+ + + ARCHIVIERTER INHALT + + +

Diese Seite kommt aus unserem Archiv und enthält möglicherweise Informationen, die nicht mehr aktuell sind. Bitte beachten Sie das Veröffentlichungsdatum dieser Seite.

Mittwoch, 28. Mai 2003, 22:00 Uhr

Bowling for Columbine

Der Kultfilm von Oscar-Preisträger Michael Moore läuft im SPECTRUM

Infoarchiv Norderstedt | Da braucht es schon einen so furchtlosen Gesellen wie Michael Moore (siehe Bild), um den Schießwütigen eine so schmerzhafte wie verdiente Tracht Prügel zu verpassen. Im Tarngewand des unbedarften Kaspers, den er schon in der Arbeitslosen-Reportage "Roger And Me" brillant zu spielen wusste, bläst der Dokumentarfilmer zur Hetzjagd auf dem weiten Feld des Waffenwahns - wobei die passionierten Jäger diesmal die Gejagten sind.

In unnachahmlicher Guerilla-Manier macht Moore den einschlägig bizarren Ballermännern seine Aufwartung: Bankern, die einem zur Kontoeröffnung gratis einen Schießprügel in die Hand drücken; einem Komplizen des Oklahoma-Attentäters, der in einer der sichersten Gegend Amerikas mit einer Knarre unterm Kopfkissen schläft; Aktivisten der National Rifle Association (NRA), die grimmig mit Bürgerkrieg dräuen, sollte man ihnen ihre Wummen wegnehmen. Ernsthafter Mittelpunkt der Recherche ist jedoch das Schul-Massaker von Littleton, wo 1999 zwei Jugendliche elf Mitschüler totgeschossen haben.

Moores (durchaus zu hinterfragende) These, die er mit einem eingesampelten Zeichentrickfilm hochkomisch auf den Punkt bringt, ist die: Nicht das Fernsehen oder die Computerspiele oder Marilyn Manson sind schuld an Waffenwahn und Blutbädern, sondern eine tief in der Geschichte wurzelnde Furcht der Weißen vor dem Verlust ihrer Privilegien - sei´s durch Engländer, Schwarze oder äußere Feinde.

Insofern kommt auch die amerikanische Außenpolitik nicht ungeschoren davon. Die New Yorker Terrorattacke in eine gedankliche Reihe mit den amerikanischen Militärinterventionen zu stellen und das ganze noch mit Louis Armstrongs Schmachtschlager "What a Wonderful World" zu unterlegen - das muss man sich erst einmal trauen. Doch neben solchen Provokationen geht es dem Regisseur auch ganz konkret um Veränderung: Zusammen mit zwei Überlebenden des Amoklaufs vom Littleton drangsaliert er eine Riege Supermarkt-Manager so lange, bis sie entnervt die Munition aus dem Sortiment nehmen.

Man hat Moore vorgeworfen, sein Film sei polemisch, einseitig, er mache seine Gesprächspartner lächerlich. Das stimmt und ist doch gut so. Halbgare Analysen, die noch den gröbsten Unfug als Argument gelten lassen, gibt es im Fernsehen genug. Moore gehört nicht zu den Lauen, die es allen recht machen wollen, und am Ende nur unverbindliches Sowohl-als-auch auftischen. Er ist ein Agit-Rabauke, der mit Bedacht auch mal übers Ziel hinausschießt. Zehn solcher Typen im Weltkino wären gewiss unerträglich, aber es gibt nun mal nur ihn - zum Glück.

Moralisch ist seine Strategie des Bloßstellens im Übrigen völlig korrekt. Denn tatsächlich sind die Waffenbrüder ja nicht, wie sich selbst gern sehen, wehrhafte Patrioten, sondern Angst-besessene und meistenteils hirnlose Jammerlappen. Höhepunkt ist da ein Interview mit dem NRA-Präsidenten Charlton "Ben Hur" Heston, den Moore in aller Höflichkeit so unbarmherzig am Nasenring vorführt, wie man es allen gefährlichen Deppen dieser Welt wünschen möchte.

Wer sich von "Bowling for Columbine" seinen Antiamerikanismus absegnen lassen will, sollte allerdings bedenken, dass Moore daheim nicht etwa geteert und gefedert, sondern, zumindest von fast allen relevanten Kritikern, gefeiert wurde. Auf einen deutschen Regisseur, der ähnlich bedenkenlos das eigene Nest beschmutzt, warten wir seit der Erfindung des Kinos vergeblich.

Mittwoch, 28. Mai 2003, 22:00 Uhr, SPECTRUM, Rathausallee 72
Eintritt: 3,50 Euro - 7,00 Euro
Veröffentlicht in Sonstige