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Dienstag, 25. April 2006, 22:00 Uhr

Die fetten Jahre sind vorbei

Sonderfilm im Spectrum-Kino

Infoarchiv Norderstedt | www.filmstarts.de schreibt über den Film:

Von Jule (Julia Jentsch) könnten sich viele aus der heutigen Mittzwanziger-Generation eigentlich ein kleines Stückchen abschneiden. Sie ist politisch und sozial engagiert, intelligent und attraktiv. Wäre da nicht ihr immenser Schuldenberg. Diesen hat sie jedoch nicht mutwillig angesammelt. Ihre Geschichte ist fast schon tragischer Natur. Drei Monate mit der KfZ-Versicherung im Verzug, eine kurze Unaufmerksamkeit beim Fahren, ein Topmanager mit seiner Luxuskarosse und schon steht Jula das Wasser buchstäblich bis zum Hals. Nun muss sie peu à peu einen sechsstelligen Euro-Betrag abstottern. Dies führt fast schon zwangsläufig zur Räumungsklage. Sie muss ihre schöne Wohnung verlassen und ist gezwungen, zu ihrem Freund Peter (Stipe Erceg) und seinem Mitbewohner Jan (Daniel Brühl) zu ziehen. Was Jule nicht weiß: Peter und Jan führen ein Doppelleben. Nachts brechen sie in Luxusvillen ein. Allerdings sind Sie keine einfachen Diebe. Sie verrücken lediglich die Möbel und hinterlassen Nachrichten wie "Die fetten Jahre sind vorbei" oder "Sie haben zuviel Geld - Die Erziehungsberechtigten". Sie möchten, dass sich die High Society von ihnen beobachtet fühlt und somit nicht mehr dermaßen ungetrübt im Luxus schwelgen kann, wie es vor dem Einbruch der Fall war.
Als Peter verreist, kommt eine Kette unheilvoller Ereignisse ins rollen. Jan hilft Jule beim Renovieren der zu verlassenden Wohnung. Als die beiden abends gemütlichen zusammen sitzen, das eine oder andere Gläschen trinken und auch noch etwas Rauchbares ins Spiel kommt, gesteht Jan ihr die ganze Geschichte. Er fährt mit ihr durchs Luxusviertel und zeigt ihr all die Villen, in die Peter und er schon eingestiegen sind. Ihr Weg führt sie dabei am Domizil von Justus Hardenberg (Burghart Klaußner) vorbei, dem Unfallgegner von Jules folgenschwerem Crash. Da das Haus leer erscheint, überredet sie Jan, dort einzusteigen. Sie möchte unbedingt sehen, wie der Mann lebt, der ihr das ganze Leben verbaut und ruiniert hat. Widerwillig gibt Jan ihrem Flehen nach. Doch es geht etwas schief. Jule verliert beim Einbruch ihr Handy und die beiden sind gezwungen, einen Tag später nochmals den Einstieg zu wagen. In dem Moment kommt jedoch Hardenberg nach Hause, erkennt Jule und die Situation eskaliert. Sie entführen Hardenberg, weihen Peter in ihre missliche Lage ein und nisten sich in einer abgeschiedenen Hütte in den Bergen ein ...
Die Geschichte, die sich Weingartner gemeinsam mit seiner Co-Drehbuchautorin Katharina Held ausgedacht hat, ist in den Grundzügen sehr simpel gehalten, doch es stecken sehr viele faszinierende Details in ihr. Der Film muss inhaltlich eigentlich zweigeteilt werden. Im ersten Teil werden die Charaktere eingeführt. Der Zuschauer erfährt, warum Jan, Peter und Jule nun mal so sind, wie sie sind. Warum sie tun, was sie tun. Es werden viele Gespräche geführt, die politische Einstellung der drei jungen Protagonisten wird deutlich und der Boden für den zweiten Teil wird geebnet. Mit der Entführung Hardenbergs und der Ankunft in der Berghütte nimmt der Film dann so richtig Fahrt auf. Nach und nach stellt sich heraus, dass die Entführer eigentlich gar nicht all zu viel von ihrem Opfer trennt. Es wird deutlich, dass es so etwas wie schwarz oder weiß eigentlich gar nicht gibt. Nur unheimliche viele Facetten zwischen den Extremen. Es entwickelt sich sogar eine gewisse Sympathie zwischen Entführern und Entführtem. Aber auch die sich anbahnende Romanze zwischen Jan und Jule sorgt für jede Menge Zündstoff. Die Dialoge wirken durch die Bank wie aus dem Leben gegriffen, sind messerscharf und vielleicht eben deshalb so brillant. Auch auf ein weichgespültes Happy End verzichtet Weingartner glücklicherweise. Die überraschende Schlusspointe lässt sich nur mit einem Wort beschreiben: konsequent.
Als Inspiration für "Die fetten Jahre sind vorbei" diente Weingartner die Geschichte eines Pariser Arztes, der zwanzig Jahre lang in Villen einbrach und die Beute dieser Zeit in seinem Keller hortete, ohne je ein einziges Stück davon zu verkaufen. Eine geniale Idee, drei talentierte Jungdarsteller, einen alten Hasen und eine DV-Kamera. Mehr benötigt Weingartner nicht. Er enthält es sich auch nicht vor, eine politische Aussage in den Film mit einzubauen. Allerdings lässt er den Holzhammer stecken und verzichtet auf eine heuchlerische Moralpredigt mit erhobenem Zeigefinger. Sein Vorgehen ist subtiler und daher auch ein Vielfaches effizienter. Wo sind die Schwächen? Nun ja, vielleicht könnte die Einführung etwas straffer inszeniert sein. Aber das war's dann auch schon.

Für Nachahmer hat der Film bereits gesorgt: Im vergangenen Jahr enterte eine Gruppe junger Leute ein Nobelrestaurant in Hamburg-Blankenese und plünderte - ohne jede Gewaltanwendung - das kalte Buffet. Die Gruppe konnte anschließend entkommen und hinterließ nur einige Zettel mit der Aufschrift: Na, das kann man sich ja denken.

Dienstag, 25. April 2006, 22:00 Uhr, Spectrum-Kino, Norderstedt
Eintritt: 5 Euro, ermäßigt 3 Euro
Veröffentlicht in Sonstige