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Dienstag, 25. Februar 2003, 1:00 Uhr

Massive Proteste gegen neues Kita-Gesetz

Scharfe Kritik an Kieler Kürzungsplänen

Info Archiv | Kernstück des Coups, den sich das Bildungsministerium leisten will, ist die rabiate Einsparung an den Personalkosten der Einrichtungen, die bisher in einem Anteil von ca. 22% vom Land getragen wurde. Nach der neuen Finanzierungsregelung werden die Kindertageseinrichtungen in der Stadt Norderstedt jede für sich genommen eine Mindereinnahme von 50 % erleiden. Insgesamt ist das eine Einbuße von über 1 Millionen Euro.

Es bedarf nicht sonderlich viel prophetischen Geschicks um sich die katastrophalen Auswirkungen vorzustellen :
- Gefährdung von Arbeitsplätzen
- Erhöhung der Elternbeiträge
- Absage an pädagogische Standards betreffend Personalschlüssel und Kinderanzahl pro Gruppe
- Schließungen ganzer Einrichtungen drohen
So können in Rekordzeit aus Kindergärten Kinderaufbewahrunsstätten werden, die weder dem Erziehungs- noch dem formulierten Bildungsauftrag gerecht werden, geschweige denn den individuellen Bedürfnissen der Kinder.

In den letzten Jahren wähnte sich Norderstedt ("die Stadt im Grünen", "immer eine Idee vorraus") mit ihrem werbewirksamen Image der familienfreundlichen Stadt in Sicherheit, was die Kinderbetreuung betraf. Sicher, es fehlte latent an Kindergartenplätzen, das schon. Ansonsten aber warf man mitleidige Blicke auf die große hanseatische Nachbarin, die mit ihrem noch zu rot-grüner Ära entwickelten Kigakonzept, der Kigacard, unter dem Deckmäntelchen neuer Wortschöpfungen und innovativ anmutender Konzepte lediglich heftige Einsparungen zu kaschieren suchten. Eine Mogelpackung die leider viel zu spät aufflog, der Widerstand war mäßig.

Vor Hamburger Verhältnissen glaubte man sich in Norderstedt weit entfernt. Aber dann, vor Weihnachten 2002 holte die Schleswig- Holsteineische Landesregierung zu einem Gesetzentwurf aus, welcher die Verschlechterungen im Hamburger Kigagesetz scheinbar ehrgeizig noch in den Schatten stellen wollte. Und das so klammheimlich, so plötzlich, als hätten die Verantwortlichen in der Hoffnung gehandelt, würden sie alles ganz schnell und still über die Bühne bringen, könnten ihre unverschämten Neuregelungen keine unliebsamen öffentlichen Diskussionen zur Komunalwahl am 2. März auslösen.

Das ist schon einmal in die Hose gegangen: Als sich am 19. Februar im kirchlichen Zentrum Falkenberg VertreterInnen aller Parteien den Fragen der BewohnerInnen stellten, war der Saal überfüllt, viele protestierenden Eltern mußten vor der Tür warten, es wurden Plakate entrollt und eine Unterschriftenliste übergeben. Anläßlich der Emotionen kritisierte auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Johannes Paustenbach (54) die Pläne aus Kiel: "Das Geld wird vom Kreis verteilt, der einen Ermessensspielraum hat, doch den kennt keiner. Wir werden in Kiel Druck ausüben, damit das Gesetz nicht durchkommt." Sein CDU-Amtskollege Rainer Schlichtkrull (47) äußerte sich in ähnliche Richtung. Laut Schlichtkrull ist der Gesetzentwurf "völlig unausgegoren" und müsse "zurückgezogen werden". Die Bürgerpartei hingegen will zunächst eine Resolution in der Stadtvertretersitzung durchbringen, um den Kieler Gesetztesentwurf zu kippen. Ute Algier (62): "Mit uns wird es keine Beitragserhöhung geben", rief sie den Eltern zu. Einzig Gerhard Nothaft (59) von der FDP zog sich den geballten Zorn der anwesenden Eltern zu, als der die Meinung vertrat, einige "Kita-Gruppen können durchaus zusammengelegt werden". Wiederum schwenkten die Protestierenden Transparente und buhten den Liberalen aus.

Doch trotz der Solidaritätsadressen der übrigen ParteivertreterInnen wollte man auch ihnen nicht unbedingt über den Weg trauen: "Ich sehe fünf hilflose Politiker, die uns nicht weiterhelfen", äußerte sich etwa Serap Rauterberg (32), Mitbegründerin der "Elterninitiative gegen die Neuregelung der Finanzierung der Kindertagesstätten-Finanzierung" und verließ die Falkenbergkirche am Ende ebenso zornig, wie die meisten der 400 Eltern.

Das Postfach des Bildungministeriums in Kiel, soviel ist jedenfalls klar, wird viel an Protestpost zu schlucken haben. Was, sein wir mal ehrlich, in diesem Jahr nichts neues ist. Im Januar erst durfte sich das Bildungsministerium des Widerstandes von Schulen, Lehrkräften und Eltern gewiss sein. In einer weiteren Nacht- und Nebelaktion wollte das Ministerium die garantierte Halbtagsgrundschule schon zum kommenden Schuljahr einführen. Eine gute Idee, möchte man meinen : Garantierte Betreuungszeiten, bessere Förderung....

Pustekuchen. Zwar sollen die Kinder ab nächsten Sommer sehr viel mehr Stunden in der Schule verbringen, ausreichend mehr Leherstunden sind dafür aber nicht vorgesehen (und das trotz wachsender Zahl arbeitsloser LehrerInnen, trotz Pisastudie). Von den Grundschulen eine feste Betreuungszeit zu verlangen, die die momentane Schulzeit übersteigt, ohne für den Mehraufwand an Personalkosten adäquat zu zahlen, ist frech und fahrlässig. Eine weitere Mogelpackung also, die nicht hinzunehmen ist.. Auch dieses Konzept bedeutet bei genauerem Hinsehen Qualitätsverluste in der pädagogischen Arbeit. Förderunterricht oder z.B. Projektwochen und Arbeitsgruppen, die allen Kindern zur Zeit noch zu Gute kommen, werden dann nicht mehr möglich sein. Ganz zu schweigen, was diese Schnapsidee für die Hortplätze und das Hortpersonal bedeutet.

Aber auch wenn die garantierte Halbtagsschule mit unzureichenden Mitteln umgesetzt wird, verursacht sie Mehrkosten. Gelder, die vielleicht mit den brutalen Einsparungen bei den Kindertagestätten wettgemacht werden sollen, wie die Norderstedter GALiN in einer Presseerklärung in der Norderstedter Zeitung mutmaßt. Ein großes Bündnis an Trägerschaften, Schulen, Eltern, Pädagogen und Gewerkschaften sind sich einig : Weder die geplante Umsetzung der garantierten Halbtagsgrundschule noch die Novellierung im Kita-Gesetz sind unter den gegebenen Bedingungen hinzunehmen.

Die Veranstaltungen am 11. und 19. Februar waren wichtige Schritt zur Mobilisierung in Norderstedt. Mittlerweile hat sich sowohl ein Arbeitskreis betroffener Eltern, als auch eine Gruppe von ErzieherInnen gegründet, um den Unmut der Betroffenen laut werden zu lassen. Eine Postkartenaktion sowie ein Protesthappening in Kiel sind bereits in Arbeit. Solcherlei Proteste unterstützt vor allem die GAL Norderstedt nachdrücklich. So forderte die GAL-Vorstandssprecherin Anette Reinders die Eltern am 19. Februar auf, für ihre Interessen auf die Straße zu gehen.

Dem folgten am 25. Februar zunächst rund 100 Betroffene in Norderstedt: Anläßlich eines Besuches von Kultusministerin Ute Erdsiek-Rave (55) riefen ihr aufgebrachte Eltern entgegen: "Schämt Euch ! Diätenerhöhungen, aber für die Kinder ist kein Geld da". Unisono forderten die Betroffenen: "Erlassen Sie uns diesen Erlass !". Diese Emotionen konnte Erdsiek-Rave auch nicht herunterkochen, als sie von landesweit 25 neuen Stellen in den Grundschulen sprach - denn diese 25 Stellen werden wie selbstverständlich aus den Gymnasien abgezogen. Der Kommentar einer Demonstrantin: "Unglaublich ! Für die Grundschüler sind das immer noch viel zu wenig Lehrer und jetzt müssen auch noch die Gymnasien leiden."

Kontakt zur Elterninitiative über:
- Serap Rauterberg (040 - 522 38 87) und
- Stephan Albrecht (040 - 500 97 903)

Veröffentlicht in Soziales mit den Schlagworten Anette Reinders, CDU, FDP, GALiN, Gewerkschaften, Norderstedt, Schule, SPD