geschwister aufpassen, und ich muss für meine Eltern alles Dolmetschen, beim Arzt, bei den Behörden. Ich muss auch für viele andere Verwandte Dolmetschen, meine Tante ist sehr krank, sie hat einen Tumor. Mein Vater ist auch sehr krank, psychisch, und ohne mich würde er alles nicht schaffen. Und dieses Dolmetschen mache ich, seit ich hier in Deutschland bin, seit acht Jahren. Es gibt inzwischen auch viele Sachen, die ich nicht mehr dolmetsche, sondern ich gehe alleine zu den Behörden, wenn meine Eltern irgend was brauchen.

Gegenwind
Hattest Du in der Wartezeit Kontakt mit der Ausländerbehörde? Haben die etwas gegen Dich unternommen?

Merdiye Erman
Ich war öfter da und wollte mit ihnen reden. Aber sie haben sich geweigert, mit mir zu sprechen. Sie haben gesagt, dass sie nur mit unserem Anwalt reden wollen.

Gegenwind
Hast Du von anderen Abschiebungen gehört? Konntest Du Dir vorstellen, wie das ist?

Merdiye Erman
Ich habe von einigen gehört, die abgeschoben wurden, als sie 18 waren. Sie wurden an dem Tag abgeschoben, als sie Geburtstag hatten. Ich kann mir das nicht richtig vorstellen, das ist bestimmt schrecklich.

Gegenwind
Hat die Härtefallkommission denn dann auf Deinen Brief geantwortet?

Merdiye Erman
Ich habe erst die Fragen vom Gegenwind benutzt, dazu habe ich ungefähr acht Seiten handschriftlich geschrieben. Eine Freundin hat ein bisschen geguckt, damit ich keine Rechtschreibfehler mache. Der Rechtsanwalt fand das gut und hat es an das Innenministerium geschickt. Das war, glaube ich, im Dezember. Dann kam ganz schnell ein Brief vom Innenministerium. Die hatten noch mehr Fragen. Ich sollte schreiben, warum ich den Preis von unserer Schule bekommen habe. Das war, weil ich in der Schule sehr gut war. Sie wollten einen Beleg haben. Und sie wollten Kopien von meinen Zeugnissen haben. Und dann wollten sie noch wissen, was ich zur Zeit mache und was meine beruflichen Ziele sind. Ich will etwas mit Medizin machen, Krankenschwester oder Ärztin werden. Ich mache jetzt meinen Realabschluss und will dann Abitur machen. Meine Lehrerin sagt, dass ich das kann, und ich schaff das auch. Und ich habe schon ein Praktikum gemacht, vier Wochen im Krankenhaus in Borstel. Und die haben mir auch schon eine Stelle zugesagt. Ich mag gerne mit Menschen Kontakt haben, ich helfe gerne anderen. Das habe ich alles aufgeschrieben und an das Innenministerium geschickt, mit allen Kopien.

Gegenwind
Wann kam die Antwort?

Merdiye Erman
Da habe ich noch mal lange gewartet. Und dann kam eine Antwort, das war am 16. Februar. Ich sah, dass der Brief von der Härtefallkommission kam, aber ich hatte Angst ihn aufzumachen. Aber dann habe ich ihn aufgemacht und erst mal den letzten Satz gelesen, weil da immer steht, warum der Brief kommt. Und da stand persönlich von Klaus Buss, mit Hand geschrieben, dass er sich noch an mich erinnern kann, und er freut sich sehr, dass er mir helfen konnte. Und dass ich hier bleiben kann. Ich habe nur geschrieen vor Freude, und dann habe ich alle angerufen. Alle Freunde, meine Lehrerin, und alle haben sich gefreut. Mein Lehrer hat sogar geweint. Mein Vater hat gearbeitet, der hat es erst gar nicht geglaubt, dass der Innenminister selber schreibt. Er hat geglaubt, dass ich einen Witz machen will. Aber dann habe ich auch wieder an meine Familie gedacht. Der Brief war nur für mich, nur ich darf hier bleiben. Ich weiß nicht, was ich machen soll, wenn meine Familie weggehen muss. Dann bin ich auch wieder alleine.

Gegenwind
Was macht Ihr denn, denn der Rest der Familie ausreisen muss? Bleibst Du dann hier?

Merdiye Erman
Ich weiß es nicht. Ich möchte nicht alleine leben. Eigentlich ist mir egal, was mit mir passiert. Ich möchte nur mit meiner Familie zusammen bleiben.

Gegenwind
Wie hat die Ausländerbehörde reagiert?

Merdiye Erman
Ich musste ja am 17. Februar meine Duldung verlängern. Ich war da, aber die sagte, sie haben die neuen Formulare für die Duldungen noch nicht da. Ich kann keine Verlängerung bekommen. Ich habe dann den Brief vom Innenminister gezeigt, und dann musste ich warten, und dann musste ich meine Größe und meine Augenfarbe sagen. Und zehn Minuten später haben sie mir meinen türkischen Pass zurück gegeben, den hatten sie mir vor ein paar Jahren weggenommen. Sie hatten solch einen Brief vom Innenminister noch nie gesehen. Und dann habe ich eine Aufenthaltserlaubnis für zwei Jahre bekommen, bis 2007. Und sie haben gesagt, man kann dann weiter verlängern. Jetzt soll ich zum Konsulat, um meinen türkischen Pass zu verlängern.

Gegenwind
Wie geht es jetzt weiter?

Merdiye Erman
Ich muss mich jetzt um meine Eltern und Geschwister kümmern. Ich werde alles machen, damit sie auch hier bleiben.

Merdiye Erman (18)