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Donnerstag, 20. Mai 2004, 2:00 Uhr

Letzter Ausweg Suizid

Allein im April drei Selbstmordversuche im Abschiebeknast Fuhlsbüttel

Von Birgit Gärtner aus Lokalberichte Hamburg | Wie erst Anfang dieser Woche bekannt wurde, erhängte sich der Kurde Orhan B. am 19. April 2004 in seiner Zelle mit seinen Schnürsenkeln. Mit dieser Verzweiflungstat wollte er sich der Auslieferung an seine türkischen Peiniger durch die Hamburger Innenbehörde entziehen. Orhan B. liegt seitdem mit der Diagnose "Hirntod" auf der Intensivstation eines Krankenhauses. Der Kurde hatte bereits im März versucht, seinem Leben ein Ende zu setzen. Diesen Suizid-Versuch nahmen offenbar weder die Anstaltsleitung noch die zuständigen Behörden sonderlich ernst. Orhan B. wurde einige Tage zur Beobachtung in das Gefängniskrankenhaus eingeliefert und danach wieder in seiner Zelle sich selbst überlassen. Der Anwalt des Kurden, der ehemalige GAL-Bürgerschaftsabgeordnete Mahmut Erdem, wirft der Anstaltsleitung und dem zuständigen Psychologen Verletzung der Sorgfaltspflicht vor und stellte Strafanzeige gegen sie. Der eigentlich Verantwortliche ist laut Erdem jedoch der Hamburger Innensenator Roger Kusch (CDU), der auf verstärkte Repressionen setze und Mittel für Hilfsangebote streiche.
Laut einer Pressemitteilung des Flüchtlingsrats Hamburg erhängte sich bereits am 11. April ein Albaner in der Abschiebeabteilung der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel (Santa Fu). Zwei Tage später versuchte ein Mann aus Togo, sich mit einem Schnitt in die Kehle umzubringen. Er überlebte den Suizidversuch. Wie Orhan B. wurde er jedoch schon einige Tage später wieder in den Abschiebeknast gebracht.
Der Flüchtlingsrat und andere Organisationen bemängeln schon lange die Lebensbedingungen der Gefangenen, insbesondere die mangelnde medizinische Versorgung. Bis November 2003 war der Hamburger Abschiebeknast in Norderstedt-Glasmoor (Schleswig-Holstein). Dort wurden die Gefangenen von Dr. Hans Köhler, einem in Norderstedt niedergelassenen Internisten betreut, der auch bei psychischen Problemen zu Rate gezogen wurde. Einer Pressemitteilung der Flüchtlingsberatungsstelle Café Exil zufolge zeichnete sich Köhler laut Aussagen von Gefangenen dadurch aus, dass er bei allen Beschwerden dieselben Mittel verschrieb: Zucker, Aspirin und Paracetamol-Tabletten. Psychische Probleme versuchte er mittels Schlafmitteln zu lösen. In einigen Fällen zog er Dr. Wolfgang Pinski hinzu, Oberarzt der forensischen Psychiatrie am Klinikum Nord Ochsenzoll. Pinski erweiterte die Medikamenten-Palette um Psychopharmaka. Die Untersuchungen der beiden Ärzte fanden laut Aussagen von Betroffenen in den meisten Fällen ohne Dolmetscher statt.
Köhler und Pinski hatten auch über die Reisefähigkeit der Gefangenen zu befinden, die sie in den allermeisten Fällen auch bescheinigten. Das Recht, einen unabhängigen Arzt oder Psychologen hinzuzuziehen, wurde und wird den Abschiebegefangenen verwehrt.
Im November 2003 wurde der Abschiebeknast Glasmoor geschlossen und die Gefangenen nach Santa Fu verlegt. Laut Flüchtlingsrat Hamburg wurden die Haftplätze von 85 auf 150 erhöht. Die Abschiebegefangenen seien nun in einem Hochsicherheitstrakt untergebracht, was mit erheblichen Verschärfungen der Haftbedingungen einherginge, teilte die Flüchtlingsorganisation in einer Pressemitteilung Anfang dieser Woche mit. Berichten zufolge seien einzelne Gefangene bei psychischer Auffälligkeit in Isolationszellen gesperrt worden, in denen teilweise das Licht über mehrere Tage brannte. Der Flüchtlingsrat und andere Organisationen wie z.B. die KARAWANE für die Rechte der Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten fordern die Schließung der Abschiebeabteilung und aller Abschiebeknäste und -lager und ein sicheres Bleiberecht für alle Flüchtlinge.

Veröffentlicht in Flucht und Migration mit den Schlagworten CDU, Norderstedt, Schleswig-Holstein