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Dienstag, 17. April 2012, 15:46 Uhr
Jobcenter: Neue Mietobergrenzen verunsichern weiter Leistungsbezieher
Auch nach Kreis-Sondersitzung besteht weiter Klärungsbedarf
Hans-Georg (Felix) Becker | Der Streit um die neuen Mietobergrenzen für die Kosten der Unterkunft von Leistungsbeziehern des Jobcenters geht weiter. Für den 3. Mai ist eine weitere Sitzung des Kreis-Sozialausschusses angesetzt. Grund genug für Miro Berbig, den Norderstedter Fraktionsvorsitzenden der Partei DIE LINKE, in einer zynisch-provokanten Stellungnahme auf die Folgen für die betroffenen Menschen hinzuweisen. „Jobcenter Norderstedt im Kreis Segeberg beseitigen Armut in Norderstedt“ betitelt er die Pressemitteilung seiner Fraktion.
Das Ziel einer derart menschenverachtenden Politik umschreibt Berbig bissig: „Endlich mal eine gute Nachricht: Demnächst wird es keine Sozialhilfe-und Hartz IV-Empfänger mehr in Norderstedt geben.“
Hintergrund ist die Tatsache, dass nach einem vom Kreis in Auftrag gegebenen Gutachten (Kosten 28 000 Euro) die Mietobergrenzen neu festgelegt wurden. Die Realität missachtend, die durch dieses Gutachten eigentlich abgebildet werden sollte, wurden diese Grenzen, bis zu denen die Miete für Leistungsbezieher übernommen wird, für Norderstedt abgesenkt. So darf z.B. eine Wohnung für eine Bedarfsgemeinschaft statt 665 Euro nun nur noch 581 Euro monatlich Kosten. Selbst Fachleuten des Norderstedter Wohnungsunternehmens Plambeck erschließt sich das Ergebnis des Gutachtens nicht (wir berichteten). Durch die neuen Mietobergrenzen seien sogar viele Sozialwohnungen der Stadt „zu teuer„ geworden. Der Druck auf den Wohnungsmarkt sei so stark, dass eine Verdrängung ins Umland befürchtet wird.
Und genau da setzt Berbig´s Kritik an: „Der eigentliche Skandal dabei ist, dass es hier nicht darum geht, den betroffenen Menschen endlich wirkungsvoll zu helfen, sondern lediglich darum, sie aus der Stadt zu verdrängen.“ In der Norderstedter Zeitung wird berichtet, das auch die Norderstedter Sozialdezernentin Anette Reinders das Gutachten kritisch sieht: „In der Stadt gibt es nicht annähernd ausreichend günstige Wohnungen für eine Umsiedlung.“ Die Zahl der in Frage kommenden Bedarfsgemeinschaften wird mit 500 beziffert, was – je nach Anzahl der Personen in dieser Gemeinschaft – gleichbedeutend mit mehreren Tausend betroffenen Menschen ist. Reinders sieht das Problem fehlender Wohnungen durch den Druck aus Hamburg noch verstärkt: Wer dort keinen bezahlbaren Wohnraum findet, dränge ins Umland. Für die Sozialhilfeempfänger der Stadt sagt die Zweite Stadträtin nach dem Bericht der NZ zu: „Wir werden die Menschen jedenfalls nicht aus ihrer gewohnten Umgebung vertreiben und auffordern, sich eine neue Bleibe zu suchen.“
Da geht das Jobcenter ganz anders vor. Anfang des Jahres schrieb das Jobcenter des Kreises Segeberg, von seinem Standort in Norderstedt aus, die betreffenden Leistungsbezieher an und teilte ihnen mit, dass ihre derzeitigen Mieten den angemessenen Betrag überschreiten würden. Als ob die Geschäftsführung des Jobcenters dem Gutachten selber nicht traut, wird den Leistungsbeziehern lediglich „geraten“, sich umgehend um die Senkung ihrer Unterkunftskosten zu bemühen. Die Bemühungen sollen nach Ablauf eines Jahres nachgewiesen werden. Bemühen heißt dabei „mindestens acht ernsthafte und intensive Mietgesuche in einem Monat“ zu schreiben. Dass dieser „Rat“ in dieser Form überhaupt keine rechtlich bindende Wirkung hat, erschließt sich natürlich nicht jedem. Die Verunsicherung der Leistungsbezieher ist aber vom Jobcenter sicherlich eiskalt einkalkuliert. Denn wer sich nun aus Angst das gewohnte Umfeld verlassen zu müssen hilfesuchend an das Jobcenter wendet, tappt prompt in die aufgestellte Falle: Wer seine Wohnung und damit sein gesamtes soziales Umfeld für sich und seine Kinder nicht so einfach aufgeben will, bekommt sofort die Leistungen gekürzt.
Die ganze Verfahrensweise ist skandalös, da ein in Teilen derartig schwammig formulierter Brief die Möglichkeit des Widerspruchs nicht einschließt. Die Intention, durch das Gutachten zu einer größeren Rechtssicherheit bei der Beurteilung der Kosten der Unterkunft zu kommen, wird alleine dadurch ad absurdum geführt. Die Kreistagsfraktion der LINKEN hatte vor diesem Gesamthintergrund beantragt, eine einmal anerkannte Gewährung der Erstattung von Kosten der Unterkunft für ein und dieselbe Wohnung nicht zu kürzen, nur weil der Wohnungsmarkt sich verändert hat. Außerdem sollte die Praxis des Jobcenters, die Differenz zu den neuen Obergrenzen von der Grundsicherung abzuziehen eingestellt werden. Dieser Antrag fand zwar (noch) keine Mehrheit, aber das Unbehagen über den derzeitigen Sachstand scheint groß zu sein. Sonst würden sich die KreistagspolitikerInnen am 3. Mai nicht zum vierten Mal mit dem Thema beschäftigen.
Miro Berbig greift die Gesamtproblematik zum Schluss seiner Pressemitteilung noch einmal auf und spannt den Bogen der Betroffenen weiter. Demnach soll Armut schlichtweg in die Randgemeinden verdrängt werden: „Offenbar hat man es längst aufgegeben zu helfen, jetzt wird Armut versteckt. Ich bin mal gespannt, wie wir uns dann in Zukunft unseren alleinstehenden, älter gewordenen Menschen entledigen werden. Auch hier wird es ja eine Vielzahl von Rentnern geben, die dann keine ausreichende Unterstützung mehr bekommen werden, wenn sie sich ihre Wohnung nicht mehr leisten können. Vielleicht ist das ja ein Konzept, um die Stadt zu verjüngen“, so Berbig desillusioniert.
Aktualisierung vom 20.04.2012: Nach Informationen des Infoarchivs ist die Sozialdezernentin in der Presse nicht korrekt zitiert worden. Auch die Stadt ist demnach gesetzlich verpflichtet, bei vorliegen bestimmter Voraussetzungen, Menschen zum Umzug aufzufordern. Allerdings sind nach dem SGB XII oftmals Gründe vorhanden, die dazu führen, dass die Menschen nicht umziehen müssen (z.B. weil sie an chronischen Krankheiten leiden oder behindert sind).
Ein Kommentar zu diesem Artikel
15.05.2012, 14:26 Uhr Anonymous: Die Sozialgesetzgebung bietet
Die Sozialgesetzgebung bietet seit letzem Jahr die Möglichkeit der Einreichung einer Feststellungsklage gemäß § 55a SGG (zur Feststellung der Ungültigkeit von Satzungen oder Rechtsvorschriften wie hier die willkürliche Festsetzung einer Mietobergrenze) direkt beim zuständigen Landessozialgericht,
und dort kann man bei bereits eingetretenen schweren Nachteilen direkt auch einen Antrag auf einstweilige Anordnung stellen, siehe §55a Abs. 6 SGG.
Zu den Aufforderungen zum Umzug bzw. Suche einer anderen Wohnung:
Es handelt sich bei solchen "Umzugsaufforderungen" oder auch "Aufforderungen zur Mitwirkung" um sogenannte !!! Realakte !!! gegen die man eine Feststellungsklage gemäß § 55 SGG beim Sozialgericht einreichen kann, und wenn einem schon Nachteile daraus erwachsen sind ist auch zusätzlich der Antrag auf eine einstweilige Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 SGG (Eilverfahren/Eilklage) beim zuständigen Sozialgericht möglich.
Zu beachten ist dabei insbesondere der § 65 SGB I, Grenzen der Mitwirkung, über den sich die Jobcenter mit schöner Regelmässigkeit einfach hinweg setzen, und die "Kundschaft" mit diversen rechtswidrigen Drohbriefen eindecken, wie es auch in diesem Fall zu beobachten ist.
Das sog. "Bildungspaket" war auch ein noch ziemlich aktuelles Beispiel, bei dem sich heraus gestellt hat, das diese illegale Methode der Jobcenter dazu geführt hat, dass die meisten Betroffenen davor zurück schrecken überhaupt noch etwas zu beantragen, weil ihnen sofort in diesen Mitwirkaufforderungen mit totaler Zahlungseinstellung gedroht wird, sobald sie einen Antrag auf Zuschüsse stellen. Das sind die üblen Tricks, die sehr wahrscheinlich von ganz Oben so erdacht worden sind, damit sich solche Politiker wie von der Leyen mit geheuchelter Menschenfreundlichkeit im Blitzlichtgewitter sonnen können, indem sog. Hilfspakete geschnürt werden, aber im Hinterzimmer schon längst Horden von Referenten ausbaldovert haben, wie man die Hilfebedürftigen effektiv davon abhält, ihre Anspriüche darauf überhaupt geltend machen zu können.