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Samstag, 16. November 2002, 1:00 Uhr
Großrazzia bei den Stadtwerken
Skandal weitet sich aus
Günther Hormann - Norderstedter Zeitung | 56 Beamte der Staatsanwaltschaft und des Landeskriminalamtes durchsuchten 16 Büros und Wohnungen. Neun Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet
Norderstedt - In einer groß angelegten Razzia haben Beamte der Kieler Staatsanwaltschaft und des Landeskriminalamtes die Norderstedter Stadtwerke durchsucht und umfangreiches Beweismaterial beschlagnahmt. Zeitgleich wurden 16 Dienst-, Privat- und Firmengebäude in Norderstedt durchsucht - auch die Büroräume des Erlebnisbades "Arriba", Privatwohnungen und drei Norderstedter Handwerksfirmen. Ingesamt rückten 56 Beamte an - zehn Staatsanwälte, sechs Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft und 40 Kripobeamte des Landeskriminalamtes.
Sie prüfen den Verdacht der Korruption. "Wir haben Ermittlungsverfahren gegen neun Personen eingeleitet", bestätigte Oberstaatsanwalt Uwe Wick der Norderstedter Zeitung auf Anfrage. Nach Auskunft von Wick besteht ein Anfangsverdacht wegen Bestechung, Bestechlichkeit, Betrug und Untreue sowie Beihilfe zu diesen Straftaten. Die Ermittlungsverfahren richten sich nicht nur gegen die Leiter der Stadtwerke, Volker Hallwachs und Axel Gengelbach, sondern auch gegen weitere leitende Mitarbeiter der Stadtwerke, einen freiberuflichen Architekten und drei Inhaber Norderstedter Firmen, die für die Stadtwerke tätig waren. Die Razzia und die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gehen auf eine Strafanzeige zurück, die ein Norderstedter Bürger im Sommer erstattet hatte. Er bezog sich auf den Prüfungsbericht des städtischen Rechnungsprüfungsamtes (RPA). Das RPA hatte erhebliche Missstände bei den Stadtwerken festgestellt.
Die Norderstedter Zeitung berichtete erstmals am 26. Juni über geschäftliche Verquickungen zwischen Stadtwerken und "wilhelm.tel", Auftragsvergaben ohne öffentliche Ausschreibungen und sehr großzügige Ausgaben der Stadtwerke. Schon im September führte die Staatsanwaltschaft Vorermittlungen in Norderstedt (die NZ berichtete). Dabei sei ein finanzielles Geflecht zwischen Stadtwerken und Handwerksfirmen festgestellt worden, so Oberstaatsanwalt Wick. Dass Schmiergelder an den kaufmännischen Werkleiter Hallwachs und den technischen Leiter Gengelbach geflossen seien, wie die Deutsche Presse-Agentur meldet, wollte Wick nicht bestätigen. Jetzt kamen die Beamten mit richterlichen Beschlüssen. "Wir haben umfangreiche Beweisunterlagen sichergestellt und werden das Material jetzt auswerten", sagte Wick. "Die Beamten haben kistenweise Akten und Computer herausgeschleppt und auf einen großen Lastwagen geladen", berichtete ein Beobachter. Bürgermeister Hans-Joachim Grote, der in Grevesmühlen (Mecklenburg-Vorpommern) an einer Sitzung des Städtebundes teilnahm, wurde telefonisch über die Großrazzia informiert. Er kam sofort nach Norderstedt zurück und führte Gespräche mit dem ermittelnden Staatsanwalt. "Es gibt eine sehr enge Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft und auch mit der Kommunalaufsicht des Innenministeriums", sagte Grote. Nach den aktuellen Ereignissen kam am Freitag um 17 Uhr der Hauptausschuss im Rathaus zu einer Sondersitzung zusammen, in der Grote die Politiker über die Vorgänge informieren wollte. "Wir werden jetzt prüfen, ob auf Grund der Ermittlungen und des Anfangsverdachtes arbeits- und disziplinarrechtliche Konsequenzen gezogen werden müssen."
Stadtwerke-Chef Volker Hallwachs hatte mehrfach versucht, die Prüfungen durch das RPA, die ersten in diesem Umfang seit 32 Jahren, zu verhindern. Bei mehreren Gutachtern holte er sich juristischen Beistand. Im August zog Hallwachs so- gar vor das Verwaltungsgericht Schleswig und verklagte die Stadt Norderstedt, seinen Arbeitgeber, verlor allerdings. Per einstweiliger Anordnung wollte Hallwachs die von Bürgermeister Grote für den 12. August angeordnete Prüfung des Geschäftsjahres 2001 verbieten lassen, nachdem im Bericht für 2000 erhebliche Mängel gerügt worden waren. Der 238 Seiten umfassende Prüfbericht 2000 liegt der Norderstedter Zeitung vor. Undurchsichtig sind dem RPA-Bericht zufolge die Auftragsvergaben durch die Stadtwerke und das "Arriba". In den meisten Fällen sei auf eine öffentliche Ausschreibung verzichtet worden, und eine gründliche Rechnungsprüfung habe es auch nicht immer gegeben, kritisierte das Prüfungsamt.
Ein besonders krasser Fall sind die Abrechnungen eines freischaffenden Architekten aus Norderstedt. Auch gegen den Architekten ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft. Der Architekt schickte den Stadtwerken jeden Monat eine Abschlagsrechnung über 20 000 Mark plus Mehrwertsteuer. Im Einzelnen rechnete er später konkret ab - bis zu 59 951,12 Mark im Oktober 2000. Das RPA hat Zweifel, ob der Architekt so viel für die Stadtwerke gearbeitet haben kann. "Bei einem Aufwand von bis zu 370 Stunden je Monat hat der Auftragnehmer jeden Tag einschließlich Samstag und Sonntag über zwölf Stunden ausschließlich für die Stadtwerke Leistungen erbracht. Das RPA stellt dies in Frage", heißt es im Prüfbericht. Das RPA zog einen Vergleich: Hätten die Stadtwerke einen Ingenieur und einen Techniker angestellt, statt den Architekten zu beauftragen, wären nur Kosten von monatlich 21 400 Mark entstanden. Kritik übt das RPA auch im Zusammenhang mit dem "Siesta im Arriba". Betreiber der Gastronomie im Erlebnisbad ist Peter Hallwachs, der Sohn des Stadtwerke-Chefs. Bei der Verpachtung habe es kein Auswahlverfahren gegeben. Die Stadtwerke, "wilhelm.tel" und das "Arriba" bezahlten laut RPA im Jahr 2000 Bewirtungsrechnungen des "Siesta"-Restaurants über rund 452 000 Mark, das "Arriba" allein 138 000 Mark.
Nach der Razzia zogen gestern Mittag 200 Mitarbeiter der Stadtwerke zum Rathaus. Sie demonstrierten für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Der Personalratsvorsitzende der Stadtwerke, Wilfried Bäumler (52), appellierte an die Politiker: "Bitte nehmen Sie unser Unternehmen aus der öffentlichen Diskussion. Setzen Sie sich für die Beschäftigten ein." Den Stadtwerken drohe ein erheblicher Image- und wirtschaftlicher Schaden. Bäumler: "Wer arbeitet, macht auch Fehler."